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England am Vorabend der Reformation
Die religionspolitischen und kulturellen Umbruchsprozesse, die im Zuge des allgemein als Reformation bekannten Ereignisses die frühneuzeitlichen Gesellschaften Europas entscheidend geprägt haben, erreichten spätestens ab den 1520er Jahren auch die Britischen Inseln. Dabei sind die reformatorischen Bewegungen eng mit der Geschichte der drei Königreiche verbunden, dem nördlich gelegenen Schottland, der durch die irische See getrennten Inselgruppe im Westen sowie dem dominierenden Königreich England im Süden, welches seit dem 13. Jahrhundert sukzessive auch die walisischen Territorien umfasste. In religiöser Hinsicht waren die drei Reiche über Jahrhunderte ein Teil des katholischen Kosmos, was sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts grundlegend und in unterschiedlichen Abstufungen ändern sollte.1 Als Heinrich VIII. (1491–1547) den Thron bestieg, war sein Königreich im Vergleich mit anderen europäischen Ländern nur wenig bevölkert und keinesfalls politisch so geeint, wie es sich die Tudors nach den Rosenkriegen wünschten. Zu Beginn des Jahrhunderts mag es ungefähr zwei Millionen Einwohner in England gegeben haben, dessen Bevölkerung stark agrarisch geprägt und vom feudalen System der örtlichen Landesherren bestimmt war. So lebten beinahe 90% auf dem Land und nur ca. 10% in den Städten, vor allem rund um die Hauptstadt London und den etwa 700 anderen Städten im Land.2 Die englischen Diözesen waren in zwei Kirchenprovinzen unterteilt: Canterbury und York, wobei erstere mit 14 Suffraganbistümern die weitaus größere war. Im Norden bildete York den Kern der gleichnamigen Kirchenprovinz, zusammen mit den Diözesen Carlisle und Durham. Seit alters her beanspruchte der Erzbischof von Canterbury einen Ehrenvorrang (Primate of all England), der sich beispielsweise im Vorrecht zur Krönung des Monarchen widerspiegelte.3 Die englische Kirche verstand sich bereits seit dem späten Mittelalter als eine Art Nationalkirche und war eng mit dem weltlichen Apparatus verbunden. Als geistige und moralische Macht legitimierte sie die Autorität des Monarchen und stützte die Krone gegenüber den Untertanen. Umgekehrt schützte der König die traditionellen Privilegien des Klerus und der Kirchengerichte, betätigte sich mit der weltlichen Macht bei der Verfolgung von Häretikern und stärkte die Belange des Papstes durch diplomatische Missionen.4 Tatsächlich sah sich die englische Kirche der frühen Tudorzeit im Vergleich mit der Kirche in Deutschland oder den Skandalen an der römischen Kurie innerhalb der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts mit keinen größeren Herausforderungen konfrontiert.5
Die Loslösung von Rom unter Heinrich VIII.
Lutherisches Schriftgut hielt schon vor 1520 in England Einzug, zunächst vor allem in London und anderen Küstenstädten, wo Handwerker und Kaufleute durch den Seehandel mit dem Kontinent für eine rasche Verbreitung sorgten. Problematisch blieb die Übersetzung von Martin Luthers (1483–1546)[] Werken, ausgenommen seinen lateinischen Texten, sodass sich die Rezeption anfangs eher auf universitäre Kreise beschränkte.6 Bekannt ist ein Gelehrtenzirkel an der Universität Cambridge, dessen Zusammensetzung nicht eindeutig gesichert ist, zu dem vermutlich aber sowohl die späteren Erzbischöfe Thomas Cranmer (1489–1556)[] und Matthew Parker (1504–1575) als auch andere einflussreiche Reformer wie Thomas Bilney (1495–1531) und John Frith (1503–1533) gehörten. Auch zählten die maßgeblich für die englische Bibelübersetzung verantwortlichen William Tyndale (1494–1536), Robert Barnes (1495–1540) und Miles Coverdale (1488–1568) zur illustren Runde.7 Nachdem Papst Leo X. (1475–1521) 1520 Luthers Lehren in einer Bannbulle verurteilt hatte, reagierten auch die englischen Kirchenoberen auf die reformatorischen Umtriebe im Königreich. Kardinal Thomas Wolsey (1473–1530) exkommunizierte Luther im Mai 1521 und ließ dessen Schriften öffentlich verbrennen; und im Juli desselben Jahres wurde die Schrift Assertio Septem Sacramentorum unter dem Namen König Heinrichs gegen Luthers Schrift De captivitate Babylonica ecclesiae veröffentlicht, wofür ihm der Papst den Titel Fidei Defensor (Verteidiger des Glaubens) verlieh.8 Die Sorgen des Episkopats im Angesicht der erstarkenden Reformbewegung waren nicht unbegründet, denn insbesondere die illegal kursierenden Bibelübersetzungen in der Landessprache machten die Anliegen der Reformer auch einer breiteren Schicht in der Bevölkerung zugänglich.9 Die bekannteste Übersetzung im 16. Jahrhundert stammte von William Tyndale, einem humanistisch gebildeten Priester aus Gloucestershire, der, beeinflusst von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments, ab 1523 eine Übersetzung der Heiligen Schrift ins Englische anfertigte.10 Bis Mitte der 1520er Jahre schien es deshalb auch keinerlei Anzeichen dafür zu geben, dass der Tudorkönig Sympathien für die auf dem Kontinent immer weiter um sich greifenden Reformideen entwickeln könnte; im Gegenteil, war die Abneigung gegenüber Martin Luther und seinen Anhängern seit Heinrichs theologischer Streitschrift von 1521 gar eine persönliche Sache. Wohl um 1527, genau lässt sich dies nicht mehr eruieren, änderte sich die Situation jedoch dahingehend, dass Heinrich VIII. zunehmend Interesse an der Hofdame Anne Boleyn (1507–1536)[]zeigte, nachdem der Ehe mit Katharina von Aragón (1485–1536) []einzig die Tochter Maria (1516–1558)[] entsprungen war und der erhoffte männliche Thronerbe ausgeblieben war. Dass diese zunächst rein dynastiepolitische Angelegenheit eine derartige Dynamik entwickeln würde, die den Tudor als ersten europäischen Herrscher schlussendlich zum Bruch mit dem Papsttum führten, war zu dieser Zeit kaum vorstellbar.11 So sah Heinrich im Ausbleiben eines männlichen Thronerben den Zorn Gottes aufgrund seines gottlosen Verhaltens, die Witwe seines Bruders geheiratet zu haben. Papst Clemens VII. (1478–1534) zog den Fall am 16. Juli 1529 formal nach Rom, sodass sich die Hoffnungen des Königs, die Sache in England selbst zu klären, endgültig zerschlugen.12 Für Heinrich war die Frage der Ehenichtigkeit jedoch noch lange nicht geklärt, weshalb er im Oktober 1529 den mit den Verhandlungen betrauten Lordkanzler Wolsey aus dem Amt entließ.13 Erwähnt werden sollen zwei weitere Umstände, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf the King’s great matter, wie die Ehesache des Tudors bald nur noch genannt wurde, hatten: Papst Clemens befand sich in einer politisch heiklen Lage, da er in die Auseinandersetzungen zwischen dem französischen König Franz I. (1494–1547) und Kaiser Karl V. (1500–1558) geraten war, die um die Vorherrschaft in Norditalien kämpften.14 Die nur schleppend vorangehenden Verhandlungen bezüglich der Eheannullierung sowie der stärkere Einfluss Anne Boleyns, die überdies in Feindschaft zu Kardinal Wolsey stand, den sie bezichtigte, die Sache des Königs zu hintertreiben, nährten in Heinrich den Gedanken, er müsse sich selbst Legitimität verschaffen und die mit Blick auf den benötigten Thronfolger so wichtige Angelegenheit in seinem Herrschaftsbereich klären, mit oder ohne den Bischof von Rom.15 Die spätestens ab 1529 durch die Einberufung des Parlaments verabschiedeten Gesetze ebneten nicht nur den Weg zur Annullierung von Heinrichs Ehe mit Katharina von Aragón, sondern brachten auch die Abspaltung der fortan unter königlicher Suprematie stehenden englischen Kirche von Rom. Nach dem Sturz von Kardinal Wolsey übernahm Thomas More (1478–1535) das Amt des Lordkanzlers, doch ließ sich dieser nicht in die Eheangelegenheit des Königs hineinziehen, sondern konzentrierte seine Kräfte auf die Innenpolitik und insbesondere auf die Bekämpfung der sich mittlerweile immer stärker ausbreitenden protestantischen Häresien. Als erste Amtshandlung ließ er den Import ketzerischer Schriften verbieten und auch mehrere Verbrennungen veranlassen. Derweil war der König bestrebt, mit Hilfe seiner Berater, darunter dem zuvor in Wolseys Diensten aufgestiegenen Juristen Thomas Cromwell (1485–1540)[], mit weiteren Maßnahmen auf den Papst und die Kurie einzuwirken, um die Annullierung seiner Ehe zu erreichen. Hierzu bedienten sich die Gelehrten des Königs unterschiedlicher Methoden.16 Thomas Cranmer war der Erste, der den König darauf hinwies, dass die Lösung der Eheangelegenheit nicht primär auf theologischer denn auf rechtlicher Basis zu finden sein könnte.17 Freilich war eine Unterordnung der Kirche unter die Krone auch das Hauptaugenmerk der königlichen Rechtsgelehrten gewesen, die juristisch und historisch argumentierten. Die Sammlung einiger historiographischer Quellen, der sogenannten Collectanea satis copiosa, wurde im September 1530 dem König vorgelegt. Das Material der Collectanea stützte die Argumente einer jurisdiktionellen Unabhängigkeit der englischen Kirche und begründete die Autorität des Monarchen innerhalb seines Reiches aufgrund uralter Vorrechte, inklusive des Klerus, da England ein Imperium sei und sich deshalb keinerlei ausländischen Herrschern zu unterwerfen habe.18 Um das Ansinnen des Königs bezüglich der Annullierung voranzubringen, bedurfte es der Unterstützung durch die Abgeordneten, deren teils antiklerikale Ressentiments der König nun offen schürte. Das Kräftemessen zwischen König und Klerus war jedoch keinesfalls beendet, denn 1531 hatte Papst Clemens die erneute Bitte des Königs um Verhandlung seiner Ehesache in England abschlägig beschieden. Gleichwohl die Zeichen auf Konfrontation standen, lag dem König jedoch zu diesem Zeitpunkt der Gedanke an ein Schisma oder die Tolerierung von Häresien fern, wollte er doch zuerst die ihm als souveränem Herrscher von Natur aus zukommende Autorität innerhalb seines Reiches nur gegenüber unrechtmäßigen Eingriffen schützen.19 Dazu wurden die seit November 1529 unter der Leitung Cromwells ausgearbeiteten Gesetzesentwürfe über die kirchlichen Verstöße und Missbräuche 1532 in der Supplication of the Commons dem Unterhaus vorgelegt. Der Act of the Submission of the Clergy vom 15. Mai 1532 besiegelte das Schicksal der bis dahin noch zum Widerstand bereiten Bischöfe. Der König ließ der Versammlung mitteilen, dass es von nun an für alle zukünftigen Gesetze der königlichen Zustimmung bedürfe, bereits existierende Gesetze seien von einem aus Klerikern und Laien bestehenden Komitee zu überprüfen und gegebenenfalls zu beanstanden und darüber hinaus unterlägen alle übrigen Canones in kirchlichen Dingen fortan der Autorität der Krone.20 Der Tod von Erzbischof William Warham (1450–1532) am 22. August 1532 ermöglichte Heinrich die bislang durch die Legislative abgesegneten Maßnahmen auch innerkirchlich voranzubringen. Vermutlich um den König nicht weiter zu provozieren und einen versöhnlichen Kurs einschlagend wurde Thomas Cranmer im Februar 1533 noch von Papst Clemens offiziell zum neuen Erzbischof von Canterbury ernannt und am 30. März geweiht. Bereits im Januar desselben Jahres hatte Cranmer den König vor das erzbischöfliche Gericht geladen und dessen Eheangelegenheit erneut vortragen lassen. Am 23. Mai erklärte Cranmer die Ehe zwischen Heinrich VIII. und Katharina von Aragón für null und nichtig und die Eheschließung zwischen Anne Boleyn und dem König stattdessen am 28. Mai für rechtmäßig, bereits im September kam die Tochter Elisabeth (1533–1603)[]zur Welt.21 Seit das Reformation Parliament 1529 erstmals getagt hatte und durch zahlreiche Acts die kanonische Kirchengemeinschaft zwischen dem Heiligen Stuhl und den beiden Kirchenprovinzen Canterbury und York aufgelöst wurde, hatte Heinrich den endgültigen Bruch mit dem Papsttum lange hinausgezögert.22 In der Sitzung des Parlaments am 3. November 1534 bestätigten die Abgeordneten jedoch durch die so genannte Suprematsakte (Act of Supremacy) den neuen Titel des Königs als souveränem Oberhaupt der Kirche von England, ohne die noch 1531 von der Klerusversammlung eingefügte Einschränkung. Heinrich VIII. hatte als erster europäischer Monarch vollständig mit dem Papsttum gebrochen und die englische Kirche infolgedessen als selbständige Nationalkirche etabliert. Den höchsten Preis mussten der ehemalige Lordkanzler Thomas More und Bischof John Fisher von Rochester (1469–1535) zahlen. More war bereits im April 1534 verhaftet worden, nachdem er sich geweigert hatte, den Eid auf die Sukzessionsakte zu leisten. Am 6. Juli 1535 wurde More auf dem Tower Hill hingerichtet, Fisher war schon am 22. Juni wegen Hochverrats exekutiert worden.23 Nach Ablösung der päpstlichen Jurisdiktion und dem Bruch mit Rom war die königliche Autorität über die Kirche gefestigt. Sämtliche Angelegenheiten der kirchlichen Verwaltung und zugleich ihrer Doktrin befanden sich unter Kontrolle der Krone. Was Heinrich seit Beginn der 1530er Jahre zuerst zögerlich und dann immer energischer vorangetrieben hatte – nationale Souveränität und monarchisches Supremat – wurde nun vollendet. Der regelrechte Gesetzesmarathon des Jahres 1534 schuf eine einzigartige Verbindung von Krone und Kirche, wie es sie trotz der umfassenden jurisdiktionellen und strukturellen Verflechtungen beider Institutionen in vorreformatorischer Zeit nicht gegeben hatte. Als Haupt der anglikanischen Kirche war Heinrich VIII. bestrebt, Ordnung in seinem Königreich zu schaffen, weshalb in der Folgezeit weitere Gesetze zur Festigung der landeskirchlichen Strukturen erlassen wurden.24 Dennoch unterstützten auch die konservativen Vertreter des Episkopats leidenschaftlich den neuen Supremat ihres Souveräns, zu nennen ist hier insbesondere Stephen Gardiners (1482–1555) Schrift De Vera Obedientia von 1535.
Die Frage nach dem Reformwillen Heinrichs VIII. verlangt nach einer differenzierten Antwort. Die Ehe mit Anne Boleyn war für den König zwar die Gelegenheitsursache zum Bruch mit der katholischen Kirche gewesen, doch das eigentliche Problem der dynastischen Nachfolge war nach der Hinrichtung der in Ungnade gefallenen Königin nicht gelöst worden. Obgleich der lang ersehnte männliche Thronerbe, Edward VI. (1537–1553)[], im Oktober 1537 das Licht der Welt erblickt hatte, blieb der Tudor höchstselbst der beste Garant dafür, dass der weitere Weg der Anglicana Ecclesia nicht einfach vorherzusehen war; dies zeigte sich insbesondere am eigenwilligen Kurs des Tudorkönigs in religionspolitischen Fragen.25 So ließ er nach 1534 Lutheraner als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrennen, aber Katholiken hinrichten, welche aufgrund der Ablehnung des königlichen Supremats weiterhin dem Papst die Treue hielten, obgleich Heinrich sich selbst als katholischer Herrscher verstand, der keinerlei Anstalten machte, die lateinische Messe, die Siebenzahl der Sakramente oder andere Formen des traditionellen Kultus abzuschaffen. Zwischen 1536 und 1540 hatte dies englische Kirchenvertreter jedoch nicht davon abgehalten, in Verhandlungen mit kontinentalen Reformkräften einzutreten, allen voran den lutherischen Fürsten, die sich in ihrem Abwehrkampf gegen den Kaiser Hoffnungen auf ein Bündnis mit England machten. So sympathisierten Erzbischof Cranmer und Thomas Cromwell mehr oder weniger stark mit lutherischen Ideen, die sie während einer Reihe theologischer Debatten auch für die anglikanische Lehre adaptieren wollten. Letztlich verliefen diese Kontakte, vermutlich auch aufgrund der Abneigung des Königs gegenüber den Protestanten, ohne Ergebnis, doch entstanden in dieser Zeit eigenständige Lehrartikel der Kirche von England (u.a. Ten Articles), die erstmals klar reformatorische Einflüsse erkennen ließen. Der König intervenierte allerdings immer dann, wenn ihm theologische Lehrmeinungen persönlich missfielen, sodass er, auch um England ab 1540 aus seiner außenpolitischen Isolation zu holen und den katholischen Mächten Frankreich und dem Reich wieder anzunähern, einen dezidiert konservativeren Kurs einschlug und die Reformkräfte am Hof einen neuerlichen Dämpfer erhielten – z.B. Minister Cromwell, der nach einem gescheiterten Ehebündnis um Heinrichs vierte Ehefrau, Anna von Kleve (1515–1557), sein Leben verlor. Überdies hatte man 1543 die Thronfolge wieder dergestalt festgelegt, dass zuerst Edward den Thron besteigen sollte und nach ihm die beiden Halbschwestern: Maria und Elisabeth Tudor.26 Heinrich VIII. starb am 28. Januar 1547. Sein Reich war durch die religiösen Konflikte in Aufruhr versetzt, jahrhundertealte Bräuche und Traditionen stückweise abgeschafft, teils behutsamer (Gottesdienst), teils mit brachialen Methoden (Auflösung der Klöster), so dass die unterschiedlichen Fraktionen am Hofe alles daransetzten, den Thronerben um jeden Preis für ihre Sache einzuspannen.
Reform unter Edward VI.
Da Edward nach dem Ableben seines Vaters noch minderjährig war, unterstand er die meiste Zeit seiner Regentschaft einem Kronrat, der die Geschicke des Landes im Namen des Königs lenken sollte. Die einflussreichen Herzöge von Northumberland und Somerset, letzterer war der Onkel des jungen Herrschers, gaben sich nun ganz offen als Anhänger einer protestantischen Reform zu erkennen.27 Unterstützung erhielten sie durch Erzbischof Thomas Cranmer und andere Bischöfe, u.a. Nicholas Ridley (1500–1555) und Hugh Latimer (1485–1555), die Englands Kirche doktrinell und liturgisch an die kontinentalen Reformbewegungen anbinden wollten, nachdem verstärkt auch Ideen der schweizerischen Reformatoren Heinrich Bullinger (1504–1575), Ulrich Zwingli (1484–1531)[] und Johannes Calvin (1509–1564)[] Verbreitung gefunden hatten. Nach der Veröffentlichung eines Handbuches mit protestantisch gefärbten Predigten (Book of Homilies) folgten im August Verfügungen (Injunctions), die ein Verbot von Prozessionen, die Zerstörung von Schreinen und die Entfernung von Bildern in den Kirchenräumen durchsetzen sollten. Statt jedoch in geordneten Bahnen zu verlaufen, führten die Anordnungen zu einem veritablen Bildersturm in zahlreichen Kirchen des Landes.28 Zugleich sollten Lesung und Evangelium während der Messe fortan in Englisch gelesen werden. Durch die Aufhebung der religiösen Stiftungen (Chantries) konnte die Krone nun alle daraus fließenden Einkünfte der Staatskasse einverleiben und den Kampf gegen die verhasste Opfermesse intensivieren. Durch weitere Parlamentsbeschlüsse flankiert, veröffentlichte Cranmer – vermutlich auf Basis bereits vorhandener Arbeiten Martin Bucers[], Philipp Melanchthons (1497–1560)[] und des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied (1477–1552) – 1548 eine neue Kommunionordnung (The Order of the Communion), die zwar die Kommunion unter beiderlei Gestalten vorsah (und damit ein reformatorisches Kernanliegen verwirklichte), sich jedoch ansonsten wenig von traditionelleren Formen entfernt hatte.29 Trotz zunächst nur geringer Abweichungen von traditionellen Zeremonien trat der Einfluss reformorientierter Theologen auf Cranmers Arbeiten immer offener zutage, insbesondere der Straßburger Reformator Martin Bucer (1491–1551) ist hier zu nennen, des Weiteren der ehemalige Augustinermönch Pietro Martire Vermigli (1499–1562) sowie der Pole Johannes Lasco (1499–1560), die spätestens seit 1549 auf Einladung Cranmers nach England gekommen waren und die Verbreitung der neuen Lehre unterstützten, zumal sie bei König und Erzbischof in hohem Ansehen standen und rasch einflussreiche Positionen als Gelehrte an den neugegründeten Universitäten, etwa Bucer als Professor in Cambridge und der Italiener Vermigli in Oxford, erhielten.30 Nach dem reformatorischen Generalangriff auf die bislang noch weitgehend intakte (d. h. katholische) Spiritualität der englischen Bevölkerung im Vorjahr, die sich in der Entfernung von Bildnissen, Schreinen und der Abschaffung von Votivmessen geäußert hatte, kamen jedoch erste Zweifel daran auf, ob der noch minderjährige Monarch hinter dieser immer radikaleren Agenda stand, die die religiöse Alltagswelt der Menschen erschütterte. Erzürnt über derartige Anschuldigungen, gab die Regierung unter Somerset eine Erklärung heraus, die zum Gehorsam gegenüber Krone und Regierung mahnte und die Untertanen auf weitere Änderungen vorbereiten sollte. Das allgemeine Gebetbuch (Book of Common Prayer, kurz: BCP) der Kirche von England erschien bald darauf unter dem vollen Titel The Book of Common Prayer and Administration of Sacraments, and other Rites and Ceremonies of the Church after the Use of the Church of England und wurde am 15. Januar 1549 in der Uniformitätsakte (First Act of Uniformity) durch das Parlament offiziell verabschiedet.31 Das Gebetbuch sollte am Pfingstsonntag, den 9. Juni 1549, in allen Gemeinden fortan verwendet werden. Für den zentralen Kommuniongottesdienst verwendete man sogar weiterhin die Bezeichnung Messe (The Supper of the Lord and the Holy Communion, commonly called the Mass) – obgleich nun die Elevation der Gaben ausgelassen wurde – und ließ auch Worte wie Altar und Priester unangetastet. Dass Cranmer nicht nur reformierte Elemente bei der Komposition seines Werkes heranzog, zeigte sich daran, dass er tatsächlich eine Vielzahl auch älterer liturgischer Quellen umfassend bedachte, darunter Teile des althergebrachten Use of Sarum, aber auch außerenglische Quellen, etwa Texte des spanischen Kardinals Francisco de Quiñones (1480–1540) bei der Überarbeitung der Stundenliturgie (Daily Office) und, heute verschollene, Fragmente des altspanischen Taufritus sowie Texte der griechisch-orthodoxen Tradition – u. a. hatte Cranmer bereits in seiner Litanei von 1544 (English Litany) Gebete des hl. Johannes Chrysostomus (344–407) verwendet.32 Zusammenfassend stellte das BCP nun die einzig erlaubte gottesdienstliche Agende der Kirche Englands dar, behielt jedoch aus Gründen der Ordnung noch traditionellere Formen bei, die mit der Zeit von selbst verschwinden würden, so zumindest die Intention ihrer reformwilligen Urheber. Unter diesem Gesichtspunkt lag die Bedeutung des Edwardschen Gebetbuches auch weniger im Inhalt, sondern in der Form. So gab es in der Kirche von England erstmals ein liturgisches Buch, das sämtliche Gottesdienste und Zeremonien fortan nicht mehr auf Latein, sondern in der Volkssprache einer breiten Schicht zugänglich machte.33 Obgleich das BCP trotz mancher Uneindeutigkeiten ein in Theologie und liturgischer Praxis klar protestantisches Werk war, genügte dessen Arbeit bald den Ansprüchen der v. a. schweizerischen Reformatoren des Kontinents nicht mehr, die auf radikalere Einschnitte drängten und den Erzbischof von Canterbury zu einer Revision zwangen.34 Indessen bestätigte eine zweite Uniformitätsakte (Second Act of Uniformity) am 14. April 1552 den strengeren Kurs zur Etablierung der protestantischen Religion im Königreich. Die revidierte Fassung sollte am 1. November (Allerheiligen) im ganzen Land fortan gebraucht werden. Das überarbeitete BCP stellte eine weitaus stärkere Revision des 1549er Buches dar. So wurden einfache Kommuniontische errichtet, an denen die Gläubigen während des Gottesdienstes knieten, nachdem sie zum Kommunionempfang aus dem Hauptschiff (nave) in den Altarraum (chancel) getreten waren und statt der traditionellen Hostien nun einfaches Brot ausgeteilt bekamen. Der Priester war nur noch mit einem einfachen Chorhemd (surplice) und einem stolaähnlichen Gebetsschal (tippet) bekleidet. Berüchtigt wurde die Intervention des schottischen Reformators John Knox (1514–1572), der die Einfügung einer zusätzlichen Rubrik (Black Rubric) im Kommunionteil verlangte, um klarzustellen, dass das Knien beim Kommunionempfang keinesfalls eine Anbetung des Leibes und Blutes Christi impliziere. Während die religiöse Alltagswelt der Gläubigen nun allmählich im reformatorischen Sinn geprägt wurde, starb König Edward überraschend am 6. Juli 1553 – die Frage nach der Thronfolge drohte daher, das Land erneut zu spalten.
Reaktion unter Maria Tudor
Zu Beginn von Marias Regierungszeit war der Protestantismus in England zweifelsohne zu einem ernstzunehmenden Faktor geworden, doch bestand ebenfalls kein Zweifel daran, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung 1553 noch dem alten Glauben anhing. Am 27. August feierte man den ersten lateinischen Gottesdienst in St. Paul's Cathedral seit dem Ende von Edwards Herrschaft. Für die zeitgenössischen Beobachter stand außer Frage, dass Maria ihr Land wieder zurück in den Schoß der katholischen Kirche führen wollte.35 Stephen Gardiner, den man mit Unterbrechung seit 1548 im Tower festgehalten hatte, war kurz vor der Ankunft seiner Königin entlassen worden und nahm am 1. Oktober 1553 die feierliche Krönung von Maria in Westminster vor . Der erste Schritt war dabei die Einberufung eines neuen Parlaments, das denn auch im Herbst 1553 zusammentrat und dessen oberste Priorität die Aufhebung der unter Edward VI. erlassenen Religionsgesetze war. Letzteres stieß jedoch vor allem im Unterhaus auf größeren Widerstand. Allerdings gelang es zumindest die Uniformitätsakte außer Kraft zu setzen und das Book of Common Prayer noch vor Weihnachten zu verbieten. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der auch schon Marias Vater während seiner Herrschaft stets Sorge bereitet hatte, war die dynastische Frage. So verfolgte das Königshaus einen pro-habsburgischen Kurs, denn Maria besaß bekanntlich spanische Wurzeln und Kaiser Karl V. hatte während der schwierigen Phasen in den 1530er Jahren stets treu zu ihrer Mutter gehalten. Auserkoren wurde Philipp II. von Spanien (1527–1598), der älteste (und einzige legitime) Sohn des Kaisers, woraufhin die Eheverhandlungen zwischen den beiden Ländern begannen. Am 25. Juli, dem Gedenktag des Heiligen Jakobus, dem Schutzheiligen Spaniens, heirateten Maria und Philipp in einer feierlichen Zeremonie in der Kathedrale von Winchester.36 Parallel mit den Ehevorbereitungen hatte die Königin eine Reihe von Injunctions erlassen, die erstmals Untersuchungen in Bezug auf mögliche Häresien im Klerus anordneten und Predigten evangelikaler Geistlicher verboten. Die Zölibatsverpflichtung wurde erneuert und im Verlauf des Jahres wurden mehr als 800 verheiratete Kleriker ihrer Ämter enthoben. Gleichzeitig wurde der Episkopat von Protestanten "gereinigt" und prominente Bischöfe wie Ridley und Latimer verhaftet. Insgesamt flohen ab 1554 mehr als 1.000 Protestanten aus allen Teilen der Gesellschaft, Adlige, Handwerker, Kleriker, Juristen und Universitätsgelehrte, auf das Festland, allen voran die Schweiz, die Niederlande und Frankreich.37 Unter Maria wurden neben den altgedienten wie Gardiner, Tunstall und Bonner dreizehn Bischöfe wieder in ihre Ämter eingesetzt und zwischen 1554 und 1558 zwanzig Ernennungen vorgenommen. Die neu ernannten Bischöfe waren ganz im Geiste des Trienter Reformkonzils ausgebildet und unterschieden sich merklich von ihren häufig karrieregeleiteten Mitbrüdern, die zu Heinrichs Zeiten an die Spitze der Bistümer gelangt waren. Reginald Pole (1500–1558)[], der von Papst Julius III. (1487–1555) mit der Aufgabe betraut wurde, Maria bei der katholischen Erneuerung in England zu unterstützen, war erst Ende des Jahres 1554 eingetroffen. Erschwerend kam hinzu, dass das Parlament sich immer noch dagegen sträubte, in die volle Kirchengemeinschaft mit Rom zurückzukehren, da man befürchtete, die unter Heinrichs und Edwards Regentschaft eingezogenen Kirchengüter wieder zurückerstatten zu müssen. Die Parlamentsabgeordneten versammelten sich am 28. November. Beide Kammern stimmten mit einer Gegenstimme für die Rückkehr zum Katholizismus und die Aufhebung aller Gesetze, die seit 1529 im Reformation Parliament gegen die päpstliche Jurisdiktion verabschiedet worden waren. Zwei Tage später trat das Parlament ein weiteres Mal in Whitehall zusammen, um einer in der englischen Kirchengeschichte einzigartigen Zeremonie beizuwohnen: der Absolution durch den päpstlichen Legaten Pole, die das seit 1534 andauernde Schisma beenden würde. Als folgenschwerer sollte sich noch die Tatsache erweisen, dass das Parlament mit der Ratifizierung zugleich auch das berüchtigte Gesetz gegen Ketzerei, De heretico comburendo, wieder in Kraft setzte, welches zu Beginn des 15. Jahrhunderts unter Heinrich V. (1387–1422) zur Bekämpfung der Lollarden erlassen worden war und dem später über 300 Protestanten zum Opfer fallen sollten, darunter auch prominente Bischöfe, allen voran Erzbischof Thomas Cranmer, der am 21. März 1556 in Oxford auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die neue pastorale Ausrichtung von Episkopat und übrigem Klerus sowie eine von Kardinal Pole 1556 geleitete Synode sollten die Erneuerung des Glaubens im Geiste der Reformen von Trient weiter vorantreiben. Die Schwierigkeit für Maria Tudor war nicht die Erneuerung des katholischen Glaubens an sich, oder die Rückführung der englischen Kirche in die Gemeinschaft mit dem Papst, die, trotz der anfänglichen Zurückhaltung des Parlaments, ohne weiteren Protest ablief, sondern der Umstand, dass diese Entwicklungen nachhaltig konsolidiert werden mussten.38 Maria starb, kinderlos, am 17. November 1558, Kardinal Reginald Pole verstarb nur wenige Stunden nach seiner Königin. Maria hatte vor der Aufgabe gestanden, sowohl die traditionelle Religion als auch die päpstliche Suprematie in England wiederherzustellen. In beidem war sie gescheitert, doch war sie nicht gescheitert, den Katholizismus in England auch für die kommenden Jahrhunderte zu erhalten, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Als Elisabeth den Thron bestieg, verweigerten sich jene Bischöfe, die von Maria ernannt worden waren, fast geschlossen der Erneuerung des königlichen Supremats.
Konsolidierung unter Elisabeth I. und Dynastiewechsel
An Marias Todestag folgte Elisabeth ihrer Halbschwester auf den englischen Thron. Alle Hoffnungen richteten sich auf die neue Regentin, die zu Beginn ihrer Thronbesteigung erst 25 Jahre alt war und nun als letzte Erbin aus dem Hause Tudor, das gespaltene Land einen und zwischen den religiösen und politischen Lagern vermitteln sollte. Unterstützt durch zwei ihrer engsten Berater, William Cecil (1520–1598), und dessen Schwager, Nicholas Bacon (1509–1579), verfolgte Elisabeth einen klar protestantischen Kurs bei der zweiten Konsolidierung der etablierten Kirche Englands, der durchaus auf Widerstände stieß .39 Die Revolution of 1559 begann mit der Parlamentssitzung am 25. Januar, in deren Verlauf jene Regelung entstand, die auch als elisabethanische Religionsregelung (Elizabethan Settlement) in die englische Kirchengeschichte eingehen sollte.40 Obgleich der Terminus einen auf Ausgleich bedachten Konsens suggeriert, war die Krone zweifelsohne "um eine macht- wie religionspolitische Stabilisierung ihrer Herrschaft bemüht"41. Die geänderten Mehrheitsverhältnisse im Oberhaus ermöglichten der Regierung, im April alle Gesetze durch das Parlament zu bringen. Abermals wurde die Oberhoheit der Krone über die Kirche durch die Suprematsakte (Second Act of Supremacy) verankert. Ebenfalls legte die Verabschiedung der dritten Uniformitätsakte (Third Act of Uniformity) das zweite Book of Common Prayer erneut als einzig legitime Agende für Liturgie und Gottesdienst der Kirche von England fest. Es musste jedoch mit einer äußerst knappen Mehrheit verabschiedet werden. Ein Blick auf die genauen Inhalte der elisabethanischen Regelung ließ einen klar protestantischen Kurs erkennen, der an einigen Stellen jedoch zu Kompromissen bereit war. Forschungsgeschichtlich bleibt umstritten, welchen Gruppierungen die Kompromissformeln zugedacht waren. So verzichtete die Königin in der Suprematsakte bspw. auf den Titel des Supreme Head of the Church, der fortan in den Titel Supreme Governor geändert wurde. Zugleich betrieb Elisabeth die systematische Plünderung der Kirchengüter, so dass die wenigen Klöster und Chantries, die man unter Maria wieder hatte einrichten können, rasch aufgehoben wurden und die Finanzen der Krone aufbesserten.42 Durch Parlamentsbeschluss war das Prayer Book in einer leicht überarbeiteten Form wiedereingeführt worden, entsprach jedoch in Inhalt und Form weitgehend der Fassung von 1552 aus der Regierungszeit König Edwards. Änderungen hatte man nur an wenigen Stellen vorgenommen: die Black Rubric wurde fortan ausgelassen sowie die Bestimmungen für liturgische Gewänder (Ornaments Rubric) wieder im Text aufgenommen. Von theologischer Tragweite war die Verbindung der beiden Kommunionspendeformeln aus dem 1549er und 1552er BCP, um einen Mittelweg zwischen konservativ-lutherischen und calvinistischen Positionen zur Präsenz Christi in den gewandelten Gaben zu ermöglichen. Eine königliche Verfügung im Sommer 1559 regelte die Frage des Bilder- und Heiligenkultes auf moderate Weise, obgleich auch hier die Altäre in den Kirchen entfernt und durch einfache Kommuniontische ersetzt wurden. Vor allem die so genannten Puritaner (Puritans), die unter Maria aus England ins Exil geflohen waren und nun in großer Zahl in ihre Heimat zurückkehrten, um dort das "reine Evangelium" (d. h. streng calvinistischer Prägung) zu verkünden, forderten die Politik der Königin durchgehend heraus, da sie die englische Kirche als zu "unreformiert" ablehnten und den religiösen status quo scharf kritisierten. Die 39 Artikel bildeten denn auch einen weiteren Baustein innerhalb des Systems jener Staatskirche, deren Geschicke nach dem Willen der Königin nun wieder stärker durch die Bischöfe – u. a. Matthew Parker, der im August 1559 den Stuhl von Canterbury in Besitz genommen hatte, gelenkt werden sollte. Die 39 Artikel standen in einer langen Reihe von Lehrdokumenten. Die Theologie der Artikel war eindeutig den reformiert-protestantischen Strömungen zuzuordnen und darf als anglikanischer Versuch gesehen werden, die unterschiedlichen Traditionen aus Straßburg, Genf, Zürich und Wittenberg in Einklang zu bringen (sog. Via media).43 Insbesondere die Prädestinationslehre blieb strittig, und manche Formulierungen verdeutlichten einmal mehr die einzigartige Zweideutigkeit der elisabethanischen Kirche. Auf der anderen Seite blieb die liturgische Feiergestalt, wie sie im BCP niedergelegt war, eher den katholischen Auffassungen nahe und entsprach wohl insgesamt auch mehr den Vorlieben der Königin. Konflikte ergaben sich jedoch auch in Bezug auf die liturgischen Bestimmungen des revidierten BCP, da sich die Puritaner nach wie vor an den äußeren Zeichen (Adiaphora) störten und die Vorschriften heftig kritisierten. In den 1560er und 1570er Jahren kam es zu mehreren Kontroversen zwischen Episkopat und den Godly, wie die strengen Calvinisten in England sich selbst bezeichneten. Die 1570er Jahre bildeten den Höhepunkt der innerprotestantischen Auseinandersetzungen in der Kirche und waren vom Aufkommen des Presbyterianismus gekennzeichnet, der aus den calvinistischen Gemeinden in Genf nach England importiert wurde und vor allem in Schottland durch das Wirken von John Knox Fuß fassen konnte. Knox und die übrigen Calvinisten sollten jedoch im Königreich einen schweren Stand haben, da der eifrige Reformator sich "mit einem bemerkenswerten Gefühl für den falschen Zeitpunkt"44 jegliche Sympathien Elisabeths verspielt hatte. In seinem bereits Ende 1558 erschienenen Pamphlet The First Blast of the Trumpet against the Monstrous Regiment of Women, das ursprünglich gegen Königin Maria gerichtet war, wetterte er gegen weibliche Herrschaft auf jede nur erdenkliche Weise und bemerkte nun, dass dies ebenfalls auf Elisabeth zutreffen könnte.45 Die weiteren Jahre der elisabethanischen Kirche sollten zunehmend von den Flügelkämpfen zwischen Puritanern und Anglikanern geprägt werden. Die Monarchin ging mit zunehmendem Alter immer kompromissloser gegen Unruhestifter und Abweichler vor. Da Elisabeth bereits im Februar 1570 von Papst Pius V. (1504–1572) durch die Bulle Regnans in Excelsis exkommuniziert worden war, hatte sich im Zuge dessen auch die außenpolitische Situation mit der katholischen Großmacht Spanien drastisch verschlechtert.46 1588 unternahm König Philipp II. den wohl bekanntesten Invasionsversuch, als die Armada gen England segelte und die Spanier in der berühmten Schlacht von Gravelines eine schwere Niederlage erlitten. Elisabeth verstarb am 24. März 1603 ohne Nachkommen, so dass mit ihr auch die Zeit des Hauses Tudor endete und den Weg für die schottischen Stuarts ebnete, die fortan eine neue Dynastie in England begründeten und beide Königreiche in Personalunion regierten. Unter Jakob I. (1566–1625)[], dessen Königreich seit der Reformation in den 1560er Jahren vom Calvinismus dominiert wurde, näherten sich auch die beiden protestantischen Schwesterkirchen teilweise an. Überdies hielt der Stuartkönig sein Reich aus den konfessionellen Wirren des Dreißigjährigen Kriegs weitgehend heraus, um seine Rolle als Rex pacifius zu festigen. Insbesondere die puritanische Opposition störte sich jedoch an der neutralen Haltung des Regenten, weshalb auch die innerprotestantischen Spannungen weiter zunahmen, u.a. lehnten die presbyterianischen Schotten ein bischöfliches Regiment in Kirchendingen, das die Krone wiederum favorisierte, strikt ab. Der Konflikt zwischen königstreuen Anglikanern und radikaleren Puritanern zog sich durch die gesamte Herrschaft der Stuarts und mündete gar zwischen 1642 und 1649 im English Civil War, dessen Verheerungen erst nach der Thronbesteigung Karls II. (1630–1685)[] ab 1660 (sog. Restauration) überwunden werden konnten, nachdem sowohl die Monarchie als auch die Staatskirche zeitweise abgeschafft worden waren.
Zusammenfassung und Ausblick
Vor allem am Beispiel Englands lässt sich die Kirchenreform des 16. Jahrhunderts nachgerade als vielschichtiger Prozess zwischen Kontinuität und Diskontinuität beschreiben. Insbesondere unter den Tudors gelang so die Einbettung der Kirche in die sich nach und nach ausformenden Stukturen eines frühneuzeitlichen Staatswesens. Dies schloss den Gottesdienst der Kirche freilich immer mit ein, der unter dem Supremat der Krone diszipliniert und für die Durchsetzung einer obrigkeitsgeleiteten Reform dienstbar gemacht wurde. Während liturgische und doktrinelle Veränderungen unter der Regentschaft Heinrichs VIII. eher oberflächlich mit einem protestantischen Label versehen wurden und der theologische Konservativismus des Tudorkönigs die bestimmende Größe blieb, betrieben in der zweiten Phase der englischen Reformation Persönlichkeiten wie Erzbischof Thomas Cranmer von Canterbury oder John Knox (in Schottland) die Reform an Haupt und Gliedern voran. An dieser Stelle ist jedoch festzuhalten, dass gottesdienstliche und lehrmäßige Uniformität in den sich formierenden Nationalkirchen stets mehr Ideal als Realität blieb, das zeigen – trotz der Einführung gottesdienstlicher Agenden, allen voran des Book of Common Prayer in seinen zahlreichen Varianten – die besonders ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ausbrechenden Dispute und heftigen Flügelkämpfe innerhalb der protestantischen Strömungen selbst, welche bis zum Ende des 17. Jahrhunderts auch in England anhalten sollten. So drehte sich das Ringen zwischen Krone und Kirche oftmals nur in neuem Gewand, auch weiterhin um dieselbe Frage: nämlich inwiefern die Reformation im Land nicht gründlich genug erfolgt sei (thorough Reformation), etwa aus Sicht der englischen Puritaner. Dass jene Forderungen nach einer umfassenderen Kirchenreform nicht selten gegen den Willen des Herrschers erstritten wurden, lässt einmal mehr die religionspolitischen Dynamiken dieser Prozesse erkennbar werden, die wieder unter der Oberfläche hervortraten und England, Schottland und Irland im Verlauf von fast zwei Jahrhunderten tiefgreifenden Veränderungen unterwarfen. Gerade in der Adaption und Transformation gottesdienstlicher Strukturen erwies sich der Anglikanismus daher nicht einfach nur als goldener Mittelweg (Via media) zwischen römischem Katholizismus und Genfer Calvinismus, sondern als anpassungsfähiger Typus einer unabhängigen Landeskirche, die sich im Zuge des europäischen Reformationsgeschehens nachhaltig etablieren konnte.
Anhang
Quellen
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Literatur
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Anmerkungen
- ^ Eire, Reformations 2016, S. 354.
- ^ Maurer, Kleine Geschichte Englands 2007, S. 84.
- ^ Rex, Henry VIII 2006, S. 28f.
- ^ Loades, Relations between the Anglican and Roman Catholic Churches 1982, S. 3f.
- ^ MacCulloch, The Reign of Henry VIII 1995, S. 160.
- ^ Berg, Heinrich VIII. 2013, S. 164f.
- ^ Interessanterweise war die White Horse Taverne, der Treffpunkt zahlreicher reformgesinnter Gruppen, zeitweise auch als Little Germany bekannt. Haigh, English Reformations 1993, S. 58.
- ^ Wilson, A Brief History 2012, S. 93; Haigh, English Reformations 1993, S. 58f.
- ^ Haigh, English Reformations 1993, S. 60.
- ^ Marshall, Reformation England 2012, S. 32.
- ^ Haigh, English Reformations 1993, S. 89f.
- ^ Haigh, English Reformations 1993, S. 93.
- ^ Maurer, Kleine Geschichte Englands 2007, S. 98.
- ^ Eine Einwilligung in die Annullierungsbitte des englischen Königs hätte unabsehbare Folgen für den Bischof von Rom haben können, hätte er sich dadurch doch gegen Katharina von Aragón gestellt, die immerhin die Tante des damals mächtigsten Fürsten Europas war.
- ^ Marshall, Reformation England 2012, S. 38–40.
- ^ Berg, Heinrich VIII. 2013, S. 167.
- ^ Haigh, English Reformations 1993, S. 100.
- ^ Marshall, Reformation England 2012, S. 41f.
- ^ Haigh, English Reformations 1993, S. 106–109.
- ^ Haigh, English Reformations 1993, S. 110–114.
- ^ Rex, Henry VIII 2006, S. 11.
- ^ Rex, Henry VIII 2006, S. 14.
- ^ Haigh, English Reformations 1993, S. 120f.
- ^ Rex, Henry VIII 2006, 16f.
- ^ Maurer, Kleine Geschichte Englands 2007, 105.
- ^ Maurer, Kleine Geschichte Englands 2007, S. 106f.
- ^ Rex, Die Tudors 2006, S. 110–112.
- ^ Schnitker, The Church's Worship 1989, S. 15f.
- ^ Spinks, Liturgy and Worship 2017, S. 153.
- ^ Sheils, English Reformation 2001, S. 41; Barrie-Curien, Die anglikanische Reformation 1992, S. 220f.
- ^ Schnitker, The Churchʼs Worship 1989, S. 17.
- ^ Jeanes, Cranmer and Common Prayer 2006, S. 28–31.
- ^ Dennoch kam es nach der Einführung des Prayer Book zu kleineren Aufständen in Hampshire, Oxfordshire, Buckinghamshire und im nördlichen Yorkshire. Haigh, English Reformations 1993, S. 174f.
- ^ Marshall, Reformation England 2012, S. 70.
- ^ MacCulloch, Die zweite Phase der englischen Reformation 1998, S. 30.
- ^ Rex, Die Tudors 2006, S. 145–151.
- ^ Wilson, A Brief History 2012, S. 301.
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- ^ Berg, Die Tudors 2016, S. 107.
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