Religions- und Konfessionsräume@Religions- und Konfessionsräume@(ÜB)@freigabe

erstellt von Heinrich Richard Schmidt zuletzt geändert 2022-07-04T14:08:13+01:00
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Europa ist ein Raum, den die drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam – allerdings in unterschiedlicher Intensität – gestaltet haben: Man kann sogar sagen, dass Gleichzeitigkeit und Mixtur dieser Einflüsse entscheidend das ausmachen, was wir Europa nennen. Die Religionen gaben ihrem Glauben und ihrer Lehre einen normativen Ausdruck, der ein Loyalitätsverhältnis gegenüber Gott implizierte, das die Gläubigen dazu berief, die Welt nach seinem Willen zu gestalten. Dadurch prägten die Religionen die Art, wie Menschen sich selbst sahen, ihren Habitus oder ihre Selbstkompetenz, wie sie Gott verehrten, wie sie in Ehe und Gesellschaft lebten, wie sie Recht und Staat organisierten. Dabei zeigt sich bei aller Verschiedenheit eine große Ähnlichkeit. Dieser Beitrag skizziert, wie durch das Handeln von Akteuren entlang ihrer Konfession ihre Lebensräume religiös-konfessionell gefärbt wurden und sich so "Religions- und Konfessionsräume in Europa" bildeten. Er greift dabei Erfahrungen aus der mitteleuropäischen Konfessionalisierungsforschung auf. Er ist aber auch ein Beitrag zur historiographischen Verschränkung von Akteuren und Strukturen und zu aktuellen konzeptionellen Überlegungen der Raumsoziologie, die historisch fruchtbar gemacht werden.

Konfessionskultur und Raum: Vorüberlegungen

Zu Beginn sind wichtige Begriffe zu klären: Was ist ein Raum? Was macht einen konfessionellen Raum aus? Was unterscheidet Religionen und Konfessionen? Die letzte Frage erscheint als die einfachste: Religionen (Christentum, Judentum, Islam) werden durch die Kategorie "Konfession" in Untergruppen geteilt. Doch gerade diese einfache Antwort überzeugt nicht ganz, da sich Ähnlichkeiten zwischen Konfessionen verschiedener Religionen zeigen. So scheint das Reformiertentum z.B. dem Islam recht nahe, wenn es die gesellschaftliche Ordnung "an dem gsatz, das got geben hat", ausrichten wollte.1 So traf auch die Vorstellung eines göttlichen Seelenfünkleins im Menschen im Katholizismus oder die Vorstellung der Orthodoxie von der Vergottung des Menschen, die ihm einen freien Willen zum Guten gibt, auf verwandte Vorstellungen im Islam oder im Judentum. Anliegen dieses Beitrages ist es, neben den Unterschieden auch diese Verwandtschaften herauszuarbeiten, also auch die Gemeinsamkeiten und Überkreuzungen der Konfessionen sichtbar zu machen. Deshalb folgt dieser Beitrag einer insgesamt nicht sehr verbreiteten Position2 und nennt alle Zweige der großen monotheistischen Religionen "Konfession". Konfessionen sind sie alle, weil sie alle einen Glauben bekennen, der sich als Hingabe oder Treue zu Gott (lat. fides = Treue/arab. Islam = Hingabe) artikuliert und die Welt gestalten will. Alle haben sie Glaubensbekenntnisse, die, als Texte formuliert, ihre Identität stiften: das Apostolicum, das Nicäno-Konstantinopolitanum und das Athanasianum im Christentum, im Judentum das Schma Israel3 oder die Schahada im Islam.4

Christen beten im Apostolicum:

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.5

Und im Vaterunser beten sie: "Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden." Alle christlichen Subdenominationen schaffen darüber hinaus weitere Bekenntnisse, die sie verbindende und trennende Elemente enthalten6 (die Confessio Augustana, die Konkordienformel, das Tridentinische Glaubensbekenntnis, das Zweite Helvetische Bekenntnis, die Westminster Confession etc.).

Das jüdische Bekenntnis ist formal eine Ermahnung, die Gott an die Gläubigen richtet, welche sich mit der Verlesung aber zum Gehorsam bekennen, indem sie im vollen Sinne des Wortes hören (hören als gehorchen): "Höre Israel", lautet sein Eingang, "der Ewige, unser Gott, der Ewige ist einzig! Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig. Du sollst den Ewigen, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele und deinem ganzen Vermögen. Es seien diese Worte, die ich dir heute befehle, in deinem Herzen."7

"Ich bekenne: Es gibt keine Gottheit außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes", formuliert die muslimische Schahada den strengen Monotheismus dieser Konfession. Die Fatiha, mit welcher der Koran eröffnet wird, sagt diesem Gott Gehorsam zu und bittet ihn um Hilfe auf dem rechten Weg: "Gelobt sei Gott, der Herr der Welten, der Gnädige und Barmherzige und König des Jüngsten Tages! Dir dienen wir, und dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg derjenigen, denen Du gnädig bist, und nicht den Weg derjenigen, über die du zornig bist."8

Was aber ist ein Konfessionsraum? Wie können Konfessionen Räume formen? Die moderne Raumsoziologie versteht Raum als einen gestalteten Ort. Ein Ort ist ein Platz, eine Stelle, ein Körper, der sich geographisch lokalisieren lässt.9 Zu einem Raum wird der Ort, wenn Menschen ihn sich gestalten, ihm Sinn geben, ihn wahrnehmen, ihn mit Leben erfüllen:

Die Konstitution von Räumen geschieht durch (strukturierte) (An)Ordnung von sozialen Gütern und Menschen an Orten. Räume werden im Handeln geschaffen, indem Objekte und Menschen synthetisiert und relational angeordnet werden. Dabei findet der Handlungsvollzug in vorarrangierten Räumen statt und geschieht im alltäglichen Handeln im Rückgriff auf institutionalisierte (An)Ordnungen und räumliche Strukturen.10

Das heißt, ein Raum (etwa eine Kirche) wird einerseits durch die Gläubigen handelnd im Ritus geschaffen, andererseits ist er eine gegebene Struktur, in der die um sie Wissenden sich konform ("andächtig") verhalten.11 So kann beispielsweise ein Wald für Täufer zur Kathedrale werden, wenn sie in ihm Gottes Wort durch den Nachthimmel tönen hörenTäuferversammlung im Wald – umringt von Täuferjägern, unbekannter Künstler; Bildquelle: Zentralbibliothek Zürich, Ms F 23, fol. 394..

Ein Zimmer wird zum Gotteshaus, wenn das Schma Israel den Sabbat einläutet. Raum entsteht in und aus Aktionen. Raum muss deshalb akteursbezogen definiert werden.12 Dieser Raum kann, muss aber kein materiell-physisches Substrat13 haben, mit Ausnahme der Menschen, die ihn "machen". Der Raum, in dem sich Gott und der Gläubige begegnen, ist virtuell. Niemand kann ihn auf der Landkarte einzeichnen. Wenn die Quäker still der Herabkunft des Heiligen Geistes "harren", schaffen sie einen Raum ohne aktives Tun und ohne jeden Gegenstand.

Konfessionelle Räume sind Sonderfälle derartiger Kulturräume. Konfessionell gestaltete Räume sind auch als "Sinnprovinzen"14 oder "Sonderwelten", "Regional-Milieus"15 oder "Lebenswelten"16 bezeichnet worden, was der hier vorgestellten Sichtweise sehr nahe kommt. Kartierungen der Konfessionen in Österreich-Ungarn im 19. Jahrhundert auf der Basis von Zählungen der Glaubenszugehörigkeiten zeigen die konfessionelle VielfaltKonfessionelle Mehrheiten 1910 IMG. Denn selbst dort, wo einzelne Konfessionen dominieren, sind sie nicht allein gegenwärtig. Das zeigt sich deutlich, wenn man die Minderheit der Juden im selben Raum darstellt. Sie sind überall präsent mit ihrer Art zu leben und das heißt: Überall dort, wo Juden jüdisch leben, ist jüdisches EuropaDie Israelitische Glaubensgemeinschaft 1910/1911 IMG.

Hier zeigt sich nun ein weiterer Vorteil eines Konzepts, das von Konfessionen ausgeht. Es kann die Ergebnisse der an christlichen Denominationen orientierten Konfessionalisierungsforschung nutzen.17 Sie fasst Konfessionalisierung als Prozess, in dem Konfessionskulturen entstehen und sich laufend reproduzieren. Sie studiert die Art und Weise, wie die jeweilige Konfession die soziale Wirklichkeit bzw. den sozialen Raum konstruiert. Hat die Konfessionalisierung Ehe, Haus und Familie neu gestaltet und wenn ja, wie? Hat sie den Habitus von Menschen, ihre Mentalität verändert? Hat sie dörfliche und städtische Gemeinschaften neu gestaltet? Das fragt die Konfessionalisierungsforschung. So hat eine Studie beispielsweise die Wirkung reformiert-presbyterianischer kirk sessions (gemeindlicher Kirchenzuchtorgane) in Schottland untersucht und ihr die Entstehung einer "Puritan Nation" zugeschrieben, die eine ehedem in Gewalt und Hass versunkene Welt verwandelte.18

Im Folgenden werden daher die wichtigsten Lebensräume der Menschen auf ihre konfessionelle Färbung hin untersucht: der Raum des gläubigen Ichs, der individuelle Raum des Selbst also; das Gotteshaus, in dem dieses Selbst Gott begegnet und ihn verehrt; der Raum des Rechts in seiner religiösen Färbung, der alle sozialen Räume überwölbt, sowie die elementaren sozialen Räume der Ehe/Familie, der Gemeinde und des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dabei wird jeweils die konfessionelle Färbung in Unterkapiteln thematisiert. Zunächst wird die Verfassung der Konfessionen und ihr Verhältnis zum Staat untersucht, um anschließend die darin eingehegten menschlichen Lebensräume aufzuschließen. Ohne den Anspruch zu erheben, die Lebenswelten aller Konfessionen in ihrem Facettenreichtum darstellen zu können, sucht die folgende Darstellung das Typische und Musterhafte. Sie stützt sich dabei wesentlich auf Forschungen zur "Konfessionalisierungspraxis".

Konfessionelle Verfassungen und Kirchenordnungen

Eine Karte, die die "Verteilung" der Konfessionen in Europa zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt zeigt, kann wenigstens einen vagen Eindruck von der Komplexität der Verhältnisse geben und einen ersten Überblick verschaffen. Europa ist ein Kontinent der KonfessionenDie Konfessionen in Europa, Karte, 2003, unbekannter Ersteller; Bildquelle: Rudolf, Hans Ulrich / Oswalt, Vadim: Taschenatlas Weltgeschichte: Europa und die Welt, 2. Auflage, Gotha 2003, S.101, mit freundlicher Genehmigung des Klett Verlags..

Das katholische Europa

Die gleiche Färbung von Spanien, Portugal, Frankreich, Italien, Österreich, Irland und Polen mit "katholisch Blau" verdeckt die Unterschiede im Katholisch-Sein dieser Länder. Peter Hersche (*1941) unterscheidet den Raum des "Barockkatholizismus" vom strengen, fast protestantischen, "klassizistischen" Katholizismus19 mit seiner "jansenistischen" Färbung, der viel früher die Reformen des Tridentinums umgesetzt hatte als das "barocke Europa", und den "aufgeklärten Katholizismus" des späten 18. Jahrhunderts mit dem Josephinismus als Höhepunkt.20 Dem Modell des Barockkatholizismus, der nach Peter Hersche Verschwendung und Muße präferiert,21 entsprechen am ehesten Italien, Spanien und Portugal.22 Die Frömmigkeit blieb sinnlich, war wenig an das Wort gebunden, praktisch-haptativ: Heilige verehren, Feiertage begehen, Andachten feiern, an Prozessionen teilnehmen, Devotionalien gebrauchen.23

Frankreich unterscheidet sich durch eine relativ ernste, wenig theatralische, disziplinierte Frömmigkeit von diesem Typus.24 Das gilt insbesondere für den jansenistischen Katholizismus, der calvinistische Prinzipien aufnimmt, weniger für den jesuitischen französischen Katholizismus.25 Organisatorisch war die französische Kirche durch die Pragmatische Sanktion von Bourges 1438, erneuert in den Gallikanischen Artikeln von 1682, zu einer Staatskirche geworden, ähnlich dem vorreformatorischen Anglikanismus. Von staatlicher Seite und von Reformkongregationen ausgehend, aber auch als Antwort auf die Bedürfnisse des frühneuzeitlichen Kirchenvolkes kam es hier zu einer "Entbarockisierung" und zu einem besser ausgebildeten, besser kontrollierten und "disziplinierteren" Klerus: "Ihre seelsorgerlichen Pflichten nahmen diese Pfarrer ernst, Predigt und Katechese wurden zu Selbstverständlichkeiten. Sie suchten die Grundsätze ihrer Lebensführung, in denen einige Elemente der 'Protestantischen Ethik' wie Ordnungssinn, Zeitbewusstsein, Tagesplanung, Arbeitsamkeit und Fleiß nicht fehlten, auch ihren Pfarrkindern einzuimpfen."26 Und weiter: "Historisch-soziologisch steht diese spezifisch französische Religiosität im Spektrum der verschiedenen 'Katholizismen' dem Protestantismus am nächsten, und hier wieder am meisten dem 'katholisierenden' Anglikanismus."27

Eine von der Obrigkeit getragene Modernisierung von Staat und Kirche holte in kurzer Zeit einen Prozess nach, den die protestantischen Länder schon länger durchmachten, streckenweise konnten dabei die Protestanten sogar überholt werden, wie z.B. im Schulwesen mit den Felbigerschen Reformen im Bereich der Lehrerbildung, die auch in anderen katholischen Ländern nachgeahmt wurden. Das 19. und das 20. Jahrhundert brachten dann wieder eine weitgehende Abkehr von der Aufklärung hervor, die mit dem Zweiten Vaticanum vorläufig endete.28

Im Katholizismus bedeutet die Existenz von zwei getrennten Organisationen (Kirche – sacerdotium vs. Staat – imperium) ein schwächeres Kirchenregiment als in protestantischen Territorien.29 Wo hingegen weltliche und kirchliche Hoheit in einer Hand lagen, ergab sich ein Staatskirchensystem: im Kirchenstaat, in dem auch die weltliche Hoheit in der Hand des Kirchenfürsten lag, in Spanien, Portugal, Frankreich und dem vorreformatorischen wie im nachreformatorischen anglikanischen England mit der Kirchenhoheit des Königs, in Deutschland in den geistlichen Fürstentümern.30 Hier war die Konfessionalisierung wesentlich ein Produkt des Zusammenwirkens von geistlichen Institutionen wie den Visitationen und der weltlichen Macht. Eine ähnliche Situation ergab sich in weltlichen Staaten, wo sich "Geistliche Räte" der Kirchenleitung annahmen oder zu ihr in Konkurrenz traten, wie in Bayern und dem katholischen Teil Badens.31 Auch in Österreich war die Gegenreformation Sache des Landesherrn.

Die eigentliche kirchliche Struktur blieb dabei im Katholizismus unverändert: Dem Papst unterstanden hierarchisch abgestuft Erzbischöfe, Bischöfe mit Domkapiteln an der Seite, Offiziale und Archidiakone, Pfarrer, Gemeinden – eine von oben nach unten aufgebaute KircheIdealtypische Darstellung einer katholischen Diözese, Graphik, 1992, Urheber: © Heinrich Richard Schmidt; Bildquelle: Privatbesitz..

Das anglikanische Europa

Den Anglikanismus32 gab es schon vor der Reformation als von Rom organisatorisch getrennte Staatskirche, worin er dem Gallikanismus in Frankreich ähnelte. Das frühneuzeitliche England war in der Lehre zwinglianisch-calvinistisch, in der Gottesdienstform katholisch, in der Kirchenorganisation bischöflich-vorreformatorisch mit den Erzbischöfen von York und Canterbury und dem König als oberstem Kirchenherrn an der Spitze.33 Besonders gegen die katholisierenden Tendenzen des Gottesdienstes und die "unreformierte" Kirchenordnung richtete sich der Puritanismus, dem es aber nur vorübergehend gelang, den Anglikanismus dem festländischen (oder dem in Schottland durchgesetzten) presbyterial-synodalen Modell anzunähern oder eine Kirche aus Einzelgemeinden (Independenten) zu errichten.

Das lutherische Europa

Trotz der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre waren die lutherischen Kirchen Staats- oder Landeskirchen.34 Im Alten Reich banden die landeskirchlichen Verwaltungsbehörden die Kirche in die staatliche Struktur ein. Die Kirche wurde zu einem top-down-Verwaltungsapparat, in dem ein Instanzenzug von oben nach unten verlief: von einem Konsistorium über die Superintendenten (bzw. Dekane) zu den Pfarrern vor OrtDie idealtypische Gliederung einer lutherischen Landeskirche (Kursachsen), Graphik, unbekannter Ersteller, 1987; Bildquelle: Jedin, Hubert / Latourette, Kenneth Scott / Martin, Jochen: Atlas zur Kirchengeschichte: Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart, Herder Verlag, 3. Auflage, Freiburg im Breisgau 1987, S. 74, mit freundlicher Genehmigung des Herder Verlags..

Erst im 17. Jahrhundert entstanden in einzelnen Territorien, Württemberg ist am besten erforscht, lokale kommunale Kirchenräte, die hier so genannten Kirchenkonvente.35 Mit ihnen kehrte eine gemeindliche Sittenaufsicht und -korrektur, wie sie sonst im Reformiertentum üblich und kirchenbildend war, auch ins deutsche Luthertum ein.

Die skandinavischen Länder behielten die Bischofsverfassung bei, auch wenn die Bischöfe wie in Dänemark zu "Superintendenten" umbenannt wurden. Wesentlich ist allerdings im Unterschied zur vorreformatorischen Zeit, dass die Bischöfe/Superintendenten ihr Amt als "Repräsentanten unseres Königs" ausübten.36 "Der König wurde somit zum obersten Repräsentanten der Kirche. Als christliche Obrigkeit besaß er die Verantwortung für die ganze Gesellschaft, die Kirche und den Seelenfrieden der Untertanen."37 In Dänemark, Schweden und Finnland besaßen die Bauern trotzdem eine starke lokale Selbstverwaltung auch in kirchlichen Dingen.38 Der schwedische Kirchspielrat (Sockenstämma) und die 1629 eingeführten dänischen Presbyterien hatten das Vorschlagsrecht für die Pfarrer, Einfluss auf die Verwaltung des Kirchengutes und führten die Sittenzucht durch, die damit einen konsistorial-reformierten Zug bekam.39

Das reformierte Europa

Territorial40 war die reformierte Kirche sehr unterschiedlich organisiert, es gab jedoch kaum Unterschiede in ihrer lokalen Gestalt. Die lokale Kirche, in der die zumeist vier Ämter der Predigt, der Lehre, der Fürsorge (Diakonie) und der Kirchenzucht ausgeübt wurden, konstituierte im reformierten Verständnis "den Leib Christi". Deshalb besaß die Zucht, welche u.a. der Reinheit dieses Leibes diente, in diesen Kirchen eine besondere Bedeutung. Die Tatsache, dass die Kirchenzucht in allen Gemeinden, selbst in den besonders "etatistischen" Territorien, bestand, ist typisch für die Reformierten, das heißt die Calvinisten, die Zwinglianer und die Erastianer (reformierte Kirchen wie die kurpfälzische mit starker Staatsordnung jenseits der kommunalen Kirche).

Der Kirchenaufbau41 musste "an sich" bei der Ausgangslage, dass nämlich eine lokale Gemeinde die Kirche ist, zu einem synodalen Aufbau führen, moderner und allgemeiner gesagt: zu einem republikanischen Aufbau, bei dem Delegierte der Kirchgemeinden sich regional, auf Provinzebene und schließlich national zu Synoden oder Parlamenten zusammenfinden. Das war auch der Fall in den Niederlanden, in Mark und Ostfriesland, zwei deutschen Gebieten mit schwacher Landesherrschaft, in Graubünden sowie bei den französischen hugenottischen Kirchen und der schottischen KircheOrganigramm einer presbyterial-synodale reformierten Kirche, Graphik, 2012; Bildquelle: © Heinrich Richard Schmidt..

Anderswo waren die Synoden Instanzen einer Staatskirche über eine untertänige Landschaft wie etwa in Bern. In Ungarn stand an der Spitze des pfarrer-synodalen Systems ein kollegiales oder konsistoriales Organ oder ein gewählter Bischof.

Wo nach der lutherischen Reformation und Kirchenreform eine reformiert orientierte "Zweite Reformation" stattfand, wie z.B. in der Kurpfalz, griff sie auf die bestehende lutherische Kirchenordnung zurück, die an der Spitze ein "Konsistorium" oder einen "Kirchenrat" besaß, die direkt dem Landesherrn unterstellt waren: ein Regierungsdepartement für die kirchlichen Angelegenheiten. Ähnlich wie in der Kurpfalz war die reformierte Kirche in Hessen-Kassel, in Bentheim und Nassau-Dillenburg oder Pfalz-Zweibrücken aufgebautReformierte Kirchenverfassung der Kurpfalz um 1600, Graphik, unbekannter Ersteller, 1987; Bildquelle: Jedin, Hubert / Latourette, Kenneth Scott / Martin, Jochen: Atlas zur Kirchengeschichte: Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart, Herder Verlag, 3. Auflage, Freiburg im Breisgau 1987, S. 75, mit freundlicher Genehmigung des Herder Verlags..

Das orthodoxe Europa

Die orthodoxe Kirche umfasst unter dem "Ökumenischen Patriarchen" von Konstantinopel die orthodoxen Landeskirchen Griechenlands, Russlands, Bulgariens, Serbiens, Rumäniens, Zyperns und Georgiens.42 Die orthodoxen Kirchen besitzen eine synodale Struktur. Die Bischöfe leiten unter Vorsitz des Erzhierarchen (Patriarchen) die orthodoxen Nationalkirchen. Da sich oft nicht alle Bischöfe versammeln konnten, stand dem Patriarchen in der Regel ein Ausschuss von Bischöfen zur Seite.43 In der russischen Kirche war dies der "Heiligste Synod". Das war, wie unten dargestellt, eine staatliche Kirchenbehörde an Stelle des Patriarchats. Gewählt wurde der Patriarch von einem Konzil aus Bischöfen und einigen Geistlichen und Laien.

Die orthodoxen Kirchen waren in ihrer konzeptionell-theologischen Ordnung eingebettet in eine "Symphonie zwischen Staat und Kirche".44 Nachdem die griechisch-orthodoxe Kirche und die orthodoxen Kirchen des Balkans durch die osmanische Eroberung einem fremdkonfessionellen islamischen Staat gegenüberstanden, konnte dieses Grundprinzip allerdings nur noch im zaristischen Russland verwirklicht werden.

Seit dem 15. Jahrhundert (endgültig Ende des 16. Jahrhunderts) war die russisch-orthodoxe Kirche autokephal, das heißt sie bildete unter dem Moskauer Patriarchen eine Nationalkirche.45 Der Zar sollte den reinen Glauben und die materielle Existenz der Kirche sichern. Er regierte aber auch in die Kirche hinein und befasste sich mit theologisch-liturgischen Fragen. Die Symphonie von Kirche und Staat konnte leicht in eine Dominanz und Instrumentalisierung der Kirche durch den Staat umschlagen. Das geschah in Russland unter Peter I. (1672–1725). Peter nahm der Kirche die institutionelle Selbständigkeit und baute sie in die Staatsverwaltung ein.46 Das vakant gewordene Amt eines Patriarchen wurde 1700 nicht wieder besetzt, 1721 sogar ganz abgeschafft. An seine Stelle trat in Nachahmung der politischen Kollegien – wie übrigens auch in den protestantischen Staaten – ein Rat mit dem Titel des "Heiligsten Dirigierenden Synods" aus 12 Mitgliedern, die Beamtenstatus besaßen und dem Zaren die Treue schworen.47 Die Kirche war ein Regierungsdepartement für die religiösen Angelegenheiten geworden. Die Orthodoxie hatte also in der Frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert eine ähnliche Struktur wie Anglikanismus und Gallikanismus oder die iberischen Kirchen.

Das jüdische Europa

Im durch die Reconquista allmählich wieder christlich beherrschten iberischen Raum verschlechterte sich die Situation der Juden gegenüber der maurischen Zeit rasch. 1380 verloren die sogenannten Sepharden (Sefarad = Iberien, daher der Name für die iberischen Juden)48 im christlichen Spanien ihre Gemeindegerichtsbarkeit. Da sie ein enges Verhältnis zur christlichen Gesellschaft gepflegt hatten, traten Juden in der Folge in großer Häufigkeit zum Christentum über (conversos).49 1492 mussten alle Juden Spanien, wenig später auch Portugal, Neapel und Sizilien verlassen.50 Die sephardischen Juden und auch die formal Christen gewordenen conversos siedelten sich nach der Vertreibung in Südosteuropa (besonders in Griechenland und im Osmanischen Reich), den Niederlanden, Nordwestdeutschland, Afrika, Asien und Amerika an.

Die sogenannten Aschkenasen (Juden aus Deutschland, Nordfrankreich, Norditalien, Britannien) lebten hauptsächlich im Deutschen Reich (Aschkenas = hebräisch für Deutschland). Die Judenschaften Englands und Frankreichs hatten – wie die Spaniens und Portugals – durch die Vertreibungswellen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts aufgehört zu existieren.51 Die verschiedenen Krisen und Pogrome, unter denen das mitteleuropäische Judentum zu leiden hatte, führten aber stets zu Auswanderungswellen nach Osten, besonders nach Polen und Litauen, so dass sich die aschkenasischen Juden seit dem 15. und 16. Jahrhundert in diesen beiden Teilen der polnischen Krone konzentrierten.52 Im 15. Jahrhundert lebten bei einer Gesamtheit von zwei bis drei Millionen Bürgern rund 150.000 Juden im Königreich Polen, die also 5–7 Prozent der Bevölkerung stellten.53 Mitte des 16. Jahrhunderts waren von 7,5 Millionen Bürgern in Polen-Litauen 300.000 Juden, also rund 4 Prozent der Bevölkerung.54 Nach dem Pogrom unter dem Kosakenführer Bogdan Chmel'nickij (ca. 1595–1657) 1648 begann eine Rückwanderung aus Polen nach Deutschland.55

In Polen-Litauen, wo seit dem 15. Jahrhundert die Mehrheit der europäischen Juden lebte,56 bestimmte das "Statut von Kalisz", das den Juden innere Selbstverwaltung garantierte, bis ins 18. Jahrhundert den Rahmen der jüdischen Lebensweise. Die Gemeinden schufen hier auch überkommunale Strukturen. Damit kam es zur Verwirklichung von Organisationsformen, die einer Art von jüdischer Staatlichkeit nahe kam, welche als ideal galt. Durch Zusammenschluss mehrerer Gemeinden oder durch Unterstellung von kleineren unter die Leitung einer größeren Gemeinde entstanden regionale Provinzen (Galil), die sich auf Landesebene zu einer Medina (Staat) zusammenschlossen. Die synodalen Versammlungen auf diesen Ebenen hießen Waad ha-Galil für den jüdischen Landtag oder Waad ha-Medina.57 Organisatorisch glichen die Instanzen dieser Organisationen denen der Gemeinde (siehe unten). An ihrer Spitze standen von den Gemeinden bzw. ihren Vertretern gewählte Älteste (Parnassim) und ein Rabbiner für das jüdische Recht (Halacha). Eine Rechtserzwingung gegen die Einzelgemeinde war wegen der starken kommunalistischen Verfasstheit der Judenschaft aber kaum möglich. Den Höhepunkt erreichte die jüdische Selbstverwaltung in Polen im "Rat der vier Länder" (Kleinpolen, Großpolen, Podolien und Wolhynien, Waad Arba Arazot) und in Litauen im "Rat der Großgemeinden im Staat Litauen" (Waad Medinat Lita).58 Die Räte bestanden jeweils aus zwei Häusern, einem politischen und einem gerichtlichen Gremium.59 1764 wurde der Vierländerrat vom polnischen Reichstag (Sejm) aufgelöst, wonach nur noch die lokalen Gemeinden mit ihrer Verwaltung (Kahal) die Ordnung repräsentierten, bis auch sie 1844 vom zaristischen Russland aufgehoben wurden.60

Die "Territorialisierung der deutschen Juden",61 die im Reich geblieben waren, entstand dadurch, dass die kaiserlichen Schutzrechte allmählich als Judenregalien an die Fürsten und Herren gelangten. Mitte des 17. Jahrhunderts gab es nur noch landesherrliche oder ritterschaftliche Juden im Deutschen Reich, kaiserliche Juden dagegen nur noch in einzelnen Reichsstädten und den habsburgischen Erblanden.62 Die Juden organisierten sich seither auf der Basis der Landesherrschaften als Landjudenschaften (Judenlandtage).63 An ihrer Spitze standen ein Oberrabbiner und ein Fürsprecher der Judenschaft beim Landesherrn (Schtadlan, Landesbarnosse).64 Anfang des 19. Jahrhunderts lebten im deutschsprachigen Mitteleuropa zwischen 400.000 und 500.000 Juden,65 1910 gab es 615.000 Juden in Deutschland, also gleichbleibend rund 1 Prozent der Bevölkerung.66

Das islamische Europa

Der Islam ist seit sehr langer Zeit in Europa präsentIslamische Staaten in Europa um 1480, Karte, 2012, Bildquelle: Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (2012). Creative Commons Attribution - Noncommercial - No Derivative Works 3.0 Germany License.. Das maurische Spanien67 entstand in raschen Eroberungszügen seit dem Jahr 710 und endete mit der Ausweisung der zwangsgetauften letzten Muslime im Jahr 1614Al Andalus: Das maurische Spanien und die Etappen der Reconquista, Karte, 2003, unbekannter Ersteller; Bildquelle: Rudolf, Hans Ulrich / Oswalt, Vadim: Taschenatlas Weltgeschichte: Europa und die Welt, 2. Auflage, Gotha 2003, S. 69, mit freundlicher Genehmigung des Klett Verlags..

In Al-Andalus, wie das maurische Spanien sich selbst bezeichnete, kam es zu häufigen Konversionen von Hispano-Romanen zum Islam. Erst die im 11. Jahrhundert beginnende Reconquista machte in zähem Ringen und gestützt auf den im äußersten Norden der Halbinsel noch unabhängigen christlichen Teil, der den Anspruch auf ganz Spanien im westgotischen Königtum verwurzelt sah, die Islamisierung dieses Teiles von Europa rückgängig.68

Im Großen und Ganzen war Al-Andalus als Kalifat69 organisiert, bis es durch die Niederlage der muslimischen Truppen gegen ein Kreuzzugsheer bei Las Navas de Tolosa 1212 endgültig in Teilkönigreiche zerbrach.70 In rascher Folge fielen sie vor dem Ansturm der Christen, bis 1246–1492 nur noch Granada übrig blieb. Mit seiner Einnahme begann die Geschichte der moriscos, der seit dem Verbot des Islam in Kastilien 1502 und 1526 in Aragon nominell zum Christentum konvertierten Muslime im gesamten Königreich Spanien.71 Nur eine Minderheit hatte das Exil als Alternative vorgezogen. Diese nominellen oder realen Christen unterstanden nun der Inquisition. Mit der Provinzialsynode von Granada 1565 begann eine Ausrottungspolitik: Alle Formen der muslimischen Kultur (Sprache, Kleidung, rituelle Waschungen und Bäder, Tänze etc.) wurden verboten; die 1568–1570 dagegen ausgebrochene Rebellion endete mit der Umsiedlung von 70.000 Familien aus Granada in altkatholische Gebiete Kastiliens.72 Alle Versuche einer Zwangskonfessionalisierung, das heißt einer tatsächlichen Konversion der Morisken, scheiterten. Es kam 1609–1614 zu Deportationen,73 die auch Morisken trafen, die im Unterschied zur Mehrheit wirklich Christen geworden waren: rund 300.000 Menschen bei einer Gesamtbevölkerung Spaniens von 8,5 Millionen.74

Selbst unter den Berber-Dynastien seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, die insgesamt eher eine konfrontative Politik betrieben, blieben die Christen (Mozaraber, weil sie sich kulturell arabisiert hatten) und die Juden in ihrer Religion in aller Regel unangetastet; das Arabische übernahmen aber auch sie.75 Die bedeutendsten Werke der jüdischen Philosophie und Theologie erschienen auf Arabisch; und selbst die hebräische Sprache fand durch die Dominanz des sprachgeschichtlich verwandten Arabischen zu neuer Lebendigkeit. Die Werke Platons (427 v. Chr.–347 v. Chr.) und Aristoteles' (384 v. Chr.–322 v. Chr.), die im arabischen Raum einen größeren Nachhall gefunden hatten als im europäischen Frühmittelalter, wurden in arabischer Übersetzung auch im maurischen Spanien verbreitet und seit der Eroberung Toledos auf Veranlassung der christlichen Könige ins Lateinische übersetzt, so dass man sagen kann, die antike Philosophie habe wesentlich durch die Araber wieder nach Europa gefunden.

Die zweite islamische Region Europas lag in der osteuropäischen Ebene. Hier existierten Chanate, die als Abspaltungen der Goldenen Horde entstanden waren.76 Bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaus bestand das Chanat der Krim, das 1478 ins Osmanische Reich, nach 1783 ins zaristische Russland integriert wurde.

Die dritte muslimisch beherrschte Region in Europa lag auf dem Balkan.77 Das Osmanische Reich dehnte seine Herrschaft über den Balkan schon im 14./15. Jahrhundert aus, 1453 fiel Konstantinopel, 1459 wurde Serbien unterworfen, 1460 der Peloponnes, 1463 Bosnien, zwischen 1526 und 1541 wurde der größte Teil Ungarns erobert, Rhodos wurde 1522, Zypern 1571 osmanischer Herrschaft unterstellt,78 Kreta 1669. Besonders in den Gebieten, in denen innerhalb des Christentums von Orthodoxen und Katholiken als häretisch angesehene christliche Gruppen wie die Bogumilen dominierten, kam es rasch und umfassend zu einer Islamisierung, das heißt zu in der Regel freiwilligen Konversionen zum Islam. Besonders ist hier Albanien zu nennen, von dem Teile schon 1431/1432 in die Hände der Osmanen gefallen waren, endgültig osmanisch war das Land 1479.79

Aus dem bosnisch-herzegowinischen Grenzgebiet lassen sich aufgrund von Steuerbüchern auch die Konfessionszugehörigkeiten ermitteln.80 Waren in Bosnien 1468 noch fast alle Haushalte christlich, so stieg der Anteil der Muslime bis 1485 auf 11,9 Prozent, 1489 auf 14,5 Prozent, zwischen 1520 und 1535 auf 46,3 Prozent, in der Herzegowina erreichte er 1520–1535 42,8 Prozent. In den bosnischen Städten war der Unterschied in der Verteilung erheblich, mancherorts blieben die Christen in der klaren Mehrheit, in Sarajevo dagegen waren um 1600 über 96 Prozent der Einwohner Muslime.81 1789 lebten in Bosnien insgesamt schätzungsweise 600.000 Menschen, davon 265.000 Muslime, 79.000 Katholiken und 253.000 Orthodoxe.82 Der hohe Anteil von Muslimen in Bosnien schuf eine muslimische Oberschicht, während in den osmanischen Gebieten Ungarns nie ein vergleichbarer Islamisierungsprozess stattfand.83 Siebenbürgen wurde nicht direkt vom Osmanischen Reich regiert, sondern wurde zu einem Vasall des Sultans in Konstantinopel.84 Die Expansion des Osmanischen Reiches endete 1683 mit der zweiten Belagerung Wiens in der Schlacht am Kahlenberg. Es verlor in der Folge Ungarn (Belgrad fiel 1688, Sarajevo 1697), 1699 gingen mit dem Frieden von Karlowitz85 auch Kroatien, Siebenbürgen und Slawonien verloren, mit Ausnahme des Banats.86 Das "historische Ungarn" war nun habsburgisch.

An der Spitze der Hierarchie der islamischen Welt stand der Kalif, ursprünglich der geistliche und weltliche Führer der Gemeinschaft. Im Osmanischen Reich übernahm der weltliche Herrscher (der Sultan) das Kalifat (bestand bis 1924) mit dem Sultanat (1922 in der Türkei abgeschafft). In den Städten und für die Provinzen oder Distrikte stützte sich der Sultan/Kalif auf juristisch geschulte Kadis, die die Scharia anwandten und weltliche und sakralrechtliche Gerichtsbarkeit in einer Hand vereinigten.87 Das macht den theokratischen Grundzug der islamischen Ordnung sichtbar.

Konfessionelle Lebenswelten

Gottes- und Menschenbild

Die abendländische Christenheit

Zentral für das Menschenbild der Christenheit ist die von Paulus (im Neuen Testament) entwickelte Theologie und damit zusammenhängende Anthropologie, auf der die spätere Erbsündenlehre aufbaut. Von weitreichender Wirkung war die Sündenlehre des Augustinus (354–430):88 Danach hat der Mensch seine ursprüngliche Freiheit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und zu wählen, die er noch im Paradies besessen hatte (posse non peccare), verloren, als er der Schlange folgte und vom Baum der Erkenntnis aß. Er kann aus sich heraus nun nicht mehr ohne Sünde sein (non posse non peccare). Durch Christi Erlösertod wird diese Erbsünde vom Menschen genommen. In der Taufe wird der Mensch in den Bund mit Gott aufgenommen, was ihm die Möglichkeit eröffnet, in ständigem Kampf gegen das Böse nicht zu unterliegen bzw. Gottes Vergeltung zu erhalten. Das ewige Leben erlangen diejenigen, welche Gott dazu auserwählt hat (praedestinatio). In der strengen Form der doppelten praedestinatio (praedestinatio gemina) als Erwählung und Verwerfung hat nur der Calvinismus die Prädestinationslehre bewahrt; in bestimmten Strömungen wurde sie zu einem sehr wichtigen Element seiner Lehre.89

Nach Augustinus steht – anlehnend an Traditionen der griechischen Philosophie und bestimmten Strömungen innerhalb des Neuen Testaments – der Geist gegen das Fleisch, das als die Summe aller widergöttlichen Begierden wirkt (als die concupiscentia). Es entsteht ein Leib-Seele-Dualismus, der die abendländische Christenheit zutiefst geprägt hat.90 Darüber, wie die mit der Taufe gegebene Möglichkeit einer neuen Gemeinschaft mit Gott realisiert werden kann, trennen sich die christlichen Konfessionen.

Das katholische Europa

Der Christ hat nach katholischer Auffassung, wie sie vom Konzil von Trient (1545–1563) kodifiziert worden ist, einen freien Willen und wirkt an seiner Rechtfertigung mit.91 Dabei kann die (katholische) Kirche ihn wirksam unterstützen durch ihr Lehramt, die Sakramente und die Gnadenschätze der Heiligen. Zentral für die Sündenvergebung ist das Sakrament der Buße, in der der Priester an Gottes statt Sündenvergebung zuspricht (Absolution) und Satisfaktionsleistungen zum Abtragen der Schuld auferlegt.92

Das lutherische Europa

Das lutherische Verständnis Gottes ist wie das reformierte anfangs klar prädestinatianisch, das heißt, Gott rechtfertigt den Menschen und schenkt Heil. Die Werke der Menschen sind niemals ausreichend, da der Mensch aus sich heraus nicht zum Guten fähig ist. Es ist also – Gott kann dabei in Analogie zu einem weltlichen Fürsten und seinem Recht zu einem Gerichtsurteil gedacht werden – die Gnade Gottes, die den an sich unwürdigen Menschen ins Heil einsetzt. Diese Gnade bleibt aber nicht "folgenlos" wie eine bloße Urkunde, sondern sie schenkt den Glauben. Dieser Glaube äußert sich in guten Werken, die also nicht als Voraussetzung, sondern als Folge der Gnade verstanden werden: sola fide, sed fides nusquam sola (allein aus Glauben, aber der Glaube bleibt niemals allein).93 Die äußere Welt ist das Lebens- und Tätigkeitsfeld der Gläubigen und der Ungläubigen, also derer, die das Heil nicht erlangen werden, auch wenn sie getauft und Glieder der äußerlichen Kirche sind. Auch wenn Werke für das Heil irrelevant sind, hat sich auch im Luthertum für den Bereich der christlichen Lebensführung eine Lehre etabliert, die den tertius usus legis (vgl. Philipp Melanchthon (1497–1560)) und das pädagogische Element der Gebote Gottes betonte. Wahrer Glaube orientiert sich in den aus ihm hervorgehenden Werken an den didaktischen Maßstäben der Gebote, die auf diese Weise zu ethischen Richtwerten werden. Eine diese Ausrichtung missachtende Gesellschaft hätte mit der Strafe Gottes zu rechnen. So konnte auch im Luthertum ein Weltgestaltungsimpuls wirksam werden.

Das reformierte Europa

Für Johannes Calvin (1509–1564) ist der allmächtige und gerechte Gott das Zentrum seiner Theologie. Es geht Calvin zum einen um dessen Ehre, zum anderen um die individuelle Heilsgewissheit. Die Verherrlichung Gottes geschieht in dieser Welt im Kampf gegen das Böse (Satan). Nach der These Max Webers (1864–1920) ist die Fähigkeit, an dieser Verherrlichung aktiv und frei mitzuwirken, für den calvinischen Christen ein verlässliches Zeichen seiner Erwählung, wenn er die fides efficax hat, also den wirksamen Glauben, mit dem Gott alle Erwählten beschenkt:

Nur ein Erwählter hat wirklich die fides efficax, nur er ist fähig, vermöge der Wiedergeburt (regeneratio) und der aus dieser folgenden Heiligung (sanctificatio) seines ganzen Lebens Gottes Ruhm durch wirklich, nicht nur scheinbar, gute Werke zu mehren. Und indem er sich dessen bewusst ist, dass sein Wandel – wenigstens dem Grundcharakter und konstanten Vorsatz (propositum oboedientiae) nach – auf einer in ihm lebenden Kraft zur Mehrung des Ruhmes Gottes ruht, also nicht nur gottgewollt, sondern vor allem gottgewirkt ist, erlangt er jenes höchste Gut, nach dem diese Religiosität strebte: die Gnadengewißheit.94

Disziplin im Sinne einer ständigen Selbstkontrolle, einer seelsorgerlichen Begleitung und durchaus auch einer rigiden Überwachung durch die Gemeinde wird deshalb von manchen als Unterscheidungskriterium innerhalb der abendländischen Christenheit eingestuft. Das protestantische, besonders das reformierte Europa zielten stärker auf eine an innerweltlich-ethischen Maßstäben ausgerichtete Lebensführung ab als der Katholizismus (vielleicht mit Ausnahme des Jansenismus),95 der Anglikanismus und die Orthodoxie. Und sie erstrebten eine Verchristlichung der Welt: das "regnum Christi (est) etiam externum".96

Das orthodoxe Europa

Die Orthodoxie kennt nicht die gleiche, in der mittelalterlichen Theologie vorgeprägte Vorstellung vom Verhältnis des Menschen zu Gott, in dem jener in einer Schuld steht, die nur durch Gnade (Protestantismus) oder durch Gottes Gnade und den Gnadenschatz der Kirche (Katholizismus) wieder gutgemacht werden kann. Sie ist in ihrer Anthropologie wesentlich spiritualistischer. Auch nach dem Sündenfall bleibt im Menschen trotz aller seiner Sündhaftigkeit ein Kern des Göttlichen, dem er nachgebildet wurde, wirksam: Ansätze der Willensfreiheit und damit die Fähigkeit zum Guten.97 Durch die ihm von Gott geschenkte göttliche Kraft (Vergottung, Theosis) kann der Mensch mitwirken (Synergie, Synergismus) an seinem eigenen Heil und dem der Welt. Das wird – weil das Strafe-Lohn-System in der Orthodoxie nicht derart dominant ist wie im Westen – nicht als Verdienst gewertet, sondern als Prozess allmählicher "Vergottung".98

Das jüdische Europa

Obwohl das Judentum einen menschlichen Hang zum Bösen (böser Trieb, Jezer ha-Ra) sieht, ist ihm die Vorstellung einer erblichen Weitergabe von Sünde ("Erbsünde") fremd. Es gibt nur die aktuelle Tatsünde. Der Mensch ist frei, sich für Gut oder Böse zu entscheiden.99 Deshalb können göttliche Gebote, die den Weg ins Heil sichern, zum erfüllbaren statt zum schrecklichen Gegenüber werden. Das ganze Volk Israel ist auserwählt und durch den Sinaibund, einen Bund, der für die ganze Weltzeit gilt, zum Gottesvolk geworden.100 Sein Bundeszeichen ist die Beschneidung, durch die das Erbe der Verheißung weitergegeben wird. Auch die Vorstellung eines Endgerichts gibt es im Judentum durchaus. Damit hängt eine Form von Sendungsbewusstsein zusammen, die die Erlösung als Teil der eigenen Verantwortung begreift, durch die die kommende Welt als Fortsetzung der jetzigen historischen, als Verwirklichung des "Reiches Gottes auf Erden" verstanden wird .101

Das islamische Europa

Die Vorstellung von einer Erbsünde, die den Menschen existentiell unfähig macht, Gott aus freiem Herzen zu lieben und den Geboten zu folgen, diese "Unheilssituation" kennt der Islam nicht.102 Schwach und vergesslich ist der Mensch, doch im Kern ist er gut.103 Die Ansicht, dass durch die Annahme eines freien Willens Gottes Allmacht beeinträchtigt würde, weil Gott in seinem Gerichtsurteil dann ja vom Menschen abhängig wäre, hat zwar zu einer Prädestinationsvorstellung geführt, diese ist aber nicht prägend geworden.104 Die Aschariten formulierten einen mittleren Weg:105 Gott hat alles geplant und vorbestimmt, der Mensch ist aber relativ frei in seiner Aneignung der Handlungsmöglichkeiten, die ihm Gott zur Verfügung stellt. Damit sind die volle Verantwortlichkeit des Menschen und seine Fähigkeit, alle Gebote auch wirklich zu erfüllen, zentral für den Islam geworden.106 Der Mensch ist Gottes Khalifa, sein Stellvertreter.107

Nach der Vorstellung des Koran existieren ein Urpakt Gottes mit den Menschen und eine Uroffenbarung seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Im Innersten seines Herzens weiß der Mensch um Gott und dessen absolute Souveränität; der Gehorsam und die Kraft zur Ergebung in Gottes Willen sind in jedem Menschen verankert und jedem Menschen zugänglich.108

Der Mensch hat die Gebote im rituellen und im ethischen Bereich zu erfüllen. Zu den rituellen Geboten zählen das Glaubensbekenntnis, das Pflichtgebet, das Fasten, die Armensteuer und die Wallfahrt nach Mekka, die als die fünf Finger der Hand der Fatima symbolisiert werden, welche ein beliebtes Schmuckstück ist. Die ethischen Gebote gleichen denen der Tora bzw. des Alten Testamentes:109 Gott allein zu ehren, den Eltern Güte zu erweisen, dem Armen zu helfen, nicht zu töten, nicht Unzucht zu treiben, nicht zu stehlen, gerechtes Maß zu geben und nicht in Übermut zu verharren.

Eine Trennung von profanen und heiligen/religiösen Bereichen des Lebens gibt es nicht:

Das ganze Leben ist mit Religion durchtränkt, und wie es keine Trennung zwischen staatlicher und religiöser Instanz gibt, so gibt es im Grunde auch keine profanen Handlungen – jedes Werk soll 'im Namen Gottes' angefangen und in Verantwortung vor Gott ausgeführt werden. Der Mensch steht unmittelbar vor Gott, eine Priesterkaste existiert nicht.110

Das durch das Tun der guten und das Unterlassen der bösen Taten gesicherte Heil allein genügt den Muslimen nicht, die sich im Sufismus,111 der islamischen Mystik, die sich ab dem 9. Jahrhundert entwickelt, auf den Weg der Annäherung an Gott machen.112 Der Mystiker113 ist der Arme schlechthin (arabisch Fakir, persisch Darwisch, nach dem wollenen Gewand [Suf], das er als Asket ursprünglich trug, wird er als Sufi bezeichnet, das mystische Streben als Tasawwuf).114 Umkehr und innere Gesinnung sind Kern der Mystik. Die Umkehr beginnt mit einer intensiven Seelenprüfung. Denn die Sufis sehen den Feind des Menschen in seinem eigenen Wesen, in seiner Triebseele, dem Nafs. Die Triebseele ist nach Ansicht der Mystiker das Böse/Satan im Menschen.115 Ziel des Sufismus ist wie in jeder Mystik die Gottesschau, letzten Endes die Vereinigung mit Gott.116 Die Derwische/Sufis bilden Orden.117 Alle Ordensgründer werden als Heilige (arabisch Wali Allah = der Gott nahesteht) verehrt, die mit ihren Heiligtümern zahlreiche Gläubige anziehen. Auf dem Balkan waren neben den Moscheen die Derwischkonvente in den Städten "Zentren sozialen Lebens".118 Dabei spielte der Orden der Mevlevi eine wichtige RolleSemâ-Zeremonie im Kulturzentrum des Derwischordens in Avanos, Türkei, Farbphotographie, 2010, Photograph: Schorle; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dervishes_Avanos.JPG?uselang=deCreative Commons-Lizenzen Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert.

Die Kleidung der tanzenden Derwische gemahnt an die Sterblichkeit des Menschen und die Gnade Gottes: Die hohen Mützen symbolisieren die Grabsteine, der schwarze Mantel, der über der Alba getragen wird, das Grab, das weiße Tanzgewand das Totenhemd. Die rechte Hand ist mit der Fläche nach oben gerichtet, um so die unverdiente göttliche Gnade zu symbolisieren, die Linke zeigt nach unten, weil die Gnade nach unten, zur Erde an Menschen, Tiere, Pflanzen und Steine weitergegeben wird.

Gotteshaus und Gottesdienst

Das katholische Europa

In der katholischen Kirche ist der Altar zentral.119 Er ist Symbol für Christus, der sich geopfert hat. Er ist zugleich ein Heiligengrab und erinnert so an den Gnadenschatz der guten Werke, über welchen die Kirche verfügt.120 Der Lettner trennt den Raum der Geistlichen von dem der Laien.121 Laien haben keinen Zutritt in den abgetrennten Raum hinter dem Lettner.

Besonders im Barock betonte die gegenreformatorische katholische Kirche die Glorie Gottes sowie die Heiligenverehrung und zielte auf das Sehen ritueller Handlungen statt auf das Hören der Predigt ab .122 Der Hochaltar als Ort der Wandlung und das Tabernakel als Aufbewahrungs- und Anbetungsort der Hostie als real präsentem Christus wurden direkt verbundenAltar der Pfarrkirche St. Remigius in Mettau, Kanton Aargau, Schweiz, Farbphotographie, 2011, Photograph: Rauenstein; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mettau,_Altar_der_Kirche_St._Remigius.jpg?uselang=de.GNU General Public License.123

Die gegenreformatorische Zielsetzung der tridentinischen Messe richtete den Gottesdienst klar auf Hochaltar und Tabernakel mit Expositorium aus. Die Gottesbeziehung wird über die konsekrierte Hostie geschaffen, in der Christus präsent ist. Sie ist das Essentiale des Gottesdienstes, weshalb nicht einmal die Anwesenheit der Gläubigen für den Gottesdienst ekklesiologisch notwendig ist.124 Der Ambo (erhöhter Ort, von dem aus das Evangelium verkündet wird) und die Wortverkündigung werden unwesentlich, die Predigt kultischer AktTridentinische Messe, Farbphotographie, 2009, Photograph: Joachim Specht; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Generalvikar_Dr._Weis_1.JPG?uselang=de, gemeinfrei..125

Angesichts des mit besonderem Prunk ausgestatteten Kirchenraumes der nachreformatorischen Zeit, der ja der Darstellung und Schaffung eines außeralltäglichen sakralen Raumes diente – und den Priester, der ehedem als "normaler" Teil des gesellschaftlichen Gefüges gegolten hatte, sakral distanzierte –,126 verwundert die Art, mit der Kirchenbesucher sich in diesem Raum mitunter bewegten. Selbst bei den Gottesdiensten liefen die Menschen herum, schwatzten, knüpften Kontakte, wickelten Geschäfte ab: "[E]ine allgemeine Unbefangenheit und Respektlosigkeit im heiligen Haus, die sie eher an das Treiben auf dem Markt erinnerten, fielen den protestantischen Autoren auf und deuteten darauf hin, dass hier offenbar ein merklicher konfessionskultureller Unterschied bestand."127 Das Gotteshaus war und blieb ein "multifunktionaler sozialer Ort".128

Neben dem Heilsort und dem Ort der sozialen Begegnung war die Kirche aber auch der Ort wirksamer apotropäischer (Unheil abwehrender) Heilmittel für die Unwägbarkeiten des irdischen Lebens: Segnungen, Sakramentalien und Sakramente dienten der Sicherung der Existenz und der Abwehr von Gefahren. Der Ritus war zentral, nicht – wie im Protestantismus – die innere Einstellung des Gläubigen. Andreas Holzem (*1961) spricht deshalb von einem "instrumentellen Religionsverständnis".129

Das lutherische Europa

Lutherische Kirchen gleichen in vielem katholischen. Selbst Bilder und Heiligenstatuen wurden in der Reformation nicht konsequent beseitigt; Martin Luther (1483–1546) genügte es, wenn die Bildnisse nicht angebetet wurden. Die Lutheraner hatten auch kein Problem damit, die alten Altäre zu übernehmen und weiter zu nutzen. Allerdings verstanden sie den Altar nicht als Heiligengrab und nicht als Symbol für Christus, sondern als Erinnerung an das Abendmahl, als Ort, an dem sich die Gemeinde der Gläubigen versammelt.130 Der Lettner fällt zwar nicht weg, die Gemeinde betritt den durch ihn abgeschränkten Raum aber stets beim Abendmahl, womit symbolisch ausgedrückt wird, dass alle Gläubigen Priester sind.131

Zentral und gleichgewichtig mit dem Altar wird die Kanzel, von der Gottes Wort verkündet wird, zum zweiten Pfeiler des lutherischen Selbstverständnisses, denn nach reformatorischem Verständnis kommt Gott selbst in der Predigt zum Menschen.132 Der Altar symbolisiert die Heilswirkung der Sakramente, die Kanzel die Kraft des Wortes Gottes, welches Christus selber ist. Ihren Höhepunkt erreicht die lutherische Kirchenraumgestaltung im Kanzelaltar, in dem sich gepredigtes und sichtbares (Sakrament des Abendmahls) Wort begegnenKanzelaltar, St. Pankratius, Neuenfelde, Farbphotographie, 2007, Photograph: Joachim Müllerchen; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:St_Pankratius_P7250050.JPG?uselang=deCreative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported.133

Anders als die katholische Kirche, die als multifunktioneller Raum gelten kann, waren die protestantischen Kirchen als Sakralräume strenger abgetrennt vom profanen Alltag. Weil sie allein dem gemeindlichen Gottesdienst galten, wurden sie an allen anderen Zeiten abgeschlossen. Während der Predigt und den Abendmahlsgottesdiensten saßen die Gläubigen lange auf ihren Stühlen oder in ihren Bänken still.134 Wie Hörsäle dienten die Kirchen dem auf den Prediger zentrierten Lauschen.

Nach der lutherischen Haustafel ist aber nicht nur die Kirche, sondern auch jedes Haus Gotteshaus, soll doch der Hausvater in seinem laienpriesterlichen Amt die Bibel vorlesen und christliches Leben organisieren. Die lutherischen Hausandachten spielten besonders in der Zeit des Pietismus eine zentrale Rolle.

Das reformierte Europa

Anders als die lutherischen sind die reformierten Kirchen bilderfrei: Die reformierte Zählung der Zehn Gebote fügt bekanntlich das Bilderverbot – wie die Orthodoxie – als zweites Gebot ein, so dass sich reformierte und traditionelle Zählung (beibehalten im Luthertum und Katholizismus) unterscheiden: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht."

Und anders als die lutherischen Gottesdienste, die als "deutsche Messe" der lateinischen Messe nachgebildet sind, orientiert sich der reformierte Gottesdienst am spätmittelalterlichen Predigtgottesdienst ohne Abendmahl und ohne Gesang. Wie die zwinglische war auch die calvinische Kirche frei von Bildern und Kreuzen. An die Stelle des Altars trat der AbendmahlstischBlick auf Kanzel und Abendmahlstisch der Ev. Kirche in Nümbrecht, Farbphotographie, 2004, Photograph: Roland Steinebach; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kirche_n%C3%BCmbrecht_altarges.jpg?uselang=deCreative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported, an die Stelle der Oblaten gebrochenes Brot.135

Wie in lutherischen Kirchen ist die Kanzel im Reformiertentum zentral, mitunter mit dem Abendmahlstisch verbunden. Bei Kirchenneubauten wurde die zentrale Rolle der Predigt dadurch betont, dass die Anlage wie ein Hörsaal errichtet wurde. Der Grundriss ist – wie bei der Noorder Kerk in Amsterdam – aus einem griechischen Kreuz entwickelt. Der Zwang zur Ostung ist im Übrigen aufgehoben. Eine Tafel mit den Zehn Geboten, für deren Durchsetzung die Ältesten sorgen sollten, ist praktisch in jeder reformierten Kirche zu findenGrundriss der Neuen Kirche in Emden, unbekannter Künstler; Bildquelle: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover: 6: Regierungsbezirk Aurich, hg. von der Provinzial-Kommission zur Erforschung und Erhaltung der Denkmäler der Provinz Hannover, Hannover 1927, Heft 1/2: Stadt Emden, Fig. 57, S. 67..

Das orthodoxe Europa

Die orthodoxe Kirche ist entweder eine Basilika oder ein kuppelgekrönter Zentralbau, der die Gegenwart des Himmels auf Erden symbolisiert und so der Idee einer Vergottung des Menschen Ausdruck verleiht.136 Die orthodoxen Kirchen sind voller Pracht, weil sie ein Symbol für die künftige Vollendung darstellen. Sie sind Abglanz des neuen SeinsChrist-Erlöser-Kathedrale in Moskau, Farbphotographie, 2007, Photograph: Voytek S; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Katedra_Chrystusa_Zbawiciela_w_Moskwie_2.jpg?uselang=de. Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert)..137

Die Bilderwand (Ikonostase), welche den Altarraum abtrennt und zugleich mit ihren Ikonen der Heiligen und Christi die Verbindung zwischen himmlischer und irdischer Kirche schafft, ist ein zentrales Kennzeichen der orthodoxen KirchenIkonostase in der früheren griechischen Kirche in Trzciana, Farbphotographie, 2011, Photograph: Stanislaw Szydlo; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ikonostas_Trzciana.jpg?uselang=de.Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported..

Das jüdische Europa

Die Synagoge ist nicht nur Gotteshaus, sondern auch Gemeindezentrum, in manchen Zeiten auch Ort des Gerichts und (häufig) Schule, Herberge und Sitz von karitativen Einrichtungen.138 Sie ist also – zumindest bis zum 19. Jahrhundert – Zentrum eines großen Teils des öffentlichen Lebens im Judentum.139 Nur wenn ein Quorum (Minjan = zehn erwachsene Männer) erreicht wurde, konnte eine Synagoge regulär Gottesdienste anbieten. Das führte dazu, dass sich in Gebieten besonders des Alten Reiches, in denen Juden zerstreut siedelten, mehrere Gemeinden zu regionalen Synagogen zusammenschließen mussten.140

Die Synagoge ist stets nach Jerusalem ausgerichtet. An der Stelle, in deren Verlängerung Jerusalem liegt, ist der Ort des Toraschreins.141 Synagogen sind architektonisch häufig von christlichen und islamischen Formen inspiriert. Vom maurischen Spanien kennt man mehrschiffige Basiliken oder Saalbauten.142 Bei den Basiliken sind die Hufeisenbögen von islamischen Vorbildern übernommen. In Mittel- und Osteuropa findet man zweischiffige Basiliken oder einfache Saalbauten mit Flachdecke oder Gewölbe. Im Zentrum steht immer die Bima (auch Alememor genannt), also der Ort, von dem aus die Tora vorgelesen wirdDie Bima in der alten Synagoge von Krakau, Farbphotographie, 2005, Photograph: Merlin; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Poland_Krak%C3%B3w_-_Old_Synagogue_with_bima.jpg?uselang=de, Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported.

Typisch für die traditionellen Richtungen ist die Abtrennung eines Gotteshausteils für die FrauenThomas Rowlandson (1756–1827) und Augustus Charles Pugin (1762–1832), Synagogue, Dukes Place. Houndsditch; Bildquelle: Ackermann, Rudolph: The Microcosm of London or London in Miniature, London 1904, vol. 3, S, 166, http://archive.org/stream/microcosmoflondo03pyneuoft#page/200/mode/1up. . Auch ein Ewiges Licht (Ner tamid) und meist künstlerisch gestaltete Nachbildungen des siebenarmigen Leuchters (Menora) werden, wie im Tempel von Jerusalem, in vielen Synagogen aufbewahrtPlünderung des Jerusalemer Tempels durch die Römer im Jahr 70 n.d.Z., Reliefdarstellung auf dem Titusbogen in Rom, Farbphotographie, 2005, Photograph: Anthony M.; Bildquelle: Wikimedia Commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arch_of_titus_relief_2.jpg.Creative Commons Attribution 2.0 Generic.

Das jüdische Haus gilt in gleicher Weise als geheiligt wie eine Synagoge. Es trägt in zwei Kapseln am Eingang und den Türen ein Pergamentröllchen mit dem Schma Israel (5. Mose 6,4–9) und der Warnung vor der Anbetung fremder Götter (5. Mose 11,13–21). Diese werden beim Hinaus- und Hineingehen mit zwei Fingern der rechten Hand berührt, die man anschließend küsst. Zum dreimaligen täglichen Gebet legt der fromme Jude, wenn er nicht zum Gemeindegottesdienst gehen kann, zu Hause den Gebetsmantel an und bindet an Hand und Kopf die Gebetsriemen fest, die u.a. die deuteronomischen Sprüche aus der Hauskapsel enthalten. Seine Kippa legt er ohnehin nie ab.

Der praktizierende Jude betet dann für sich alleine, wie es sonst die Gemeinde tut. Diese betet zu den drei Gebetszeiten immer das Schma Israel und das Achtzehngebet, dessen einzelne Aussagen sich mit dem christlichen Vaterunser berühren, Gott lobpreisen, ihn um die Vergebung der Sünden und die Fruchtbarkeit der Erde bitten und um die ersehnte Rückkehr der Zerstreuten in das Gelobte Land.143

Der Sabbat ist die heilige Zeit, ein Vorgeschmack auf die Heilszeit.144 Am Vorabend wird in der Synagoge mit gemeinschaftlichen Gebeten, Psalmen und Gesängen die Freude über den Anbruch des Sabbats ausgedrückt. Zu Hause entzündet die Frau die Sabbatlichter, spricht einen Segen und breitet über den Kerzen die Hände aus, um den Raum mit ihrem Licht zu erfüllenLichtanzünden am Freitag Abend. (Holzschnitt aus "Birkat hamason", Amsterdam 1723), unbekannter Künstler; Bildquelle: Jüdisches Lexikon, Berlin 1930, vol. 4, Sp. 21..145 Danach übt der Hausvater sein laienpriesterliches Amt aus.

Im Mittelpunkt des Morgengottesdienstes am Sabbat stehen dann die Verlesung des wöchentlichen Textes aus der Tora, eine Propheten-Lesung und (heutzutage) eine Predigt.146 Predigten wurden erstmals im Jahr 1821 von Isaak Bernays (1792–1849) in Hamburg in die Synagoge eingeführt.147

Der Gottesdienst in der Synagoge ist gemeinschaftliches Gebet in hebräischer und mitunter auch in aramäischer Sprache.148 Er ist Laiengottesdienst. Durch die Berührung der Tora-Rolle bekennen die Anwesenden symbolisch ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Tora. Die von einzelnen Gemeindemitgliedern oder dem angestellten Kantor vorgenommene Verlesung des wöchentlichen Tora-Textes wird eingeleitet durch das Schma Israel.149 Im Sabbat-Morgengebet betet die Gemeinde:

Wär unser Mund voll Gesang wie das Meer, unsre Zunge voll Jubel wie das Rauschen der Wellen, unsre Lippen voll Rühmens wie des Himmels Weiten, unsre Augen leuchtend wie Sonne und Mond, unsre Hände ausgespannt wie Adler des Himmels und unsre Füße schnell wie Rehe, wir würden nicht genügen zu loben Dich, Herr, unser Gott, Gott unsrer Väter, und Deinen Namen zu preisen für eins von den tausend und aber tausend Milliarden mal, da Du Gutes getan hast an unsern Vätern und an uns.150

Wie am Freitagabend der Sabbat wie eine herrliche Braut willkommen geheißen wurde, so wird der Sabbat am Samstagabend durch das Abendgebet beschlossen, das Feiertag und Werktag voneinander trennt (die sogenannte Habdala = Scheidung).151

Das islamische Europa

Man muss unterscheiden zwischen islamischen Gebetshäusern für das tägliche Gebet und den Moscheen für das Freitagsgebet der Gemeinde.152 Nur die Freitagsmoschee hat eine Minbar, also eine "Kanzel". Vorbild aller Moscheen ist das Haus Mohammeds (ca. 570–632) in Medina,153 in dessen Garten der Prophet von einem erhöhten Stuhl aus zu seinen Anhängern sprach. Nach seinem Tod wurde über dem Haus eine Moschee errichtet, und man setzte an die Mekka zugewandte Stelle, an der Mohammed zu beten pflegte, eine Nische, die so an seine Präsenz erinnern sollte (Mihrab). Ein Minarett hatte die Urmoschee nicht. Im Osmanischen Reich entwickelte sich daraus und nach dem Vorbild der ehemals christlichen Kathedrale Hagia Sophia die Kuppelmoschee. Minarette kamen erst später nach dem Vorbild des Leuchtturms von Pharos bei Alexandria zu den Moscheen hinzu (der Name Minarett kommt von Manara(tun) = Leuchtturm). Die Moschee ist kein geweihter Ort, sondern auch außerhalb der Gebetszeiten Ruhe- und Treffpunkt, ein Ort für das Mittagsschläfchen und für den Unterricht. Der Boden des Innern muss aber für die Gebete rein bleiben; deshalb die Weisung, die Schuhe vor dem Betreten auszuziehen. Außer der Kanzel (Minbar) für die Ansprache ist der Raum leer, der Boden ist nur mit Teppichen belegt. Auf der Kanzel werden freitags das Mittagsgebet und eine Predigt gesprochen. Freitagsmoscheen gibt es nur an größeren Orten.

Recht: Sünde und Verbrechen

Das christliche Europa

Obwohl man zwischen Sünde und Verbrechen unterscheiden muss,154 war doch für alle frühneuzeitlichen christlichen Konfessionen jedes Verbrechen auch eine Sünde, weil alle das Recht im göttlichen Willen verankert sahen. Es ließe sich also begründet nach den sakralen Dimensionen auch im Zivil- und im Strafrecht fahnden. Deshalb ist es kein Systembruch, wenn weltliche Gerichte, wie z.B. das württembergische Ruggericht, auch geistliche Vergehen/Sünden aburteilten, ehe Mitte des 17. Jahrhunderts spezielle Kirchenkonvente (Presbyterien) eingerichtet wurden.155

Definitorisch für das konfessionelle Europa der Frühen Neuzeit ist die Tatsache, dass spezielle Instanzen für religiöse Rechtsgegenstände (wie die Ehe) oder für Sünden bestanden. Eine davon ist die Beichte. Sie ist Ausfluss der Reue des Sünders, diente dem Sündenbekenntnis und dazu, die Schwere der Schuld aufzudecken, auf die die priesterlich vermittelte Vergebung und Versöhnung mit Gott erfolgte (im Katholizismus verbunden mit kirchlich auferlegten Satisfaktionsleistungen).156 Die individuelle Beichte begegnet uns dabei besonders im Katholizismus, Anglikanismus, der Orthodoxie und auch in Teilen des Luthertums, für das die Buße freilich nicht mehr als Sakrament galt. Im Judentum, dem Islam oder den reformierten Kirchen dagegen gibt es die Beichte nicht. Den gleichen Zweck verfolgten auch alle kirchenrätlichen, bischöflich-archidiakonalen und die gemeindlichen Kirchenzuchtgremien (katholisch: Sendgericht, anglikanisch: churchwardens; lutherisch: Presbyterien, Kirchenkonvente; reformiert: Konsistorien – mit wechselnden Namen), deren Arbeit aber auch dem Schutz der Gemeinschaft diente, die sich durch Nichtverfolgung der Sünde teilhaftig gemacht hätte.157 In der Frühen Neuzeit vollzog sich in allen westlichen christlichen Kirchen ein Wandel von der Todsündenlehre zu den Zehn Geboten als zentrale ethische Leitlinien. Die Zehn Gebote wurden damit zur gesetzlichen Grundlage einer Verchristlichung der Welt, an welcher die Konfessionen arbeiteten.158

Das jüdische Europa

Das jüdische Recht ruht auf der Tora (dem Pentateuch oder den fünf Büchern Mose [nach christlicher Diktion]). Neben den erzählerischen Teilen dominieren darin gesetzliche Vorschriften zum Sozialverhalten und zum rituellen Bereich. Die schriftliche Fassung wurde ergänzt durch die frühen Rechtsauslegungen, die auch als "mündliche Tora" bezeichnet werden (die sogenannte Mischna, um 220 n.d.Z. schriftlich fixiert). Die Mischna erfuhr ihrerseits Auslegungen, die sogenannte Gemara (bis ins 7. Jahrhundert [in der Zusammenfassung des babylonischen Talmuds; im palästinischen Talmud wird die Gemara bis in 5. Jahrhundert berücksichtigt]). Mischna und Gemara zusammen bilden den Talmud.159 Die grundlegende Fassung für die jüdische Tradition wurde der babylonische Talmud. Tora, Talmud und die gemeindlichen, oft auf als autoritativ angesehene, auswärtige Rechtsgutachten gestützte Takkanot bilden das jüdische Religionsgesetz: die Halacha. Das Wort Halacha (pl. Halachot) kommt vom Verb "gehen" und meint das Gehen vor Gott (semantisch ähnliche Bedeutung wie "Wandel" oder "Lebenswandel") als die Quelle des Rechts.160 Halacha meint deshalb Vorschriften für ein ethisch und rituell einwandfreies Leben.

Das jüdische Recht umfasst daher alle Lebensbereiche, nicht nur die des Ritus oder des religiösen Verhaltens im engeren Sinne.161 Besonders das Vermögensrecht ist Teil des jüdischen Rechts. Zum Ritualrecht gehören neben Fragen der rituellen Reinheit auch Fragen des Ehe- und Erbrechts. In Mitteleuropa wurde der Schulchan Aruch (Der gedeckte Tisch) des in Toledo geborenen Rabbi Joseph ben Ephraim Caro (1488–1575) maßgebend. Er fasste die geltenden Gebote, Verbote und Gebräuche (Minhagim) handbuchartig zusammen.162 Sein Werk erlangte im sephardischen und im aschkenasischen Judentum (nach der Anpassung des Schulchan Aruch an die aschkenasischen Traditionen durch Rabbi Moses Isserles (ca. 1525–1575) aus Krakau) autoritative Geltung. Es wurde "zu einer Art geschriebenen Verfassung für das Leben der Juden, für das Verhalten in der jüdischen Gemeinschaft ebenso wie für die Beziehungen zur christlichen Umwelt".163 Ausgelegt und angewandt wurde das jüdische Recht durch den Rabbi, der ein Rechtsgelehrter war, und durch die Schöffen/Richter am Rabbinatsgericht der Gemeinde.164

Das islamische Europa

Das islamische Recht wird Scharia genannt, nach dem Wort für die Tränke der Pferde oder den Weg dorthin. Es meint also den Weg zur Quelle: Gott. Die Scharia ist die Gesamtheit aller Willensäußerungen Gottes, seiner Gebote.165 Sie umfasst religiöse und kultische Pflichten, juristische und politische Regeln.166

Sie sind im Koran zu finden oder in den Hadithen, also den Worten und Taten Mohammeds und seiner Getreuen in der Mediner Urgemeinde (der Tradition). Als dritte Quelle tritt die Rechtsprechung anhand von Präzedenzfällen hinzu, die in insgesamt vier Rechtsschulen gesammelt werden. Die Scharia ist deshalb kein ausgefertigtes Gesetzbuch, sondern lebendiges, praxisorientiertes Recht. Die lange Zeit in der westlichen Islamwissenschaft vorherrschende Anschauung, die Scharia habe eher eine ethische Pflichtenlehre dargestellt, wohingegen in der Praxis obrigkeitliche Verordnungen die Justiz bestimmt hätten, ist nach intensiven Forschungen zur Rechtspraxis nicht mehr haltbar.167 Schon für das maurische Cordoba des 11. Jahrhunderts lässt sich zweifelsfrei nachweisen, dass die Gerichtsverhandlungen auf "sakral motiviertem Juristenrecht (Fiqh)" beruht haben,168 das durch Juristen ständig weiterentwickelt wurde.169

Die Ausübung des Rechts lag in der Hand des Kadis.170 Der Natur des Rechts im islamischen Verständnis entsprechend urteilte er über Sünden wie über Vergehen und Verbrechen, also über weltliche wie religiöse Untaten. Anders als es die von Max Weber geprägte Terminologie von der irrationalen "Kadijustiz" nahelegt, war diese keineswegs willkürlich, sondern wurde von einer professionell ausgebildeten Juristenschaft auf der Basis reflektierten und weiterentwickelten Rechts in geordneten Verfahren171 praktiziert – unter Heranziehung von Rechtsgutachten des Mufti (Fatwa) und Beurteilungen von Gelehrtenkonsilien (Schura), die hier die Funktion eines Muftis ausübten, das heißt Gottes Wort übersetzten und verdeutlichten.172

Ehe und Familie

Das religiös verstandene Recht erhebt den Anspruch, das Leben der Menschen im Sinne von Gottes Geboten zu gestalten. Das trifft zunächst den Kern der gesellschaftlichen Ordnung im Verständnis der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts: Ehe und Familie.

Das katholische und das anglikanische Europa

Im Katholizismus ist die Ehe ein Sakrament, das sich die Brautleute gegenseitig spenden und das auf ihrem Konsens beruht. Die katholische Konfessionalisierung war zwar stärker auf das Individuum und die offizielle Kirchenfrömmigkeit ausgerichtet.173 Dennoch trachteten auch im Katholizismus Gerichte danach, das Zusammenleben in Ehe und Familie zu moderieren. Das Sendgericht bestand aus lokalen Sendschöffen (ähnlich den churchwardens des Anglikanismus), welche dem Archidiakon oder dem Bischof jährlich über die sittliche und religiöse Lage in der Gemeinde berichten mussten. Es bestand allerdings in Mitteluropa nur noch punktuell;174 in England hat sich der Send dagegen erhalten und sich gegen puritanische Versuche einer eigenständigen gemeindlichen Sittenzucht behauptet.175

Wo das Sendgericht nicht mehr bestand, war die gesamte Ehegerichtsbarkeit Sache des Offizials oder der Archidiakone. Vor der Reformation wurden die geistlichen Gerichte häufig von Frauen angerufen, um Ehen durchzusetzen oder ihre Ehemänner zu zensurieren.176 Eine Studie zu katholischen bayerischen Archidiakonaten kommt zu dem Ergebnis, dass männliche Gewalt keineswegs als Recht des Hausvaters ("Züchtigungsrecht") anerkannt war, sondern, sobald sie ein gewisses Maß überschritt, als tyrannisch gebrandmarkt wurde.177 Klagen wegen Gewalttätigkeiten machten mit rund zwei Dritteln die Hauptklage der Frauen aus.178 "Gewalt scheint für die große Mehrheit dieser Frauen eine dominante Erfahrung und wo­möglich das entscheidende Motiv gewesen zu sein, gerichtlich gegen ihre Männer vorzugehen."179

In Frankreich hat auch die weltliche Justiz in Ehefragen geurteilt. Im Zuge des Ausbaus der gallikanischen Kirchenverfassung im frühen 17. Jahrhundert gelangte auch das Eherecht in die Hand der staatlichen Justiz. Das Châtelet von Paris sprach die Trennung von Tisch und Bett oder der Güter aus.180 In den Akten des Pariser Kommissariats finden sich die sogenannten "Lettres de cachet", vom Kommissar im Namen des Königs ausgestellte Order, mit denen Personen festgesetzt oder verbannt wurden. Ein Drittel davon betraf Ehestreitigkeiten. Meist handelte es sich um Fälle von Ehefrauen, die ihren Mann wegen seines fortgesetzten Fehlverhaltens angeklagt hatten.181 Wieder dominieren Klagen wegen Gewalt.182

Vater und Mutter, Mann und Frau erwarten vom schuldigen Familienmitglied, dass es sich von seinen Untaten abwendet und sich in seinem künftigen Leben an den Normen orientiert, die ihm sein Umfeld vorgegeben hat. Die Reue erscheint hier als eine Form gesellschaftlichen Zusammenlebens: Wenn gegen die Ordnung verstoßen wird, muss die Strafe den Verurteilten gleichzeitig zur Zustimmung und zur Unterwerfung bewegen.183

Das lutherische und das reformierte Europa

Im Luthertum und im Reformiertentum wurde die Ehe als ein "weltlich Ding" betrachtet, wiewohl sie ein "heiliger Stand" blieb. Sie wurde der besonderen Verantwortung der neu in beiden Konfessionen eingerichteten Ehegerichte/Konsistorien übertragen. Als "weltlich Ding" war die Ehe zwar prinzipiell scheidbar, doch ging es diesen (zentralen) Ehegerichten und (lokalen) Konsistorien vor allem um die Versöhnung der Ehepartner, die in Streit lagen.

Da besonders die reformierte Konfession alle "weltlichen Dinge" sub specie aeternitatis als relevant für das Verhältnis der Gemeinde und des einzelnen zu Gott auffasste, also als heilsrelevant, erstaunt es nicht, dass die Lösung innerehelicher Konflikte zu einer zentralen Aufgabe der Konsistorien wurde, die hier zur "Grundausstattung" der Kirche gehörten – anders als im Luthertum, wo lokale Kirchenkonvente nicht die Regel waren. In rund drei Viertel aller Fälle wurden Ehekonflikte von den Frauen vor das Gericht gebracht.184

Im Jahre 1665 wurde folgender Fall vor dem Württemberger Kirchenkonvent von Unterjesingen verhandelt: Angeklagt war Johannes Heinrich Heyer, der "sein junges weib übel tractieren vnd gar zu hart halten solle, dessentwegen vor dem kirchenconvent angebracht; … ist ihme ernstlich auferlegt wordten, dass er fürauß mit seinem eheweib früdsamer leben oder im widrigen [Fall] bey oberampt verclagt werdten mieße."185 Selbst wenn der Mann versuchte, seine Gewalt als Reaktion auf Angriffe und auf Fehlverhalten seiner Frau, etwa wegen ihrer schlechten Haushaltsführung, zu rechtfertigen, so blieb er doch im Rechtfertigungsnotstand. Der Hausvater, so folgert David Warren Sabean (*1939) daraus in seiner Untersuchung Württembergs, war dem steten Zwang unterworfen, sich als fleißig, sorgfältig und nüchtern zu erweisen.186 Die Frauen nutzten die Ideologie des guten Hausvaters bewusst und instrumentell zur Disziplinierung der Männer.187 "Der Patriarchalismus war eher ein Programm als ein Zustand oder besser: ein Idiom, durch das eine substantielle und kritische Diskussion stets möglich war."188

Fasst man die Quellenstudien zu Ehekonflikten vor den reformierten und den lutherischen Sittengerichten/Konsistorien zusammen,189 dann ergibt sich der Eindruck eines Bündnisses dieser Gerichte mit den Frauen. Besonders die Ächtung der Gewalt weist über den hierarchischen Bezie­hungsrahmen hinaus in Richtung auf mehr Partnerschaft. Zwar hat der Protestantismus das Patriarchat prinzipiell gestärkt, er hat es aber auch beschränkt: Das Pa­triarchat war deshalb, weil es als "rechte Herrschaft" verstanden wurde, ein "zweischneidiges Schwert".190 Unmäßige Gewalt wurde als Tyrannei eingeschätzt und Männer wurden bestraft, wenn sie "mit iren wyberen gar tyrannisch handlen".191

Das orthodoxe Europa

Im Prinzip ist auch in der orthodoxen Kirche der Konsens der Brautleute wie in den katholischen und protestantischen Gebieten Europas ehestiftend, aber schon im 10. Jahrhundert wurde die rechtliche Gültigkeit der Ehe an die Krönung des Brautpaares durch den Priester gebunden.192 Das heißt, dass anders als im Katholizismus der Priester das Ehesakrament spendet.193 Das Wesen des Ehesakraments besteht nichtsdestotrotz im gegenseitigen Treueversprechen, womit die Brautleute Anteil an der Spendung des Sakramentes haben, aber des Segens des Priesters zu dessen Vollendung bedürfen. Vergleichbare Forschungen wie zu Katholizismus und Protestantismus, welche die rechtliche Ordnung der Ehe in praxi untersuchten, liegen nicht vor.

Das jüdische Europa

Der Zölibat oder eine Hochschätzung eheloser Lebensweise existierte im Judentum nach der Antike nicht mehr. Prediger und Rabbiner mussten verheiratet sein,194 da dies ihre Vertrauenswürdigkeit deutlich machte. Sexualität in der Ehe war zwar während der rituellen Unreinheit der Frau (während der Menstruation und sieben Tage danach; beendet mit einem Bad in der Mikwe) verboten, durfte außerhalb dieser Zeit aber auch ohne Absicht zur Zeugung von Kindern praktiziert werden.

Wegen der strengen Geschlechtertrennung konnten junge jüdische Menschen selbst kaum Partner kennen lernen. Arrangierte Ehen waren die Regel,195 meist suchte der Vater einen passenden Schwiegersohn,196 schon seit dem Mittelalter gab es aber auch professionelle Ehevermittler. Rechtlich gesehen war bzw. ist – im orthodoxen Judentum, gestützt durch gesetzliche Regelungen im Staat Israel, bis heute – die Eheschließung ein einseitiger Erwerb der Frau durch den Mann.197 Das Heiratsalter lag im Mittelalter bei Jungen bei 15 oder 16 Jahren, bei Mädchen zwischen 13 und 14.198 In der Frühen Neuzeit unterschied es sich nicht mehr deutlich von dem christlicher Paare, bei denen Männer und Frauen um die 25 Jahre alt waren.199 In Berlin war im 18. Jahrhundert der Mann rund 31 und die Frau 24 Jahre alt, wenn sie heirateten. Gutsituierte konnten früher heiraten als Personen aus niedrigeren Schichten. Eine Scheidung war im Judentum möglich, jedoch wegen des "Kaufcharakters" der Ehe praktisch nur durch den Mann.200 Eine Frau konnte allerdings versuchen, bei schwerem Fehlverhalten des Mannes vor dem Rabbinatsgericht (Bet Din) eine Scheidung zu erzwingen.

Ehegüter- und Erbrecht sind für die Ehe, die Machtverteilung, das Verhältnis der Eheleute und der Generationen zueinander essentiell.201 Die Mischna schloss Frauen, also Töchter und Witwen, von der gesetzlichen Erbfolge aus.202 Töchter erhielten dafür einen Anspruch auf eine Mitgift von 50 Denar, die ihnen selbst übertragen wurde. Vom Bräutigam erhielten sie 200 Denar, was den Unterhaltskosten für ein Jahr entsprach. Im mittelalterlichen mitteleuropäischen ("aschkenasischen") Judentum kam es nun zu einer doppelten Revolution:203 einmal zum Verbot der Polygynie und der Scheidung gegen den Willen der Frau auf der einen Seite, zu einer vermögensrechtlichen "Angleichung der Geschlechter" andererseits: Zusätzlich zur Mindest-Ketuba von 200 Denar wurden als Erbe der Witwe noch 50 Mark Silber für die von der Frau eingebrachte Mitgift und 50 Mark Silber als "Widerlegung" für den Fall der Auflösung der Ehe, zusammen also 100 Mark, in Form einer Schuldverschreibung des Ehemannes zum Standardbestandteil der Heiratsurkunde.204 Das entsprach nun einer enormen Summe, die höher war als die Reichssteuer der jüdischen Gemeinde Speyer (80 Mark). Diese Standardsumme wurde in der rabbinischen Literatur im 12. Jahrhundert als Gewohnheitsrecht definiert. Angesichts der Tatsache, dass die antike Mindestsumme von 200 Denar gerade 2 Mark entsprach, ist das in der Tat eine exorbitante Erhöhung, welche einem Anspruch der Witwe auf das gesamte Erbe des Mannes entsprach. Die Witwe wurde mit diesem System der Schuldverschreibung so Alleinerbin, ohne dass die Mischna als solche verletzt worden wäre.205 Seit dem 13. Jahrhundert konnten Mädchen nach dem Tod beider Eltern dann den gleichen Erbteil wie ihre Brüder beanspruchen.206

Wegen des übergeordneten Ideals des "gelehrten Mannes" waren außerdem oft die Frauen die Haushaltsvorstände, das heißt sie sorgten überwiegend oder doch in bedeutendem Maß für die finanzielle Existenzsicherung. Zusammen mit der vermögensrechtlichen Besserstellung der Ehefrau ergab sich so die besondere Situation, dass die "Familien nicht zwingend patriarchal organisiert" waren, sondern "oft eine Partnerschaft mit gleichen Rechten und Pflichten für beide Seiten" bestand.207 Ego-Dokumente dokumentieren häufig ein gutes Verhältnis der Eheleute zueinander.208

Der Hausfriede ist Voraussetzung für den Frieden in der Gemeinde, die deshalb ein Interesse hat, durch ihr Gericht bei Ehestreit und Familienzwist Versöhnung zu stiften.209 Mann und Frau sind nicht wirklich gleichgestellt. Während ein Ehebruch der Frau absoluter Scheidungsgrund ist, gilt das gleiche nicht für den Ehebruch des Mannes, der nicht einmal gesetzlich bestraft wird. Bemerkenswert ist, dass die jüdische Moralliteratur die körperliche Züchtigung der Frau durch den Mann explizit ablehnt.210 Bei den Autoren herrscht Übereinstimmung über die Gleichwertigkeit von Mann und Frau und darüber, dass dem Mann kein Machtmittel zusteht, das der Frau nicht auch zukäme.211

Die Protokolle von Gerichten und rabbinische Texte, besonders die Gutachten der "rabbinischen Responsen", zeigen, dass Rabbinatsgerichte oft wegen Untreue, aber auch wegen Misshandlung der Frauen regulierend eingriffen.212 Über die innere Ausgestaltung des ehelichen Verhältnisses fehlen aber trotz punktueller Einblicke über Gerichtsakten oder Ego-Dokumente die Quellen für die Zeit vor 1800 und daher auch die entsprechenden Untersuchungen.213

Das islamische Europa

Das von der arabischen Gesellschaft zur Zeit der Entstehung des Islam favorisierte androzentrische und misogyne Geschlechterbild214 ordnete die Frau – wie im Christentum und im Judentum – dem Mann unter, wenn auch beide Geschlechter gleichermaßen die ethischen Gebote befolgen mussten und die gleichen Chancen zum Heil hatten.215 Die Scharia privilegiert eindeutig die Männer – wie das Alte Testament.216 Sure 4,34 formuliert: "Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat, und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen gemacht haben." Allerdings stellt sie im Vergleich zum vorislamischen Recht eine eindeutige Besserstellung der Frau dar, die erstmals statt ihrer Sippe das Brautgeld erhält und über ihr Vermögen selbst verfügen kann.

Die Ehe ist im Islam ein Rechtsvertrag zwischen Bräutigam und Braut, die durch einen Anwalt – meist den Vater – vertreten ist.217 Praktisch ist damit die Ehe traditionell ein Arrangement zwischen dem Brautvater und dem Ehemann.218 Ihrer Verheiratung zustimmen kann nur eine Volljährige; für eine Minderjährige kann ihr Vormund (ebenfalls meist der Vater) ohne ihre Zustimmung den Ehekontrakt mit dem Bräutigam abschließen.219 Wenn sie volljährig ist, kann die Braut von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch machen und sich scheiden lassen.220

Der Konsens der Brautleute spielte theologisch gesehen also keine Rolle, auch wenn eine Liebesheirat damit nicht ausgeschlossen war, wie sie heute auch in explizit islamischen Staaten wie dem Iran, besonders in Städten, üblich ist. Der Mann muss seine Frau und seine Kinder ausreichend versorgen, die Frau hat den Haushalt zu führen und die kleinen Kinder zu erziehen. Neben der Nachkommenschaft und der Lebensgemeinschaft hat die Ehe auch die positiv gesehene Funktion, den Geschlechtstrieb zu befriedigen, was nur in ihr und nicht außerhalb der Ehe geschehen darf.221 Die Ehe ist geradezu eine Pflicht.222 Zwar darf der Mann bis zu vier Frauen ehelichen, er muss aber allen gerecht werden und sie gleich behandeln, was viele Exegeten als unmöglich erachten, weshalb nach ihrer Ansicht die Einehe die Regel sein soll. Eine Verstoßung der Frau auch ohne gerichtliche Prüfung ist möglich. In der Praxis, wie sie z.B. die Sterberegister/Kadiamtsregister zeigen, sind Vielehen die extreme Ausnahme. Die Akten aus Bursa in Anatolien zeigen für das 17. Jahrhundert bei über 2.000 männlichen Toten nur gerade in 20 Fällen eine Mehrehe an.223 Untersuchungen von Gerichtsakten aus dem 16. und 17. Jahrhundert aus Anatolien ergeben, dass weniger als 5 Prozent der Männer mehrere Frauen hatten.224 Auch für Nikosia (Zypern) wurde festgestellt, dass die Vielehe "ungewöhnlich" war.225

Die Frau kann gerichtlich die Scheidung durchsetzen,226 wenn ihr Mann sie nicht ausreichend versorgt, unheilbar krank oder impotent ist, zu lange fernbleibt oder die Frau unerträglich behandelt, wie das auch die Scheidungsprozesse des Kadiamtes Nikosia aus dem 17. Jahrhundert zeigen.227 In der Rechtssprache der Kadiamtsgerichte hat sich die Formel der "gegenseitigen Unverträglichkeit" oder Inkompatibilität (Adem-i Imtizac)228 als Topos bei Scheidungen auf Ersuchen der Ehefrau eingebürgert.229 Dabei konnte die Frau auch "Inkompatibilität im Bett" geltend machen.230 Und Scheidungen, auch auf Wunsch der Frauen, sind offenbar sehr häufig gewesen.231

Vor dem Kadi konnte die Frau auch ihren Mann verklagen, wenn er sie misshandelte, ohne die Scheidung zu begehren. Das gut untersuchte Kadiamt von Kayseri forcierte jedenfalls nicht den von der Scharia geforderten Gehorsam oder ihre Einschließung zuhause, und auch gegen unwillkommene Verheiratungen half der Kadi der Frau.232 Doch nicht nur im inneranatolischen Kayseri, sondern auch für Zypern zwischen 1571 und 1640 wurde dieser Schutz des islamischen Rechts für die Frauen nachgewiesen, ein Schutz, den auch die jüdischen und die christlich-orthodoxen Frauen bei innerehelichen Konflikten suchten.233 Trotz regionaler Differenzen in der Sozialordnung hatte die Scharia in diesem Sinne eine zentrale Rolle in der gesamten osmanischen Welt inne.234 Es scheint insgesamt, als hätten die Kadis in zunehmendem Maße auch in die existierenden Ehen zur deren Stabilisierung eingegriffen.235 Lebensunterhalt, Eigentumsschutz und die Ahndung innerehelicher Gewalt dominierten.236 Auch im mittelalterlichen Kairo, Damaskus und Jerusalem griffen die Kadis immer entschiedener gegen Männer durch, die ihre Frauen misshandelt oder sie nicht versorgt hatten.237

Insgesamt ergeben die Studien zum Kadiamt238 eine Situation, die entfernt mit derjenigen der christlichen Ehe- und Sittengerichte vergleichbar ist, in der auch eine partielle Kooperation von Frauen und Gericht nachgewiesen wurde, die deren Position innerhalb der Ehe und Familie stärkte – ein Grund, weshalb auf dem Balkan häufig auch Ehekonflikte von Christen vor den Kadi, dessen Rechtsprechung ja auf der Scharia beruhte, getragen wurden?239

Gemeinde

Das christliche Europa

Christsein wird "innerhalb einer Gemeinde praktiziert. Im Normalfall unterscheiden sich christliche und weltliche Gemeinde nicht voneinander."240 Das ganze christliche Europa war von einem Netz von Pfarreien oder "Gemeinden" überzogen, sei es, dass Pfarrei und Ortsgemeinde identisch waren oder sich ein System von Mutter- und Tochtergemeinden aufeinander bezog oder sich ein Ort (besonders eine Stadt) in mehrere Pfarreien teilte.241 Im Prinzip war die Pfarreizugehörigkeit im Luthertum und im Reformiertentum eher noch prononcierter ein Zentrum des Selbstverständnisses, konnten doch Luther, Huldrych Zwingli (1484–1531), Martin Bucer (1491–1551) oder Calvin die Gemeinde, in der die Menschen in Christi Namen versammelt waren, als "die Kirche" apostrophieren.

Das katholische Europa

"Das Konzil von Trient kanonisierte die Pfarrei im wahrsten Sinne des Wortes; sie wurde zur Heilsbedingung für die Seelen."242 Osterkommunion, Besuch des Hochamtes, die Katechese der Kinder wurden zur Pflicht und an die Ortspfarrei gebunden. Der Pfarrer führte im "Seelenbericht" Buch über seine "Schäflein".243 Eine Besonderheit des katholischen Europa war die Tatsache, dass sich die Gläubigen nicht nur im Rahmen der Gemeinde versammelten, sondern Bruderschaften bildeten, die – mit Ausnahme der jesuitischen marianischen Kongregationen – kaum unter klerikaler Kontrolle standen.244 Sie waren in der Innerschweiz, Italien und Spanien sehr beliebt.245 Feste, Bruderschaftsmähler und Wallfahrten waren neben der Caritas und der Friedensstiftung die Haupttätigkeiten der Bruderschaften.

Die Gemeinde spielte jedoch kirchenorganisatorisch im Protestantismus eine weit größere Rolle. Und die enge Bindung der weltlichen und der geistlichen Gemeinde durch eigene Sittenzuchtorgane, in denen die Gemeinde selbst eine "bischöfliche Funktion" wahrnahm, ist eher für das lutherische, besonders aber für das reformierte Europa typisch geworden. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Abendmahlsgemeinschaft als virtuelle Verwandtschaft – wie schon Max Weber formuliert hat – dazu beigetragen hat, dass Sippen und Faktionen hinter der Gemeinde allmählich zurücktraten und eine voluntaristische Schwurgemeinschaft sich bilden konnte, die Basis des kommunalen Prinzips im christlichen Europa.246

In einer Studie über die "Messe als soziale Institution"247 erscheint das Abendmahl als soziales Sakrament.248 In ihm vollzogen alle den Friedenskuss, die Pax, in ritueller Form, um die Brüderlichkeit, die nun zwischen ihnen herrschte, zu dokumentieren, und gingen gemeinsam zur Kommunion. Diese Pax machte aus dem Abendmahl ein Versöhnungsmahl mit dem Nächsten. Das Konzil von Trient dogmatisierte sogar die Vorstellung, die Kommunion versöhne alle Glieder Christi miteinander und restituiere einen Zustand des Friedens innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Den Hass abzulegen und Freundschaft wieder herzustellen, bringe allen Gläubigen wieder Gottes Huld, so dass das soziale Sakrament Abendmahl über die Gemeinschaft auch die Gnade zugänglich mache.249

Das anglikanische Europa

Im anglikanischen England, in dem die Kirchenzucht in die bischöfliche Kirchenverfassung integriert blieb, waren nichtsdestotrotz die lokalen Sendschöffen oder churchwardens die Basis der Kirchenzucht.250 Sie entstammten der Urwahl der Gemeinde, besaßen aber keine eigene Gerichtskompetenz, sondern konnten nur die bischöfliche oder archidiakonale Kirchenzucht in Gang setzen. Eine stärkere Kommunalisierung der Kirchenzucht, wie sie die Puritaner forderten, kam bekanntlich nicht zustande. Deshalb waren Puritaner darauf angewiesen, die weltlichen Niedergerichte zu nutzen, zu denen die Gemeinde das Wahlrecht besaß.

Das lutherische Europa

Die Gemeinde, wiewohl von Luther als Gemeinschaft der Gläubigen theologisch mit dem Priesteramt ausgestattet, der der Pfarrer nur als ein besonders beauftragter Gläubiger vorstand, geriet in Mitteleuropa in die Rolle der "Herde", der Pfarrer als "Pastor" in die des Leiters der Gemeinde. Er war es auch, der meist die Sittenzucht ausübte, vor dem Abendmahl prüfte und vom Abendmahl abmahnte.251

Dennoch bestand in Skandinavien und in einigen deutschen lutherischen Territorien von Anfang an eine Kirchenzucht auf presbyterialer Grundlage (etwa in Nassau-Dillenburg, Hessen, Pfalz-Zweibrücken, Pfalz-Neuburg oder der württembergischen Teilherrschaft Mömpelgard [Montbéliard]).252 Auch in den eher obrigkeitlich organisierten lutherischen Kirchentümern entstand hier und da im Laufe der Zeit eine Art gemeindlicher Sittenzucht. Das Herzogtum Württemberg ist hier besonders gut erforscht.253 Bis zur Einführung der Kirchenkonvente hatte zunächst das weltliche Ruggericht in den Dörfern die Einhaltung der Zehn Gebote überwacht und gesichert.254 Es wachte über Gotteslästerung, Fluchen, Gottesdienstversäumnisse, Katechismusschwänzen, Sabbatschändung (also Entheiligung des Sonntags), Sektierertum, Zaubern, Wahrsagen, Uneinigkeit zwischen Eheleuten und Nachbarn oder Eltern und Kindern, Ehebruch, Unzucht/voreheliche Sexualität, Verschwendung, Trunksucht, Spielleidenschaft, Diebstahl, Wucher und Fürkäufe (Handel, der sich der städtischen Marktregulierung entzog).255 Das heißt, dass eine "unlutherische" Vermischung der beiden Reiche oder Regimente stattgefunden hatte, und das im "lutherischen Spanien".256 Dieses Phänomen einer Kirchenzucht im weiteren Sinne durch weltliche Gerichte lässt sich auch für Schleswig-Holstein und Dänemark nachweisen, ist also kein Einzelfall.257

In Württemberg hatte das Abendmahl im Kontext der lutherischen Zuchtpraxis durch die Kirchenkonvente, die Mitte des 17. Jahrhunderts eingerichtet wurden, eine zentrale Rolle: Es war "konstitutiv für die Gemeinschaft".258 Von diesem Ritus ging ein starker Impuls aus, Kontrahenten zu versöhnen. Diese Versöhnung mit den Nachbarn war in Dänemark ebenso Vorbedingung für die Teilnahme am Abendmahl wie in Schweden.

Die schwedische Kirchenselbstverwaltung scheint maßgeblich – eben durch die Selbstdisziplinierung – zu einer erfolgreichen Sozialdisziplinierung beigetragen zu haben.259 Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die schwedische Kirche eine scheinbar unlutherisch strenge Kirchenzucht mit Kleinem und Großem Bann gekannt hat. In Dänemark war die Tradition einer dörflichen Autonomie eher noch stärker als in Schweden. Auf der untersten Ebene besaßen die Gemeinden mit dem Pfarrerwahlrecht eine Kompetenz von enormer Bedeutung. Selbst als im 17./18. Jahrhundert auswärtigen Patronen durch die Krone Pfarrbesetzungsrechte übertragen wurden, behielten die Gemeinden ein Veto. Vor allem aber wurde auch hier 1629 eine Kirchenzucht nach calvinistischem Vorbild – ähnlich wie in Schweden oder in Württemberg – eingeführt, die dem unter gemeindlicher Mitwirkung gewählten Pfarrer und den Ältesten weitgehende Befugnisse über alle nichtkriminellen Vergehen einräumte und einer alttestamentlichen Religiosität – inklusive des Bannes – Raum verschaffte.

Die theologische Dimension wurde folgendermaßen auf den Begriff gebracht:

Die lutherisch-orthodoxen Theologen verstehen die Abendmahlsgemeinschaft im doppelten Sinn. Zum einen findet hier die Gemeinschaft des einzelnen mit Gott seinen [sic] sinnen­fälligen Ausdruck ... Dogmatisch betrachtet, ist das Abend­mahl die sakramentale Version der Rechtfertigung, hier er­folgt sichtbar die Annahme des Sünders unter Nichtanrechnung seiner Sünde. Zum andern wird durch die Rede von den Gliedern des einen Leibes Christi die soziale Funktion der Abendmahls­gemeinschaft stark betont. Die Erinnerung an die christliche Liebe soll hier der Antrieb zum Handeln sein.260

Deshalb ist das Abendmahl im Luthertum – wie die Kommunion nach der Pax in der katholischen Liturgie – auch dezidiert als "soziales Sakrament" bezeichnet worden .261

Das reformierte Europa

Die Reinheit der Abendmahlsgemeinschaft und die Treue zu Gott zu bewahren, war die Aufgabe des Presbyteriums,262 das für das Reformiertentum typisch warDas Chorgericht, Stahlstich, 19. Jh, unbekannter Künstler; Bildquelle: Schmidt, Heinrich Richard: Das Chorgericht von Vechigen 1572-1798, in: Geschichte der Gemeinde Vechigen, Boll 1995, S. 221–241, Bild: S. 222. . Es hatte weniger punitive als restitutive Ziele, das heißt es wollte Sünder auf den rechten Weg zurückführen, damit sie wieder in Einklang mit Gottes Geboten lebten. Entsprechend lag der Schwerpunkt auf Ermahnungen und Belehrungen. Daneben kamen in manchen Kirchen Geldstrafen zugunsten der Armenkasse und zeitweilige Inhaftierungen vor sowie Schandstrafen, die den Sünder vor der Gemeinde bloßstellten.263 In der schottischen Kirche war – um nur ein Beispiel zu nennen – der stool of repentanceRepentance Stool, from Old Greyfriars, Edinburgh, unbekannter Künstler; Bildquelle: Andrews, William (Hg.): Antiquities and Curiosities of the Church, London 1897, S. 97., auf dem der Sünder während des Gottesdienstes saß, eine solche "Besserungsstrafe".264

Die schärfste Waffe waren der Kleine und der Große Bann. Durch sie wurden die Sünder aus der geistlichen Gemeinschaft des Abendmahls auf Zeit (Kleiner Bann) oder von der ganzen Gemeinde, evtl. auf Dauer, ausgestoßen, "damit nun keiner durch vorsetzli­ches stillschweigen ... sich deß anderen sünd theilhaf­tig mache".265

Diese kollektive Verantwortlichkeit für das Verhalten Einzelner und für die Reinheit der Gemeinde zwang die Konsistorien, intensiv an der Versöhnung der Gemeindemitglieder und der Gemeinde mit Gott zu arbeiten. Sie ermahnten zu "vffrichtiger liebe vnd einigkeit, gentzlicher entschlachnus vnd abwerffung vergessung alles dessen, was sie mit einandern gehabt, auch bezeugung dessen durch hendreichung je einer dem anderen". Nachbarn sollten "in liebe und friden leben". Streithähne wurden "verhört, vereinbart, zur fründlichkeit vnd nachberlicher liebe vermanet".266 Nächstenliebe wurde als "nachbarliche Liebe" operationalisiert. Das Chorgericht vollzog eine Form der Pax.267 Besonders für die Niederländer, die Schweizer, die Hugenotten und die Schotten268 sind wir sehr genau über die Vermittlungstätigkeit der Konsistorien informiert. Erst nach der Versöhnung erhielten die hugenottischen Gläubigen sogenannte méreaux bzw. die Schotten communion tokens – sozusagen "Essensmarken", die sie zum Besuch des Abendmahls berechtigtenSchottisches Communion Token, Farbphotographie, Photograph: David Powell; Bildquelle: Powell, David: Communion Tokens of the British Isles, http://www.mernick.org.uk/lnc/DPowell/CommunionTokens.htm..

Das jüdische Europa

Die jüdische Gemeinde269 näherte sich am stärksten in Polen in der Zeit von 1348 bis zum Pogrom unter dem Kosakenführer Chmel'nickij 1648 ihrer Idealform an.270 Die Gemeinde (Kehilla) besaß in dieser Zeit weitgehende innere Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit.271 Geleitet wurde sie durch Älteste (Parnassim, Raschim) und den Rabbi, der sakralrechtlicher Richter war. Die Gemeinde besaß eigene Gebäude, die unterhalten werden mussten: die Synagoge, die Schule, das Lehrhaus (Jeschiwa = Rabbinatsschule), die Mikwe (rituelles Bad) etc.272

Die bedeutendste soziale Einrichtung der Gemeinde war die Chewra Kadischa, eine ursprünglich als Beerdigungsgemeinschaft eingerichtete Bruderschaft, die auch Funktionen der Armenfürsorge und der Krankenfürsorge übernahm, wodurch sie so etwas wie eine Versicherungsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit wurde.273

Der jüdische Gerichtshof (Bet Din) bestand in der Regel aus drei Richtern (Dajanim), einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Beisitzern. Ihre Urteile wurden von den Ältesten gegengezeichnet. Den Vorsitz hatte der gelehrte und von der Gemeinde besoldete Gemeinderabbiner inne. Die Gemeinde gab sich auf der Basis des Talmuds eigene Statuten (Takkanot), deren Einhaltung durch verschiedene Grade des Bannes (Cherem) gesichert wurde, den der Gemeinderabbiner aussprach. Die jüdischen Gemeinden verfolgten mit dem Bann Abweichler ganz ähnlich wie die christlichen Kirchen Ketzer. Bekanntestes Beispiel ist der Sepharde (spanisch-portugiesische Jude) Baruch Spinoza (1632–1677)[Baruch de Spinoza (1632–1677) IMG], der von der Amsterdamer Gemeinde verflucht (gebannt) wurde, weil er ein pantheisierendes System entwickelt hatte, das für die Vorstellung eines personalen Gottes keinen Raum ließ.274 Die Funktion der Rabbinatsgerichte glich dem der protestantischen Sittengerichte: Konflikte in Ehe und Gemeinde sollten möglichst beigelegt werden. Zentral war also auch hier der Rechtsfrieden im Bereich der religiösen Ordnung und der gesellschaftlichen Disziplin.275 Besondere Schiedsgerichte dienten der Beilegung von finanziellem Streit jeder Art.276

Das islamische Europa

Die muslimische Gemeinde gründet auf der Verordnung des Korans: "Die Gläubigen sind ja Brüder." (Sure 49,10.277 Der Gläubige ist Teil des Gottesvolkes, das an die Stelle der Blutsverwandtschaft die Gemeinsamkeit des Glaubens stellt. Die Brüderlichkeit, die zwischen ihnen herrschen soll, verpflichtet Muslime aber auch, Streit zu schlichten und eigene Konflikte durch Versöhnung zu lösen.278 Dieser Aufgabe widmete sich der Kadi, der auch als Schlichtungs- und Entscheidungsinstanz bei Ehekonflikten fungierte. Er sorgte für die Lösung aller möglichen Dispute in Ehe, Nachbarschaft, Viertel oder Gemeinde.279 Er versöhnte Personen, die etwa aufgrund von Differenzen im geschäftlichen Bereich in Konflikt geraten waren.280 Er stellte die "rechte Ordnung" wieder her. Der Kadi ist nicht durch eine Gemeinde im Sinne des Parochialprinzips definiert. Er kann zwar faktisch einer Stadt vorstehen, aber häufig ist sein Amtsbezirk doch ausgedehnterVor dem Kadi, Buchmalerei, ca. 1334, unbekannter Künstler; Bildquelle: © Österreichische Nationalbibliothek, Cod. A.F. fol. 30v..281

Zur Nächstenliebe hat die Gerechtigkeit als ihre juristische Form zu treten, weshalb der Islam im Gesetz (der Scharia) Gebote und Verbote aufstellt, die sehr weit in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Sphäre eingreifen.282 Diese Gerechtigkeit hat sich nach der Lehre in der Solidarität mit den Armen zu zeigen, die ein Recht am Eigentum der Besitzenden haben.283 Die Gläubigen sollen der Gemeinschaft und dem Staat ermöglichen, soziale Aufgaben zu erfüllen, aber sie sind auch persönlich verantwortlich dafür, sich für die Armen und Schwachen einzusetzen.284 Deshalb ist der Kadi auch für (gemeinnützige) Stiftungen zuständig.285 Für die Marktaufsicht steht ihm ein besonderer Amtsträger (Muhtasib) zur Seite. Für Kriminalfälle ist der Stadtvogt (sahib al-madina) zuständig. Die schariarechtliche Aburteilung aber verbleibt dem Kadi, der ja ein gelehrter Jurist ist. Seine doppelte säkular- und sakralrechtliche Funktion vereinigt stärker als in den christlichen Konfessionen die Verfolgung von Sünde und Verbrechen. In seiner Funktion als Schiedsmann ähnelt das Kadiamt dennoch den reformierten Konsistorien. Allerdings bleibt festzuhalten, dass eine Moscheegemeinde weder als räumliche Basis noch gar als Selbstregulierungsorgan angesprochen werden kann, wie es im Sendgericht oder in den lutherischen und reformierten Presbyterien/Konsistorien der Fall ist. Auch gibt es nicht eine derart enge, sich an der mittelalterlichen Pax orientierende rituelle Anbindung an die Zugehörigkeit zur religiösen Gemeinde oder den Ausschluss (Bann) aus ihr.

Schluss

Es dürfte deutlich geworden sein, dass sich Europa nicht eindeutig über eine vorherrschende Konfession definieren lässt, sondern nur über deren simultane Präsenz. Das Europa der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts kann sogar als das Gebiet der Welt verstanden werden, in dem die drei großen monotheistischen Religionen den Raum bestimmten. Dabei war die Art, wie die Konfessionen Räume schufen, durchaus vergleichbar: Sie wollten Gottes Gestaltungswillen in der Praxis des Lebens wirksam werden lassen. Und diesen Willen, zu dem sie sich bekannten, verstanden sie ähnlich:

In Anerkennung der Tatsache, dass man die formalen Unterschiede nicht minimieren kann – ist dennoch klar," formulierten im Jahr 2007 muslimische Reformtheologien, "dass im Bereich der 'beiden wichtigsten Gebote' Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen dem Koran, der Tora und dem Neuen Testament bestehen … Deshalb stellen die Einzigkeit Gottes, die Liebe zu Ihm und die Liebe zum Nächsten eine gemeinsame Basis dar, auf der der Islam und das Christentum (und der Judaismus) gegründet sindMohammed und Issa (Jesus, auf dem Esel) reiten einträchtig nebeneinander, 18. Jahrhundert, unbekannter persischer Künstler; Bildquelle: © R. u. S. Michaud/akg-images..286

Heinrich Richard Schmidt

Anhang

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Anmerkungen

  1. ^ Zwingli, Schlussreden 1523 1908, S. 324. Dafür verwendet Zwingli auch den Begriff der "Schnur Christi" (Zwingli, Schlussreden 1523 1908, S. 324). Vgl. auch S. 323: "Darumb söllend all ire gsatzt dem götlichen willen glychförmig sin", heißt es von den Obrigkeiten.
  2. ^ Z.B. aber in der vorzüglichen Studie von Klieber, Lebenswelten 2010.
  3. ^ Tilly, Das Judentum 2010, S. 157.
  4. ^ Tworuschka / Tworuschka, Der Islam 2007, S. 30.
  5. ^ Dazu Staats, Glaubensbekenntnis 1999; Evangelische Bekenntnisse 1997, S. 18.
  6. ^ Dingel, Bekenntnis 2005.
  7. ^ Zitiert nach Tilly, Das Judentum 2010, S. 203.
  8. ^ Kaddor / Müller, Koran 2008, S. 7 (Sure 1). Zur Schahada ebd., S. 20.
  9. ^ Löw, Raumsoziologie 2009, S. 199.
  10. ^ Löw, Raumsoziologie 2009, S. 204.
  11. ^ Dieses Raumkonzept legt auch Renate Dürr ihrer Studie des Kirchenraumes zugrunde: Dürr, Politische Kultur 2006, S. 18–22. Vgl. Rau, Raum und Religion 2008, S. 18.
  12. ^ Damit überträgt Löw Giddens' Strukturierungsthese auf die Raumsoziologie, bei der Struktur und Handeln als Dualität (statt als Dualismus) verstanden werden.
  13. ^ Dazu Löw, Raumsoziologie 2009, S. 137f. Löw nimmt immer ein solches Substrat an.
  14. ^ Klieber, Lebenswelten 2010, S. 22.
  15. ^ Klieber, Lebenswelten 2010, S. 29.
  16. ^ Klieber, Lebenswelten 2010, S. 163.
  17. ^ Zusammenfassend Schmidt, Konfessionalisierung 1992.
  18. ^ Todd, Scotland 2002, bes. S. 402–412.
  19. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 898.
  20. ^ Vgl. Reinhard, Barockkatholizismus 2010, bes. S. 429.
  21. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 116.
  22. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 59.
  23. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 116.
  24. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 126.
  25. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 124–146, zum Jansenismus bes. S. 136–138.
  26. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 132. Zur Nähe zum Puritanismus auch Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 136.
  27. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 137.
  28. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 1029–1061.
  29. ^ Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 2009, S. 205.
  30. ^ Schmidt, Konfessionalisierung 1992, S. 35–41.
  31. ^ Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 2009, S. 289–302. Vgl. Schmidt, Konfessionalisierung 1992; zu den Kirchenordnungen und den Geistlichen Räten bes. S. 24–44. Zu den weltlichen Staaten bes. S. 30–35.
  32. ^ Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 2009, S. 241–247.
  33. ^ Greyerz, England 1994, S. 77.
  34. ^ Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 2009, S. 205.
  35. ^ Vgl. dazu den Sammelband Ehmer, Kirchenkonvent 2009.
  36. ^ Olesen, Dänemark 2003, S. 60.
  37. ^ Olesen, Dänemark 2003, S. 60.
  38. ^ Buchholz, Schweden 2003, S. 120f. Vgl. dazu und zu Dänemark auch Schmidt, Gemeinde 1996, S. 193ff.
  39. ^ Buchholz, Schweden 2003, S. 118f. Sundin, Control 1981, zu den Sockenstämma.
  40. ^ Das Folgende nach Schmidt, Kirchenordnung 2009; Schmidt, Konfession 2005; Schmidt, Gemeinde 1996; Schmidt, Die reformierten Kirchen 2012.
  41. ^ Das Folgende aus Schmidt, Die reformierten Kirchen 2012. Dort auch die Einzelnachweise.
  42. ^ Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 2009, S. 332–338 zur Orthodoxie.
  43. ^ Döpmann, Die orthodoxen Kirchen 1991, S. 105.
  44. ^ Bryner, Die Ostkirchen 1996, S. 40.
  45. ^ Bryner, Die orthodoxen Kirchen 2004, S. 83.
  46. ^ Bryner, Die Ostkirchen 1996, S. 40.
  47. ^ Bryner, Die Ostkirchen 1996, S. 40.
  48. ^ Battenberg, Die Juden in Deutschland 2001, S. 7.
  49. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 129.
  50. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 21.
  51. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 232.
  52. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 208.
  53. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 219.
  54. ^Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 236.
  55. ^ Herzig, Jüdische Geschichte 1997, S. 127. Vgl. Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 232f.
  56. ^ Schreiner, Rechtsstellung 2001, S. 60.
  57. ^ Schreiner, Rechtsstellung 2001, S. 66f.
  58. ^ Schreiner, Rechtsstellung 2001, S. 66. Vgl. Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 229–231.
  59. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, S. 230f.
  60. ^ Vgl. auch Kosman, Art. "Jüdische Gemeinde" 2007, S. 94.
  61. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 136.
  62. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 241.
  63. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 242f.
  64. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 243. Vgl. Ullmann, Nachbarschaft 1999, S. 213.
  65. ^ Volkov, Die Juden in Deutschland 1994, S. 4f.
  66. ^ Kaplan, Konsolidierung 2003, S. 227.
  67. ^ Bossong, Das maurische Spanien 2007.
  68. ^ Bossong, Das maurische Spanien 2007, S. 18.
  69. ^ Ein Kalif ist wörtlich "Gottes Stellvertreter" oder "Nachfolger" (siehe den Abschnitt "Das islamische Europa" im Kapitel "Gottes- und Menschenbild" dieses Beitrags). Kalifat genannt wird das Reich des Kalifen, das geistliche und weltliche Herrschaft in sich vereint und somit eine Theokratie darstellt. Schon Mohammeds Herrschaft in Medina war ein solches Kalifat.
  70. ^ Bossong, Das maurische Spanien 2007, S. 50f.
  71. ^ Monter, Zwangskonfessionalisierung 1995.
  72. ^ Monter, Zwangskonfessionalisierung, S. 139.
  73. ^ Monter, Zwangskonfessionalisierung, S. 142.
  74. ^ Bossong, Das maurische Spanien 2007, S. 65.
  75. ^ Bossong, Das maurische Spanien 2007, S. 68–70.
  76. ^ Dazu Franke, Islam 2012. Dort auch zur Sondergruppe der Lipka-Tartaren auf dem Gebiet von Polen-Litauen.
  77. ^ Die neueste Darstellung ist Koller, Ungarn 2010. Vgl. auch den Beitrag in EGO: Koller, Geschichte Südosteuropas 2010.
  78. ^ Faroqhi, Kultur und Alltag 1995, S. 46.
  79. ^ Faroqhi, Kultur und Alltag 1995, S. 46. Zu Albanien vgl. Bartl, Albanien 1995; und Bartl, Albania Sacra 2007, mit ausführlichen Informationen zur Islamisierung, zu Kryptochristentum und Visitationsberichten der Diözese Alessio.
  80. ^ Dzaja, Nationalität 1984. Ähnliche Daten auch aus dem makedonisch-albanischen Grenzgebiet: Gjorgiev, Islamisierung 2005. Vgl. Franke, Islam 2012, für Konfessionsstatistiken aus den 1520er Jahren zu Edirne (82,1 Prozent Muslime), Sofia (66,4), Larissa (90,2), Bitola/Manastir (75), Skopje (74,8). Dort auch zur späten Konversion in Albanien und Kosovo, die erst im 17. Jahrhundert erfolgte, und zu der Kretas und von Teilen Bulgariens im 18. Jahrhundert.
  81. ^ Schimmel, Der Islam 1991, S. 70–75.
  82. ^ Schimmel, Der Islam 1991, S. 82.
  83. ^ Koller, Ungarn 2010, S. 178.
  84. ^ Leppin, Siebenbürgen 2005. Darin bes. Petritsch, Siebenbürgen 2005; und Zach, Siebenbürgen 2005. Vgl. auch Klueting, Ostmitteleuropa 2005; und Bahlcke, Ostmitteleuropa 1999.
  85. ^ Digitalisat des Friedensvertrages von Karlowitz, 26.01.1699, Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Projekt Europäische Friedensverträge der Vormoderne [06.12.2012].
  86. ^ Bryner, Die orthodoxen Kirchen 2004, S. 59.
  87. ^ Südosteuropa wurde zur Großprovinz "Rumeli", die wieder in Teilprovinzen untergliedert wurde, die ihrerseits aus Gerichtsbezirken mit einem Kadi an der Spitze bestanden. Koller, Geschichte Südosteuropas 2010. Zum Kadi-Amt auch der Artikel "Kadi" 2012.
  88. ^ Talabardon, Christentum 2009, S. 30.
  89. ^ Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 2009, S. 221.
  90. ^ Talabardon, Christentum 2009, S. 31.
  91. ^ Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 2009, S. 265.
  92. ^ Talabardon, Christentum 2009, S. 31.
  93. ^ Heiler, Christentum 1999, S. 451.
  94. ^ Weber, Die protestantische Ethik 1981, S. 131.
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  97. ^ Döpmann, Die orthodoxen Kirchen 1991, S. 264.
  98. ^ Döpmann, Die orthodoxen Kirchen 1991, S. 269.
  99. ^ Heiler, Judentum 1999, S. 396.
  100. ^ Heiler, Judentum 1999, S. 396.
  101. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 10.
  102. ^ Khoury, Das Ethos 1993, S. 181. Vgl. Tworuschka / Tworuschka, Der Islam 2007, S. 66. So auch Schimmel, Der Islam 1999, S. 506f.
  103. ^ Tworuschka / Tworuschka, Der Islam 2007, S. 66.
  104. ^ Haußig, Islam 2009, S. 21–27.
  105. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 72.
  106. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 101.
  107. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 100f.
  108. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 84.
  109. ^ Tworuschka / Tworuschka, Der Islam 2007, S. 66. Vgl. Khoury, Der Islam 1992, S. 150–153.
  110. ^ Schimmel, Der Islam 1999, S. 502.
  111. ^ Dazu ein Überblick bei Schweizer, Der unbekannte Islam 2007.
  112. ^ Haußig, Islam 2009, S. 28.
  113. ^ Zur Mystik bes. Schimmel, Der Islam 1991, S. 91–109.
  114. ^ Halm, Der Islam 2007, S. 52.
  115. ^ Wild, Der Böse 2009, S. 60.
  116. ^ Halm, Der Islam 2007, S. 52f.
  117. ^ Vgl. Popovic, Un ordre 1993. Clayer, Pays de derviches 1990, zu Albanien.
  118. ^ Koller, Ungarn 2010, S. 106.
  119. ^ Vgl. zum folgenden Kapitel auch Slenczka, Abendmahlslehre und Abendmahlspraxis 2010.
  120. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 84.
  121. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 87.
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  124. ^ Gerhards, Feierraum 2008, S. 17.
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  127. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 702.
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  129. ^ Holzem, Katholische Konfessionalisierung 2009, S. 275.
  130. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 84–87.
  131. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 87.
  132. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 89.
  133. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 101–103.
  134. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 709.
  135. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 110.
  136. ^ Heiler, Christentum 1999, S. 469.
  137. ^ Döpmann, Die orthodoxen Kirchen 1991, S. 112.
  138. ^ Tilly, Das Judentum 2010, S. 195f.
  139. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 21.
  140. ^ Liberles, An der Schwelle 2003, S. 95.
  141. ^ Beyer, Geheiligte Räume 2008, S. 21.
  142. ^ Für dies und das Folgende Künzl, Jüdische Architektur 2001, S. 182f.
  143. ^ Heiler, Judentum 1999, S. 399f.
  144. ^ Tilly, Das Judentum 2010, S. 192.
  145. ^ Tilly, Das Judentum 2010, S. 193.
  146. ^ Tilly, Das Judentum 2010, S. 193; Heiler, Judentum 1999, S. 402.
  147. ^ Volkov, Die Juden in Deutschland 1994, S. 26.
  148. ^ Tilly, Das Judentum 2010, S. 197f.
  149. ^ Tilly, Das Judentum 2010, S. 203f.
  150. ^ Zitiert nach Heiler, Judentum 1999, S. 401.
  151. ^ Heiler, Judentum 1999, S. 402.
  152. ^ Behrens-Abouseif, Mosque 2008, S. 158.
  153. ^ Halm, Der Islam 2007, S. 62–65. Zur Moschee vgl. den Artikel "Masdjid" 2012.
  154. ^ Vgl. Schilling, "History of Crime" 1987.
  155. ^ Schnabel-Schüle, Kirchenzucht 2009; vgl. dazu auch Schmidt, Lutherische Kirchenkonvente 2009.
  156. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 692.
  157. ^ Schmidt, Das Abendmahl 2002, S. 88.
  158. ^ Bossy, Moral Arithmetic 1988.
  159. ^ Das Folgende nach Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 27f.
  160. ^ Galley, Halachische Traditionen 2001, S. 104.
  161. ^ Vgl. Klein, Art. "Jüdische Gerichtsbarkeit" 2007, bes. S. 98.
  162. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 172.
  163. ^ Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden 1990, vol. 1, S. 174.
  164. ^ Klein, Art. "Jüdische Gerichtsbarkeit" 2007; und Kosman, Art. "Jüdische Gemeinde" 2007.
  165. ^ Halm, Der Islam 2007, S. 74–77.
  166. ^ Schimmel, Der Islam 1999, S. 520.
  167. ^ Müller, Gerichtspraxis 1999, S. XI.
  168. ^ Müller, Gerichtspraxis 1999, S. XI. Vgl. auch Muranyi, Das Kitab Ahkam Ibn Ziyad 1998.
  169. ^ Müller, Gerichtspraxis 1999, S. XIII.
  170. ^ Dazu Khoury, Der Islam 1992, S. 176–182.
  171. ^ Müller, Gerichtspraxis 1999, S. 142–146 zu Verfahren in Cordoba.
  172. ^ Müller, Gerichtspraxis 1999, S. XIVf., 103.
  173. ^ Holzem, Familie und Familienideal 2008, S. 271f.
  174. ^ Holzem, Religion und Lebensformen 2000, zum Münsteraner Send.
  175. ^ Houlbrooke, Church Courts 1979; und Ingram, Church Courts 1994, zu den anglikanischen Kirchengerichten.
  176. ^ Albert, Der gemeine Mann 1998.
  177. ^ Beck, Frauen in Krise 1992, S. 144.
  178. ^ Beck, Frauen in Krise 1992, S. 146.
  179. ^ Beck, Frauen in Krise 1992, S. 148. Zum "Hausen" als Schlüsselbegriff für die materielle Versorgung des Hauses und die Rollenerfüllung von Mann und Frau vgl. ebd., S. 150–156.
  180. ^ Francini, Moralia coniugalia 1998, S. 185–205 und Anhänge.
  181. ^ Farge, Familiäre Konflikte 1989, S. 9–57.
  182. ^ Farge, Familiäre Konflikte 1989, S. 36f.
  183. ^ Farge, Familiäre Konflikte 1989, S. 55f.
  184. ^ Dazu u.a. Schmidt, La violence 2004; Schmidt, Hausväter 1998.
  185. ^ Kirchenkonventsprotokoll Unterjesingen: 17.08.1665. Aus Schmidt, Männergewalt 2003, S. 43.
  186. ^ Sabean, Property 1997, S. 111.
  187. ^ Sabean, Property 1997, S. 115.
  188. ^ Sabean, Property 1997, S. 116. Vgl. 132: Relativ gesehen standen aber Probleme der Gewalt, des Trinkens und des Schwörens deutlich im Vordergrund vor dem Problem des Hausens, soweit Klagen der Ehefrauen gegen ihre Männer betroffen waren.
  189. ^ Zusammenfassend Schmidt, Männergewalt 2003.
  190. ^ Schmidt, Hausväter 1998 mit dem Untertitel "Der Patriarchalismus als zweischneidiges Schwert".
  191. ^ Kirchgemeindearchiv Vechigen: 26.05.1622; vgl. Schmidt, Hausväter 1998: 03.04.1625. Aus Schmidt, Männergewalt 2003, S. 42f.
  192. ^ Döpmann, Die orthodoxen Kirchen 1991, S. 233f.
  193. ^ Döpmann, Die orthodoxen Kirchen 1991, S. 234f.
  194. ^ Fonrobert, Frauen im Judentum 2001, S. 79.
  195. ^ Keil, Die Familie im Judentum 2001, S. 92.
  196. ^ Berger, Sexualität 2003, S. 145.
  197. ^ Keil, Die Familie im Judentum 2001, S. 98.
  198. ^ Keil, Die Familie im Judentum 2001, S. 92.
  199. ^ Liberles, An der Schwelle 2003, S. 46.
  200. ^ Keil, Die Familie im Judentum 2001, S. 97f. Vgl. Blau, Ehescheidung 1970.
  201. ^ Dazu Klein, "Angleichung der Geschlechter" 2008.
  202. ^ Klein, "Angleichung der Geschlechter" 2008, S. 228.
  203. ^ Klein, "Angleichung der Geschlechter" 2008, S. 231f.
  204. ^ Klein, "Angleichung der Geschlechter" 2008, S. 232f.
  205. ^ Klein, "Angleichung der Geschlechter" 2008, S. 235.
  206. ^ Keil, Die Familie im Judentum 2001, S. 99.
  207. ^ Klein, "Angleichung der Geschlechter" 2008, S. 234.
  208. ^ Lowenstein, Anfänge der Integration 2003, S. 149.
  209. ^ Keil, Die Familie im Judentum 2001, S. 95.
  210. ^ Berger, Sexualität 2003, S. 199.
  211. ^ Berger, Sexualität 2003, S. 213.
  212. ^ Liberles, An der Schwelle 2003, S. 50f.
  213. ^ Keil, Die Familie im Judentum 2001, S. 96.
  214. ^ Dazu Walther, Die Frau im Islam 1997, bes. S. 61–89: Kapitel "Der Alltag in Familie und Gesellschaft".
  215. ^ Ahmed, Women and Gender 1992, S. 238.
  216. ^ Halm, Der Islam 2007, S. 81–84.
  217. ^ Gottschalk, Die Kultur der Araber 1971, S. 104.
  218. ^ Haußig, Islam 2009, S. 106f.
  219. ^ Merkelbach, Die Protokolle 1991, S. 307f.
  220. ^ Merkelbach, Die Protokolle 1991, S. 312.
  221. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 160.
  222. ^ Tworuschka / Tworuschka, Der Islam 2007, S. 70.
  223. ^ Gerber, Bursa 1980, S. 232.
  224. ^ Gerber, Anthropology 1989, S. 412.
  225. ^ Jennings, Christians and Muslims 1993, S. 29.
  226. ^ Jennings, Divorce 1993.
  227. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 165. Vgl. Merkelbach, Die Protokolle 1991, S. 313.
  228. ^ Jennings, Studies 1999, S. 522: "incompatibility". Vgl. auch Gulubov / Duda, Sofia 1960, zu Protokollbüchern aus Sofia.
  229. ^ Merkelbach, Die Protokolle 1991, S. 313.
  230. ^ Jennings, Studies 1999, S. 523.
  231. ^ Merkelbach, Die Protokolle 1991, S. 312.
  232. ^ Jennings, Studies 1999, S. 197; Jennings, Kadi 1978; und Jennings, Women 1975.
  233. ^ Jennings, Christians and Muslims 1993, S. 16f. Der Frauenanteil bei Klagen von Orthodoxen vor dem Kadi war allerdings höher als bei Muslimen.
  234. ^ Jennings, Christians and Muslims 1993, S. 16, 31f., 102f.
  235. ^ Rapoport, Marriage 2005, S. 114.
  236. ^ Jennings, Christians and Muslims 1993, S. 16f.
  237. ^ Rapoport, Marriage 2005, S. 114.
  238. ^ Vgl. auch Gradeva, Judicial Functions 2005, zum Kadiamt Sofia.
  239. ^ Gradeva, Judicial Functions 2005, S. 24f.
  240. ^ Venard / Vogler, Die kollektiven Formen 1992, S. 959.
  241. ^ Venard / Vogler, Die kollektiven Formen 1992, S. 959f.
  242. ^ Venard / Vogler, Die kollektiven Formen 1992, S. 961.
  243. ^ Venard / Vogler, Die kollektiven Formen 1992, S. 963, zum Begriff der "Schafe" für die Pfarreiangehörigen, der sich im späten 16. Jahrhundert durchzusetzen begann.
  244. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 399.
  245. ^ Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 400–402. Zur inneren Organisation und ihren Funktionen Hersche, Muße und Verschwendung 2006, S. 406–419.
  246. ^ Schmidt, Das Abendmahl 2002.
  247. ^ Bossy, The Mass 1983.
  248. ^ Bossy, Christianity 1987, S. 45–48, 53.
  249. ^ Bossy, The Mass 1983, S. 53f.
  250. ^ Dazu Schmidt, Gemeinde 1996, S. 193.
  251. ^ Rublack, Lutherische Beichte 1993. In Württemberg konnte nur der landesherrliche Kirchenrat den Kleinen Bann verhängen: Schmidt, Konfessionalisierung 1992, S. 19.
  252. ^ Schmidt, Gemeinde 1996, S. 191f.
  253. ^ Ehmer, Kirchenkonvent 2009.
  254. ^ Vgl. Schnabel-Schüle, Kirchenzucht 2009.
  255. ^ Schmidt, Konfessionalisierung 1992, S. 66.
  256. ^ Schnabel-Schüle, Kirchenzucht 2009, S. 17.
  257. ^ Schmidt, Konfessionalisierung 1992, S. 66.
  258. ^ Sabean, Das zweischneidige Schwert 1986, S. 54.
  259. ^ So Parker, Success and Failure 1992, S. 77–79.
  260. ^ Holtz, Theologie und Alltag 1993, S. 137.
  261. ^ Schmidt, Das Abendmahl 2002.
  262. ^ Zuletzt Schmidt, Lutherische Kirchenkonvente 2009. Vgl. auch Schmidt, Gemeinde 1996.
  263. ^ Vgl. in diesem Sinne Schmidt, Die reformierten Kirchen 2012.
  264. ^ Vgl. Todd, Scotland 2002.
  265. ^ Rennefahrt, Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, 1. Teil: Stadtrechte, vol. VI, 2, Nr. 31s, 931–944: 18.3.1661 – Das "Grosse mandat der statt Bern, wider allerhand im schwang gehende laster" – zitiert in: Schmidt, Dorf und Religion 1995, S. 5.
  266. ^ Zitiert nach Schmidt, Dorf und Religion 1995, S. 307.
  267. ^ Vgl. Grosse, "Pour bien de paix" 2006, zur reformierten frankophonen Schweiz. Grosse, Les rituels de la Cène 2008, zu Genf. Zur Pax ausführlich Schmidt, Gemeinde 1996, S. 195–202.
  268. ^ Dazu Todd, Scotland 2002, bes. S. 227–264.
  269. ^ Dazu Ullmann, Nachbarschaft 1999, S. 172–179. Vgl. Kosman, Art. "Jüdische Gemeinde" 2007, S. 95.
  270. ^ Schlör, Jüdische Siedlungsformen 2001, S. 39.
  271. ^ Schreiner, Rechtsstellung 2001, S. 62–65, zur Gemeindestruktur. Zur Autonomie auch Kosman, Art. "Jüdische Gemeinde" 2007, S. 93.
  272. ^ Kosman, Art. "Jüdische Gemeinde" 2007, S. 93.
  273. ^ Battenberg, Die Juden in Deutschland 2001, S. 45.
  274. ^ Heiler, Judentum 1999, S. 393.
  275. ^ Kosman, Art. "Jüdische Gemeinde" 2007, S. 93.
  276. ^ Klein, Art. "Jüdische Gerichtsbarkeit" 2007, S. 102f.
  277. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 170.
  278. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 172.
  279. ^ Jennings, Christians and Muslims 1993, S. 104.
  280. ^ Gradeva, Judicial Functions 2005, S. 33.
  281. ^ Für die maurische Stadt Cordoba ist die Amtstätigkeit des Kadi gut erforscht: Müller, Gerichtspraxis 1999.
  282. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 174.
  283. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 171.
  284. ^ Khoury, Der Islam 1992, S. 171.
  285. ^ Dannhauer, Qadi-Amt 1975; und Ivanova, Charity Foundations 2005.
  286. ^ Offener Brief von 138 muslimischen Theologen 2007.

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