Wittenberger Einflüsse auf die Reformation in Skandinavien@Reformation in Skandinavien@(BE)@freigabe
CC by-nc-nd Simo Heininen, Otfried Czaika
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Politische Hintergründe
Seit dem Jahre 1397 waren die Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden in Personalunion (der sogenannten Kalmarer Union) unter dänischer Führung vereint. Anfang des 16. Jahrhunderts war die Union dem Ende nahe – es gab zunehmende Spannungen zwischen Dänemark und Schweden, das von Reichsverwesern aus dem Hause Sture regiert wurde. Im November 1520 wurde Christian II. von Dänemark (1481–1559), der letzte Unionskönig, ein zweites Mal in Stockholm gekrönt. Nach den Krönungsfeierlichkeiten inszenierte man mit der Hilfe des Erzbischofs von Uppsala einen Ketzerprozess gegen die Anhänger der Sture-Partei. Infolgedessen wurden zwei Bischöfe, mehrere Unionsgegner aus dem Adel sowie zahlreiche Stockholmer Bürger hingerichtet. Der junge Edelmann Gustav Vasa (1496–1560) erhob die Fahne des Aufruhrs. Mit Hilfe der mächtigen Stadt Lübeck gelang es ihm, die Dänen aus dem Land zu vertreiben.
Dänemark
Im Jahre 1523 wurde Christian II. auch aus Dänemark vertrieben. Auf seiner Flucht hielt er sich in den Niederlanden und in Deutschland auf. Der landflüchtige König war auf die Hilfe Karls V. (1500–1558), seines Schwagers, angewiesen, um sein Königreich wiederzugewinnen. Christian und seine Gattin Elisabeth (1501–1526) wandten sich der Wittenberger Reformation zu. Mehrmals besuchten sie Wittenberg. Sie wohnten im Haus Lucas Cranachs d. Ä. (1472–1553) und hörten Martin Luthers (1483–1546) Predigten. Christian ließ in Wittenberg das Neue Testament (mit den Vorreden Luthers aus dem Septembertestament) ins Dänische übersetzen. Als das Buch 1524 fertig war, ließ er einen Teil der Auflage nach Dänemark schmuggeln.
Zwar konvertierte Christian 1531 wieder zum alten Glauben, aber das war ein Lippenbekenntnis, um die Hilfe des Kaisers für die Eroberung Dänemarks zu erhalten. Das Unternehmen scheiterte jedoch, und der König musste seinen langen Lebensabend (ab 1532 bis 1559) in dänischer Gefangenschaft verbringen.
Der Nachfolger Christians, sein Onkel Friedrich I. (1471–1533), Herzog von Schleswig-Holstein, verpflichtete sich bei seiner Krönung im Jahre 1524, das Eindringen der Reformation in Dänemark zu bekämpfen und die altgläubige Kirche zu schützen. Die Lehre Luthers machte aber in den Herzogtümern Schleswig und Holstein sowie in dänischen Städten wie Kopenhagen, Malmö, Odense, Ribe und Viborg große Fortschritte, und der König vermied es – wie auch viele deutsche Fürsten – klar Position zu beziehen. Trotzdem wurden auf dem Herrentag von Odense 1526 die Verbindungen zu Rom abgebrochen: Die Ernennung von Bischöfen sollte in Zukunft vom dänischen Erzbischof bestätigt werden und nicht vom Papst. Den Bischofssitz in Lund ließ man vakant, Bischofsernennungen sollten durch den König vorgenommen werden; die Annaten flossen in die Staatskasse. Die Neigung König Friedrichs zur Reformation zeigte sich auch an der Heirat seiner Tochter Dorothea (1504–1547) mit dem lutherisch gesinnten Herzog Albrecht von Preußen (1490–1568) im Jahre 1526. Im August 1526 brach Friedrich die Fastenregeln und nahm das Abendmahl sub utraque.
Das Ziel des Königs "war es offenbar, die institutionelle Gestalt der Kirche beizubehalten, die adeligen Interessen zu verteidigen, die Verbreitung des Protestantismus in einer langsamen Entwicklung zuzulassen und so nach und nach eine Art evangelische Kirche auszubauen, in der er selbst die oberste Kirchenführung innehatte".1
Die reformatorischen Gedanken fassten zuerst in den schleswig-holsteinischen Herzogtümern Fuß. Schon 1522 wurde in Husum und bald danach auch in den anderen Städten evangelisch gepredigt. Der älteste Sohn des Königs, Herzog Christian (1503–1559), führte in seinem Herzogtum im nördlichen Schleswig die Reformation durch. Er wurde als junger Mann auf dem Reichstag zu Worms durch Luthers tapferes Auftreten für den neuen Glauben gewonnen. Christian berief aus Deutschland zwei Theologen – beide waren in Wittenberg geschult – zur Leitung seiner "Fürstenkirche". Von den Priestern verlangte er einen Treueeid. Sie mussten sich in dem neugegründeten Priesterseminar in Haderslev (Hadersleben), das sich an der Wittenberger Reformation orientierte, umschulen lassen und evangelische Gottesdienste halten. In den Städten des Herzogtums Schleswig wurde schon 1527 evangelisch gepredigt.
Damit hatte Herzog Christian in nur wenigen Jahren in seinen Territorien eine Kirchenreform durchgeführt und die erste evangelische Fürstenkirche des Nordens geschaffen – ohne dass der amtierende König Friedrich I. das verhindern wollte oder konnte. Auch in den größeren Städten Dänemarks wurde gleichzeitig die Reformation eingeführt. In Viborg/Jütland wirkte von 1526 an Hans Tausen (1494–1561) [], der "dänische Luther". Nach Studien in Löwen, Wittenberg und Rostock war der Johannitermönch in sein Kloster in Viborg zurückgekehrt. Obwohl er sich 1523 nur kurz in Wittenberg aufgehalten hatte, bezog er von dort seine entscheidende Prägung: Tausen übersetzte einige von LuthersWerken ins Dänische und ließ sie drucken. Seine Studien in Löwen und nicht zuletzt Wittenberg dürften ihn auch mit dem notwendigen Rüstzeug versehen haben, um in den 1530er Jahren an der Kopenhagener Universität Hebräisch zu unterrichten und Teile des Alten Testaments ins Dänische zu übersetzen. Neben den in erster Linie aus Wittenberg vermittelten Komponenten sind jedoch in Tausens Theologie auch Einflüsse süddeutscher (und über Preußen vermittelter) Theologie greifbar: 1530 legte Tausen auf einem Herrentag mit der Confessio Hafniensis das erste selbständige dänische Bekenntnis vor, das sich in wichtigen Teilen von der Wittenberger Lehrnorm und der nur unwesentlich jüngeren Confessio Augustana unterscheidet. Die Confessio Hafniensis erkennt nur das weltliche Regiment an, erklärt zudem die Bibel als alleinigen Maßstab für bürgerliches und christliches Leben, bewertet das Allgemeine Priestertum aller Gläubigen höher als das Amt und hat ein beinahe zwinglisches Abendmahlsverständnis.
Wegen seiner evangelischen Predigttätigkeit wurde Tausen aus dem Orden ausgeschlossen. Obwohl der Bischof seine Predigten in der Stadt verboten hatte, stellte ihm der König im Oktober 1526 einen offiziellen Schutzbrief aus. In diesem Brief machte er Tausen zum königlichen Kaplan und befahl ihm, in Viborg "das Heilige Evangelium zu predigen".2 Kurz danach kehrte ein anderer Lutherschüler, Magister Jørgen Jensen Sadolin (ca. 1490–1559), aus Wittenberg zurück. Auch er bekam einen königlichen Schutzbrief mit der Erlaubnis, eine Pastorenschule in Viborg zu gründen, der etliche Mönche beitraten. Er wurde von Tausen zum Pfarrer ordiniert, und später traute Tausen seine Schwester. Sadolin übersetzte 1532 Luthers Kleinen Katechismus und 1533 die Confessio Augustana ins Dänische, arbeitete mit Johannes Bugenhagen (1485–1558)[]bei der Abfassung der dänischen Kirchenordnung von 1537 zusammen und setzte sich als Bischof von Odense für die Einführung der Kirchenordnung in seinem Bistum ein.
Die Reformation in den dänischen Städten wurde von evangelischen Predigern initiiert bzw. durchgeführt und vom Volk getragen – anders als in Deutschland spielten Stadträte kaum eine Rolle. Das vergleichsweise geringe Engagement der Magistrate für die Reformation dürfte jedoch in erster Linie in der politischen Verfasstheit Dänemarks (und auch Schwedens) zu suchen sein: Im Unterschied zu den Freien Reichsstädten des Alten Reichs bildeten die Städte Skandinaviens keine selbständigen territorialen Einheiten, sondern waren letztendlich der Zentralgewalt unterstellt. Die Magistrate konnten folglich auch nicht damit rechnen, durch die Hinwendung zur Reformation Kontrolle über die kirchliche Ordnung und die Mittel der Kirche zu erhalten. Die Einführung der Reformation implizierte im Gegenteil eine tendenzielle Verschiebung der kirchlichen Kontrolle weg von der lokalen Ebene und hin zu einer zentral vom Königtum gelenkten Religionspolitik.
Die meisten evangelischen Prediger Dänemarks stammten aus dem niederen Klerus, einige waren Schüler des reformkatholischen Karmeliten Paul Helgesen (1485–1534). Der Kampf gegen die altgläubige Frömmigkeit war teilweise fanatisch. In Malmö und Kopenhagen gab es Bilderstürme, und in mehreren Städten wurden die Bettelmönche aus ihren Klöstern vertrieben. Von den 26 Franziskanerklöstern in Dänemark waren 1532 nur noch sieben übrig.
Der Kampf gegen die Altgläubigen wurde – wie in Deutschland – auch mit Hilfe des gedruckten Worts geführt, durch Bücher, Flugblätter und Flugschriften in der Volkssprache. Eine der wichtigsten reformatorischen Schriften war das im Jahre 1530 von Peder Laurensen verfasste "Malmöbuch": "Die Ursache und eine richtige Erklärung für die Ordination und den Brauch der neuen Reformation der Messe, der Predigt, beim Gottesdienst und beim Ausüben anderer christlicher Handlungen, die begonnen haben und gemacht werden in der christlichen Stadt Malmö." Das Buch ist eine ausführliche Darstellung und Verteidigung der reformatorischen Änderungen sowie eine detaillierte Beschreibung der kirchlichen Neuordnung in Malmö. Zugleich gibt diese Schrift eine Art praktische Anleitung zur Durchführung städtischer Reformationen. Laurensen schildert sogar ausführlich, wie die Stadtverwaltung das Glockenläuten anordnen soll, nachdem die Glocken der geschlossenen Kirchen und Klöster verstummt waren.
Die dänischen Bischöfe waren nicht in der Lage, die neue Lehre, die man als Irrlehre wertete, zu bekämpfen. Sie waren "Nederlagets maend" – "Männer der Niederlage",3 reiche Adelige ohne theologische Ausbildung und ohne Interesse an theologischen Fragen. Bald wurde ihnen klar, dass man die reformatorische Bewegung nicht mit Verboten und Drohungen eindämmen konnte. Vier jütländische Bischöfe wandten sich im Mai 1527 an zwei berühmte altgläubige deutsche Theologen, Johannes Cochlaeus (1479–1552) und Johannes Eck (1486–1543). Sie baten darum, dass einer der beiden Luthergegner doch nach Dänemark kommen möge, weil sie sich auf verlorenem Posten sahen. Aber beide lehnten ab. Cochlaeus bat sogar Erasmus von Rotterdam (1469–1536) um Rat. Der Humanist riet ihm ab: "Der Weg dorthin ist weit, das Klima unerträglich und das Volk barbarisch."4
Der führende dänische Theologe war der Karmelitermönch Paul Helgesen, der theologische Vorlesungen in Kopenhagen hielt. Er war ein gelehrter Bibelhumanist und Verehrer von Erasmus, dessen Schrift Enchiridion principis Christiani er ins Dänische übertrug. Er übersetzte auch Luthers Betbüchlein, wurde aber kein Lutheranhänger, obwohl er wie dieser die kirchlichen Missbräuche scharf kritisierte. Als Reformkatholik blieb er in der alten Kirche und schrieb Pamphlete gegen die Reformatoren, von denen einige – wie Peder Laurensen und Frans Vormordsen (1491–1551) in Malmö – früher einmal seine Schüler und Freunde gewesen waren.
Ende der 1520er Jahre hatte die reformatorische Bewegung schon so große Fortschritte gemacht, dass in Dänemark zwei Kirchen nebeneinander existierten. Zwar war die alte episkopale Ordnung unangetastet geblieben, aber in allen wichtigen Städten hatte die evangelische Bewegung die Oberhand gewonnen. Dort gab es freie, reformatorische Gemeinden, die sich der bischöflichen Jurisdiktion entzogen, ihre eigenen Prediger hatten und unter königlichem Schutz standen.
Im April 1533 starb Friedrich I. Da sein Sohn, Herzog Christian von Schleswig-Holstein, ein glühender Lutherverehrer war, wollte der Reichsrat dessen jüngsten, noch unmündigen Bruder zum König wählen – man hoffte, dass dieser noch im alten Glauben erzogen werden könne. Aber die Wahl wurde verschoben, und 1534 brach ein Krieg zwischen den schleswig-holsteinischen Herzogtümern und der Stadt Lübeck aus, der von einem durch Lübeck geschürten Aufruhr in den ostdänischen Städten sowie einem Bauernaufstand in Jütland begleitet war. In dieser Situation wurde Herzog Christian im Juli 1534 vom jütländischen Adel zum König gewählt. Man kann diese sogenannte Grafenfehde eigentlich nicht als Religionskrieg bezeichnen, denn beide Parteien waren lutherisch gesinnt. Sieger jedenfalls waren der König und die adeligen Gutsbesitzer, und sie ließen die Bischöfe den Preis der Niederlage bezahlen.
Am 6. August ritt der König in Kopenhagen ein, das nach langer Belagerung gefallen war. Alle Bischöfe wurden verhaftet. Der König hatte mit der Hilfe des Hochadels einen Staatstreich durchgeführt. Die Freilassung der Bischöfe ging mit ihrer Unterwerfung unter die königliche Macht einher. Sie verloren ihre Ämter und erhielten als Adelige königliche Lehen. Der bischöfliche Besitz wurde der Krone zugewiesen, "damit Dänemarks Krone und König umso vermögender werden kann" – so hieß es im Rezess des Reichstages in Kopenhagen vom 30. Oktober 1536. An die Stelle der abgesetzten Bischöfe wurden nun "andere, christliche Bischöfe und Superintendenten" gesetzt, "die dem Volk das heilige Evangelium und Gottes Wort und den heiligen christlichen Glauben beibringen, predigen und es darin unterrichten können".5 Das war das Ende der römischen Kirche in Dänemark.
Die königliche Reformation Dänemarks wurde durch eine Reihe öffentlicher Feste gefeiert. Wichtig wurde in diesem Prozess die kirchenordnende Tätigkeit Johannes Bugenhagens, der im Juli 1537 nach Kopenhagen kam. Sein Reisegefährte war der Däne Peder Palladius (1503–1560), der gerade in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert worden war. Am 12. August, dem Geburtstag des Königs, krönte Bugenhagen den neuen König, Christian III., und seine Frau Dorothea (1511–1571) in der Frauenkirche (Vor Frue Kirke) von Kopenhagen.
Nach den mehrtägigen Festlichkeiten fand in der Frauenkirche ein weiterer Festakt statt. Bugenhagen ordinierte am 2. September sieben lutherische Bischöfe, die der König und seine Ratgeber gewählt hatten. Da Bugenhagen selbst kein ordinierter Bischof war, bedeutete dies die Unterbrechung der apostolischen Sukzession in Dänemark. Alle Bischöfe waren im Prinzip gleichgestellt, obwohl der Bischof von Seeland eine Vorrangstellung hatte; er hatte seinen Bischofssitz in Kopenhagen und war zugleich als Theologieprofessor an der Universität tätig. Der König, der sich selbst als Oberhaupt der Kirche verstand, lehnte das Erzbischofsamt ab.
Am selben Tag (2. September) unterschrieb Christian III. das Vorwort der neuen Kirchenordnung, die im vorigen Jahr erstellt und zur Begutachtung nach Wittenberg geschickt worden war, wo Luther sie genehmigt hatte. Federführend bei der Ausarbeitung der neuen Kirchenordnung war Bugenhagen gewesen, der aber mit dänischen Theologen zusammengearbeitet hatte. Die Kirchenordnung wurde auf Lateinisch und auf Dänisch publiziert und vom Reichsrat 1539 angenommen. Der Erstellung der Kirchenordnung war eine längere inhaltliche und redaktionelle Arbeit auf der Grundlage von Bugenhagens älteren deutschen Kirchenordnungen vorausgegangen. Dabei galt es, die speziellen dänischen Verhältnisse, vor allem die bischöfliche Leitung der Kirche, zu berücksichtigen. Aus der dänischen Kirchenordnung ging dann wiederum die schleswig-holsteinische von 1542 hervor.
Eine Woche nach den Bischofsordinationen fand die letzte Reformationsfeierlichkeit wiederum in der Frauenkirche statt. Nachdem die 1479 gegründete Universität Kopenhagen ihre Lehrtätigkeit um 1530 eingestellt hatte, wurde sie im Jahre 1537 wiedereröffnet: "Gott zu ehren und zur Bewahrung des Evangeliums unseres Herrn Jesus Christus".6 Jetzt war sie eine evangelische Universität. Bugenhagen verfasste die Statuten. Vorbild dafür war die Wittenberger Universität, die 1536 gerade neue Statuten von Philipp Melanchthon (1497–1560) erhalten hatte. Vergeblich versuchte Christian III., Bugenhagen zur Annahme eines Lehrstuhls zu bewegen. Zwar hielt dieser einige theologische Vorlesungen, kehrte aber im Sommer 1539 wieder nach Wittenberg zurück.
Die altgläubigen Pfarrer blieben in ihren Ämtern und wurden im Sinne der Reformation unterwiesen. Die Klöster wurden allmählich aufgelöst. Für die Volksbildung wurden Katechismen – Peder Palladius' Übersetzung des Kleinen Katechismus Luthers wurde von 1537 bis 1600 in 14 Auflagen gedruckt – und Gesangbücher verfasst. Die erste dänische Bibel erschien 1550.
Norwegen und Island
In Norwegen war es nicht die Kritik an der spätmittelalterlichen Frömmigkeit und an dem florierenden Ablasswesen, die erste Anstöße für eine Reformation gab, zumal diese Spiritualität keineswegs so tief in der Bevölkerung verwurzelt war, wie vereinzelt in der Literatur angenommen. Jedenfalls hatte die alte Lehre keine Apologeten, als die Reformation ab 1536 flächendeckend in Norwegen als "political and religious takeover"7 eingeführt wurde. Ganz im Gegenteil: Maßgebliche Personen der alten Elite übernahmen nach 1536 problemlos die neue Lehre und setzen sich für die Durchführung einer neuen Kirchenordnung ein, obwohl sie vorher leitende Funktionen in der alten Hierarchie innegehabt hatten.
Bereits in den 1520er Jahren hatte die Reformation die norwegische Stadt Bergen erreicht. Denn umherreisende evangelische Prediger kamen aus dem deutschen Sprachgebiet nicht nur nach Malmö und Kopenhagen, sondern auch über die hansischen Handelswege nach Bergen. Ein deutscher ehemaliger Mönch mit Namen Antonius hielt dort im Jahre 1526 evangelische Predigten; vermutlich hatten aber schon vor ihm andere evangelische Prediger die norwegische Stadt erreicht.8 Die wachsende deutschsprachige Gemeinde in Bergen, die in erster Linie aus Kaufleuten und Handwerkern bestand, feierte in den 1520er Jahren in zwei Kirchen der Stadt Gottesdienste und nahm sich zudem das Recht, ihren eigenen Pfarrer zu ernennen. Im Jahre 1529 erhielten zwei evangelische Prediger in Bergen, Herman Fresze und Jens Viborg, Schutzbriefe des dänischen Königs, die ihre Verkündigung vor dem Zugriff der altgläubigen Elite abschirmte. Im selben Jahr hatten zudem deutsche Prediger die norwegischen Priester an der Maria- und der Martinskirche verdrängt, was u.a. scharfe antievangelische Reaktionen Lübecks hervorrief.9 In den folgenden Jahren konnten die evangelischen Prediger in Bergen offensichtlich noch weiteren Einfluss gewinnen. Möglicherweise ist die Tatsache, dass der Bischof von Bergen bereits 1526 seine Residenz von Bergen weg verlegte, dem Umstand geschuldet, dass die evangelische Bewegung weiter um sich griff. Sicher ist jedoch, dass sowohl der dänische König Friedrich I. (1471–1533) (der 1524 in Bergen zum König von Norwegen gewählt worden war, und sich dabei wie auch in Dänemark verpflichtet hatte, die reformatorische Lehre zu bekämpfen) als auch der Statthalter in Bergen, Vincent Lunge, die Evangelischen unterstützten. Im Jahr 1533 hatten die altgläubigen Bischöfe unter der Führung des Erzbischofs Olav Engelbrektsson (1480–1538) zeitweilig das ganze Land unter ihre Kontrolle gebracht, mit dem Ziel, Christian II. wieder als König einzusetzen. Nur Bergen wurde von Tord Roed, einem Bundesgenossen Lunges gehalten; die reformatorische Bewegung konnte daher in Bergen weiter unbehelligt wachsen. Wohl auf Betreiben Vincent Lunges kam es 1529 in Bergen zu einem Bildersturm und zur Plünderung des Dominikanerklosters. Aus demselben Jahr ist bekannt, dass am Tisch Lunges in Bergen und auf dem Gut seiner Schwiegermutter in Austraat evangelische Kirchenlieder gesungen wurden.10 Außer in Bergen und in einigen norwegischen Adelsfamilien scheint die Reformation allerdings kaum auf größere Resonanz gestoßen zu sein. Ole Peder Grells Mutmaßung, dass insbesondere das Fehlen sowohl einer Universität als auch von Druckerpressen im Norwegen des frühen 16. Jahrhunderts eine weitere Verbreitung reformatorischer Ideen verhinderte, ist daher höchst plausibel. Ferner belegt die frühzeitige Rezeption reformatorischen Gedankenguts in Bergen, dass auch in Norwegen die Reformation ein "urban event"11 war, das zudem durch den Ideentransfer aus dem deutschen Sprachgebiet entscheidend in Gang gesetzt wurde.
Die dänische Kirchenordnung von 1537 wurde zwei Jahre später in Norwegen akzeptiert, und die Reformation verlief danach weitgehend parallel zur dänischen – wenn auch langsamer. Norwegen erhielt weder die Bibel noch die Liturgie in der eigenen Volkssprache, sondern musste sich mit dänischen Fassungen begnügen.
In Island galt die Reformation als eine dänische Angelegenheit und stieß deshalb auf Widerstand. In der Diözese Skálholt wurde aber die dänische Kirchenordnung akzeptiert und der erste evangelische Bischof 1542 ordiniert. Der letzte altgläubige Bischof von Holar, Jon Arason (1484–1550), wurde 1550 wegen seiner oppositionellen Haltung hingerichtet. Die Opposition des isländischen Bischofs war wohl in erster Linie theologisch bedingt, hatte aber gleichzeitig politische Implikationen – um 1550 wurde jeder Widerstand gegen die kirchlichen Bestrebungen, die von Kopenhagen ausgingen, zwangsläufig auch als politische Reaktion (und zugleich als Versuch, kirchliche wie politische Eigenständigkeit zu verteidigen) angesehen. Das Neue Testament auf Isländisch erschien 1540, die Bibel 1584.
Schweden
Im Juni 1523 wurde Gustav Vasa in Strängnäs zum König gewählt. Seine Machtstellung war prekär. In Mitteleuropa galt er wie Friedrich I. als Usurpator; als legitimer Herrscher wurde der landflüchtige Christian II. angesehen. Lübeck hatte seine Hilfe im Kampf gegen Christian II. nicht umsonst gegeben und drängte nun auf Begleichung der Schulden. Dafür schienen Säkularisationen das geeignete Mittel. Die Reichsverweser, die in Schweden während des Spätmittelalters eingesetzt worden waren, hatten die Freiheit der Kirche bereits beschnitten. Gustav Vasa aber war das nicht genug: Sein Bestreben war es, die politische Macht der Kirche zu zerschlagen sowie ihr Eigentum und ihre Einkünfte der Krone zufließen zu lassen. Das schien die einzige Möglichkeit zu sein, die Schuldenlast des Landes zu lindern. Ende des Mittelalters war ein Fünftel der schwedischen Landgüter in kirchlichem Besitz.
Die Hauptfigur der schwedischen Reformation war Laurentius Andreae (ca. 1470–1552), der Erzdiakon des Domkapitels in Strängnäs. Der junge Olaus Petri (1493–1552)[], der als Luthers erster schwedischer Schüler 1518 von der Universität Wittenberg zurückkehrte, hatte ihn für die Sache der Reformation gewonnen.
Laurentius Andreae war als Notar der Königswahl tätig, anschließend als Kanzler des Königs. Von ihm erfuhr der König, wie sich Martin Luther in Wittenberg gegen Papst, Kardinäle und mächtige Bischöfe erhoben und aufgezeigt hatte, dass sie ihre Macht nicht auf einen einzigen Buchstaben der Bibel stützen könnten. "Die Kirche", lehrte Magister Laurentius, "ist nicht der Klerus, sondern das christliche Volk".12 Von hier war es nicht mehr weit zu der Schlussfolgerung, dass auch die Besitztümer der Kirche dem Volk gehörten. Zu dieser Schlussfolgerung kam der Reichstag zu Västerås im Jahre 1527. Der "überflüssige" Besitz der Kirche wurde zugunsten des Staates kassiert. Was als überflüssig galt, entschied der König, nicht die Kirchenmänner. Die bischöflichen Burgen wurden geschleift und deren Besatzung abgezogen, die Bischöfe wurden aus dem Reichsrat entlassen.
Zur Klärung der theologischen Fragen wurde nach deutschem Vorbild eine Disputation abgehalten, bei der auf evangelischer Seite Olaus Petri der Hauptkolloquent war. Ein Ergebnis wurde nicht erzielt, doch einigte man sich darauf, dass das Wort Gottes überall "rein" gepredigt werden sollte. Dies war noch keine definitive Entscheidung für eine bekenntnisgebundene Reformation, ließ aber reformatorische Verkündigung zu. Gustav Vasa wollte nicht so schnell wie Olaus Petri und Laurentius Andreae Änderungen in der Lehre der Kirche und den kirchlichen Gebräuchen einführen, denn das Volk hielt beharrlich an den "alten, guten (christlichen) Zeremonien"13 fest. Vorschnelle Veränderungen hätten Unruhe und Aufruhrstimmung verursacht.
Von den sieben Bischofsstühlen waren im Jahre 1523 fünf vakant, und der König wollte sie mit seinen eigenen Männern besetzen. Sollte der Papst sich weigern, die Bischofskandidaten zu bestätigen, schrieb Gustav Vasa nach Rom, würde er die Nominierten "von dem einzigen und höchsten Bischof Christus" bestätigen lassen. Der königliche Kanzler Laurentius Andreae hatte den provozierenden Brief entworfen. Damit waren die Verbindungen zum Heiligen Stuhl abgebrochen. Die schwedischen Bischöfe waren jetzt, laut Magister Laurentius, "evangelische und keine papistischen Bischöfe, Bischöfe gemäß dem Wort Gottes, nicht gemäß dem Wort des Papstes."14 De facto war der König an die Stelle des Papstes als Leiter der Kirche getreten.
Nach dem Reichstag zu Västerås floh der führende altgläubige Bischof Hans Brask (1464–1538) von Linköping nach Polen, und der letzte vom Papst bestätigte Erzbischof, Johannes Magnus (1488–1544), nach Rom. Neuer Erzbischof wurde im Jahre 1531 der jüngere Bruder Olaus Petris, Laurentius Petri (1499–1573). Ernannt hatte ihn der König. Laurentius Petri war erst 32 Jahre alt und hatte wie sein Bruder in Wittenberg studiert, denn die noch junge Universität genoss einen guten, grenzüberschreitenden Ruf. Ein erster Versuch der beiden humanistisch gesinnten Brüder, im Jahre 1516 in Leipzig Fuß zu fassen, war unbefriedigend verlaufen und hatte im gleichen Jahr zu einem Wechsel nach Wittenberg geführt. Beide hatten bei Luther und Melanchthon studiert und waren durch deren Lehren geprägt. Dadurch, dass Laurentius von dem in Rom geweihten Bischof von Västerås ordiniert wurde, blieb die apostolische Sukzession in Schweden erhalten.
In Schweden kann man nicht von einer Stadtreformation oder Reformation von unten sprechen wie in Dänemark. Die einzige größere Stadt war Stockholm mit 4.000 Einwohnern; etwa die Hälfte von ihnen waren Deutsche. Der reformatorisch gesinnte Stadtpfarrer Nicolaus Stecker war aus Eisleben gekommen und war ein Anhänger Luthers: Seit 1524 war zudem Olaus Petri Prediger in der Stadtkirche und Stadtschreiber mit Stimme im Stadtrat. Im folgenden Jahr schloss er – immer noch Priester – eine Ehe. Olaus Petri verfasste polemische Schriften gegen Messe, Zölibat, Heiligenkult und Klosterleben und gab eine schwedische Messe und Agende heraus. Die einzige schwedische Druckerei stand unter der Aufsicht des Königs und veröffentlichte nur solche Schriften, die von der Wittenberger Reformation inspiriert waren. 1526 erschien das Neue Testament auf Schwedisch. Nach der dänischen, königlichen Reformation von 1536 gab Gustav Vasa seine vorsichtige Haltung auf. Der Zölibat wurde abgeschafft, die Klöster der Bettelorden geschlossen und Olaus Petris Gottesdienstordnung zur Norm erhoben. Die Wittenberger Prägung der schwedischen Reformatoren lässt sich – und das ist typisch für alle skandinavischen Reformatoren – weniger an einem umfassenden systematisch-theologischen Œuvre erkennen, als vielmehr und in erster Linie an den auf praktische Kirchenreform abzielenden Schriften. Hierzu gehören z.B. Olaus Petris Schrift über das Klosterleben von 1528, das Gesangbuch von 1530, die Postille aus dem selben Jahr oder die schwedische Messe von 1531. Allerdings – und auch dies ist typisch für die Reformation in Skandinavien – gingen die Reformatoren im dänischen und schwedischen Reich relativ frei mit der von den deutschen Vorbildern ererbten Lehre um. So machten sich z.B. über die Verbindung ins nahe Preußen in Olaus Petris Theologie auch Einflüsse der südwestdeutschen Reformation bemerkbar, und in der Abendmahlslehre z.B. stehen die frühen Schriften Olaus Petris Ulrich Zwinglis (1484–1531) Theologie recht nahe. Der finnische Reformator Mikael Agricola (ca. 1510–1557) []rezipierte seinerseits in seinem Rucouskiria (Gebetbuch) das gesamte Gebetbuch Kaspar Schwenckfelds von Ossig (1489–1561)15 – auch hier dürfte wiederum Preußen die Drehscheibe für den Transfer theologischen Gedankenguts gewesen sein.
Gegen Ende der 1530er Jahre schlug der König einen stärkeren staatskirchlichen Kurs ein. Laurentius Andreae und Olaus Petri wurden verhaftet, und der Erzbischof Laurentius Petri sank ebenfalls in der Gunst des Königs. Im Jahre 1539 verbot ihm Gustav Vasa, ohne königliche Erlaubnis Reformen durchzuführen. Er hielt die bischöfliche Ordnung für veraltet und versuchte, sie in ein landesherrliches Kirchenregiment umzuwandeln. Dazu berief er den gelehrten Melanchthonschüler Georg Norman (ca. 1490–1553) als Superintendenten für das ganze Schweden, "über Bischöfe, Prälaten und alle andere Geistlichen".16
Diese sogenannte "deutsche Periode" dauerte jedoch nicht lange. Georg Norman visitierte zwar 1540 die südlichen Diözesen, aber schon im nächsten Jahr wurde er Kanzler. Nach dem Aufstand im südlichen Schweden 1543, der von katholischen Priestern und vertriebenen Prälaten unterstützt wurde, schwenkte der König um. Die bischöfliche Ordnung blieb bestehen.
Auf dem Reichstag zu Västerås 1544 wurde beschlossen, die lutherische vera doctrina auch künftig beizubehalten. 1541 konnten die Brüder Petri und Laurentius Andreae die Gustav-Vasa-Bibel veröffentlichen. Dabei handelte es sich in weiten Teilen um eine Übersetzung der Lutherbibel ins Schwedische. Wie schon in Olaus Petris Schriften aus den zwanziger Jahren wird Martin Luther in der Vorrede zur ersten schwedischen Gesamtbibel als theologische Autorität für die schwedische Reformation genannt: Seine deutsche Bibelübersetzung sei besser als die Vulgata. Die nationalsprachliche Bedeutung der Gustav-Vasa-Bibel besteht darin, eine neue, sich vom Dänischen unterscheidende Schreibweise etabliert zu haben. Diese Bibelübersetzung lehnte sich zudem syntaktisch und stilistisch eng an ihr deutsches Vorbild an und begründete somit die schwedische Schriftsprache der Frühen Neuzeit.
Als der alte König im September 1560 starb, war sein Reich zwar evangelisch im Sinne eines Bekenntnisses zum "reinen Gotteswort". Es gab aber weder eine gedruckte und vom König akzeptierte Kirchenordnung, noch ein Bekenntnis. Dies änderte sich unter seinen Nachfolgern.
Die drei Söhne des Königs waren – anders als der Vater – theologisch und humanistisch gebildet. Der älteste von ihnen, der spätere König Erik XIV. (1533–1577), ließ – in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen – calvinistische Einwanderer aus Frankreich, den Niederlanden und Schottland nach Schweden kommen. In seiner Regierungszeit (1560–1568) brach daher ein religiöser Konflikt aus, der als "Streit um den Calvinismus" bezeichnet wurde.17 Die calvinistischen Immigranten bemühten sich um das Recht auf freie Religionsausübung und hofften auf ein königliches Patent, das dem Calvinismus völlige Gleichberechtigung einräumte. Es waren die in Schweden eingewanderten Calvinisten, die 1564 mit der Confessio a Gallis, in Suecia degentibus das erste evangelische Bekenntnis Schwedens formulierten. Die Calvinisten besaßen zudem auch Unterstützung am schwedischen Hof und genossen – zumindest temporär – gewisse Sympathien des Königs. Aber nach 1563 wurde die Auseinandersetzung um calvinistische Lehrinhalte zu einem internen Streit der schwedischen Kirche: Der ohnehin mit dem Calvinismus sympathisierende Bischof von Västerås, Hans Ofeegh (gest. 1574), hatte 1563, nachdem der Nordische Siebenjährige Krieg zwischen Dänemark und Schweden ausgebrochen war und die dänische Seeblockade die Einfuhr von Abendmahlswein erheblich erschwerte, damit begonnen, "Wassermessen" zu feiern, bei denen er den Abendmahlswein durch Wasser ersetzte. Die sich daran entzündende abendmahlstheologische Auseinandersetzung wird daher auch liquoristischer Streit genannt. Die Reaktion darauf – sowohl von Seiten des Königs als auch von Seiten der schwedischen Kirchenleitung – belegt jedoch eindrücklich, wie sehr lutherische Lehrinhalte auch ohne eine bekenntnismäßige Festlegung von der Majorität der schwedischen Theologen und dem König akzeptiert wurden. Ganz im Sinne der lutherischen Tradition distanzierte sich die schwedische Kirche in den 1560er Jahren vom Calvinismus und näherte sich der lutherischen Theologie ihrer Zeit an, wie sie insbesondere durch den Rostocker Professor David Chytraeus (1531–1600) vertreten wurde.18
Diese theologische Option des Landes schien in Gefahr zu geraten, als der zunehmend demente König Erik XIV. von seinem jüngeren Bruder Johann III. (1537–1592) abgesetzt und ermordet wurde. Johann III. war mit der polnischen Prinzessin Katharina Jagellonica (1526–1583) verheiratet. Sie war Katholikin, aber von toleranter und moderater prä-tridentinischer Prägung. Johann war theologisch gebildet und mit den Lehren der Kirchenväter vertraut. Als Norm sollten nun nicht mehr nur die evangelisch ausgelegte Schrift und Luthers Lehre gelten, sondern auch die Werke der Kirchenväter. Johann wollte die schwedische Kirche auf eine via media bringen. Einerseits ging es ihm darum, sie in Anlehnung an die alte Kirche umzugestalten und andererseits einige Zugeständnisse von Rom zu erlangen. Verhandlungen mit Papst Gregor XIII. (1502–1585) wurden begonnen, und im Jahre 1574 kam ein polnischer Jesuit nach Stockholm. Man machte ihm deutlich, dass der König in vielerlei Hinsicht mit der römisch-katholischen Lehre einverstanden sei. Eine Konversion des Königs und die des ganzen Volkes zum Katholizismus sei aber nur möglich, wenn Folgendes zugestanden würde: Abendmahlsempfang sub utraque, Priesterehe und Gottesdienst in der Volkssprache. Aber Rom machte keinerlei Zugeständnisse, und die Kontakte rissen ab.
Im Oktober 1573 starb der alte Erzbischof Laurentius Petri. Seine Kirchenordnung von 1571 wurde durch eine Nova Ordinantia ergänzt, die 1575 von sämtlichen Bischöfen unterschrieben wurde. Darin ging es um eine Auslegung der Kirchenordnung im Sinne König Johanns III. Was die reine Lehre sei, wurde hier im Sinne Georg Cassanders (1513–1566) mit einem Zitat von Vinzenz von Lerinum (gest. 450) definiert: "Wir müssen uns an das halten, was alle Frommen in der Christenheit immer und überall geglaubt und gelehrt haben."19
Drei Jahre nach dem Tod des Erzbischofs, im Jahre 1576, erschien in Uppsala ein vom König erlassenes Messbuch, die Liturgia svecanae ecclesiae catholicae et orthodoxae conformis. Sie enthält die Messrituale – parallel auf Schwedisch und Lateinisch – mit zahlreichen dogmatischen Kommentaren auf Lateinisch. Die Kirche müsse, heißt es in der Vorrede, eine via media zwischen Superstitio und Prophanitas finden. In der Verweltlichung sehe man die größere Gefahr, die es jetzt zu bannen gelte. Dem diente die Liturgie, die man als Kombination der schwedischen Messe und des Ordo Romanus gestaltete. Aber die allseits um sich greifende Auseinandersetzung zwischen den sich konsolidierenden Konfessionen brachte es mit sich, dass man diese Art der Liturgie als Symbol der Rekatholisierung wertete. Sie wurde von den Lutheranern heftig angegriffen.
Die Autorität des Königs jedoch vermochte es, dass die Liturgie vom ganzen Episkopat und von vielen Pfarrern auf einem Reichstag in Stockholm im Jahre 1577 unterschrieben wurde. Bald mussten sich alle Pfarrer auf die königliche Liturgie verpflichten. Wenn nicht – und es gab einige Widerspenstige –, wurden sie ihrer Ämter enthoben. Sie fanden im Bistum von Strängnäs, im Herzogtum des streng lutherischen Herzogs Karl (1550–1611), Zuflucht. Der heftige Streit wurde sowohl mündlich – es gab viele öffentliche Disputationen – als auch schriftlich ausgetragen.
Allmählich kamen auch katholische Ausbildungsstätten wieder in den Blick. Etliche junge Schweden gingen zum Studium an die Jesuitenhochschulen in Polen sowie an das Collegium Germanicum in Rom. Unter ihnen waren zwei finnische Bischofssöhne. In das Schweden Johanns III. konnten sie schwerlich zurückkehren, aber die Zukunft versprach Besseres. Kronprinz Sigismund (1566–1632) hatte eine katholische Erziehung erhalten und 1587 den polnischen Thron bestiegen.
Nach dem Tod Johanns im Jahre 1592 trat Herzog Karl als Verteidiger des lutherischen Glaubens auf und rief im März 1593 den Reichsrat und die Bischöfe zusammen. Die "christliche, freie Synode" von Uppsala betonte – gut reformatorisch – die alleinige Autorität der Bibel und fuhr fort: "Ferner bejahen wir und bekennen uns dazu, dass wir uns in allen Stücken an das Apostolische, Nizänische und Athanasianische Symbolum halten wollen, wie auch die älteste, rechte und unveränderte Augsburgische Konfession, welche von Kurfürsten, Fürsten und Städten Kaiser Karl dem Fünften auf dem großen Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530 übergeben wurde."20
Die Synode verwarf und verurteilte die unter König Johann eingeführte Liturgie, die sie als papistischen Aberglauben und Wegweiser zu "allem greulichen päpstlichen Irrtum" bezeichnete. Ferner distanzierte sich die Synode entschieden von "allen Irrtümern der Sakramentierer, Zwinglianer, Calvinisten", ebenso auch von "Wiedertäufern und allen anderen Ketzern welchen Namen sie auch immer tragen mögen".21
Schweden war nun ein lutherisches Reich, allerdings ohne die Konkordienformel zu seinen Bekenntnissen zu zählen. Für die Beschlussurkunde der Synode wurden im Nachhinein die Unterschriften nahezu sämtlicher Pfarrer des Reiches, des führenden Adels sowie der Vertreter von Städten und Sprengeln eingeholt, insgesamt 2.167. Im folgenden Jahr erschien in Stockholm das erste schwedische Corpus Doctrinae, die Confessio fidei. Sie enthielt die drei altkirchlichen Symbole, die Confessio Augustana, den Beschluss der Synode von Uppsala sowie die gesammelten Unterschriften.
Kronprinz Sigismund wurde im Januar 1594 in Uppsala gekrönt. Er verpflichtete sich, die Religion seiner Untertanen zu schützen, die auf dem Beschluss der Synode zu Uppsala gründete. Er versprach, nur solche Personen in politische Ämter zu berufen, die dem lutherischen Bekenntnis anhingen, also entsprechend der Beschlüsse in Uppsala 1593 sich zur Confessio Augustana bekannten. Der Machtkampf zwischen Sigismund und Herzog Karl führte schließlich im Jahre 1598 zu einem bewaffneten Zusammenstoß und zur Niederlage des Königs. Sigismund kehrte nach Polen zurück, und der Reichstag sagte sich von seinem Treueeid los. Herzog Karl herrschte jetzt im Land, übernahm die Krone aber erst im Jahre 1604.
Finnland
Finnland war ein Teil des schwedischen Reiches, und die Reformation wurde auch in dem Bistum Turku (schwed. Åbo) nach demselben Muster durchgeführt wie in den anderen sechs Bistümern der Kirchenprovinz Uppsala. Es gab aber auch Unterschiede. Die meisten von den ca. 200.000 Einwohnern sprachen Finnisch. Allerdings existieren weder gedruckte noch handschriftliche Zeugnisse aus dem Mittelalter in dieser Sprache. Erst die Reformation gab den Finnen eine Schriftsprache.
Der erste finnische Lutherschüler Peder Särkilax kehrte im Jahre 1522 nach Turku zurück. Als Erster im gesamten schwedischen Reich hatte er in Deutschland eine Priesterehe geschlossen und seine junge Frau mit nach Finnland gebracht. Für den Domklerus von Turku war das eine Provokation. Aber Särkilax genoss die Unterstützung des Königs, und so wurde er Rektor der Kathedralschule. Die Reformation gewann schnell an Boden. Olaus Petris Schriften wurden alsbald in Turku gelesen, und weitere Pfarrer verheirateten sich.
Noch in den 1520er Jahren blieb den Schweden und Finnen das Universitätsstudium versperrt, denn die noch altgläubigen Bischöfe und Domkapitel fürchteten die neue, an Luther orientierte Lehre. Anfang der 1530er Jahre aber änderte sich die Situation im schwedischen Reich, und die Studenten wurden direkt nach Wittenberg geschickt.
Das war die entscheidende Wende zugunsten der Reformation. Nicht nur der König, sondern auch eine ganze Reihe Bischöfe, wie z.B. Martin Skytte (gest. 1550) in Turku und Sveno Jacobi in Skara, statteten Studenten mit Stipendien aus, um in Wittenberg studieren zu können. Nach ihrer Heimkehr stiegen die ehemaligen Wittenberger Studenten rasch in kirchliche Ämter auf und sorgten als Schulmeister, Oberpfarrer oder Bischöfe für die weitere Beförderung der Reformation im schwedischen Reich.22
Auch der finnische Reformator Mikael Agricola hatte – von 1536 bis 1539 – in Wittenberg studiert. Nach seiner Rückkehr wurde er Rektor der Domschule in Turku. Zugleich war er Kanonikus und Sekretär des Domkapitels. Im Jahre 1554 wurde er Bischof von Turku. Der Episkopat Agricolas war jedoch nur von kurzer Dauer und wurde vom Krieg zwischen Schweden und Russland überschattet. Agricola war Mitglied der Delegation, die Gustav Vasa zu Friedenshandlungen nach Moskau schickte. Auf der Rückreise erkrankte er und starb am 9. April 1557.
Mikael Agricola kann als Vater der finnischen Schriftsprache bezeichnet werden. Seine Schriften erschienen in den Jahren 1543–1552 in Stockholm. Sein Hauptwerk ist das im Jahre 1548 erschienene Neue Testament. Als Grundtext dienten der von Erasmus veröffentlichte griechische Text, Erasmus' lateinische Übersetzung, die Vulgata, die Lutherbibel sowie das schwedische Neue Testament von 1526 und die Gustav-Vasa-Bibel von 1541. Agricolas Vorreden und Marginalglossen stammen meist aus der Lutherbibel und aus der Gustav-Vasa-Bibel. Die von Hieronymus (345–420) verfassten Vorreden zu den Evangelien übernahm er aus der Ausgabe des Neuen Testaments von Erasmus.
Zusammenfassung
Der Blick auf die Reformation in Skandinavien zeigt, wie flächendeckend reformatorische Einflüsse aus Wittenberg aufgenommen wurden und vor dem jeweiligen politischen oder landestypisch strukturellen Hintergrund neue Akzentuierungen erhielten. Theologische Anliegen, eine oft konservative Frömmigkeitspraxis und die Schaffung neuer kirchlicher Strukturen trugen zu spezifischen Ausgestaltungen eines Luthertums bei, das von der Wittenberger Reformation ausging, sich aber in Nordeuropa spezifisch anders entfaltete als im Heiligen Römischen Reich.
Anhang
Quellen
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Anmerkungen
- ^ Lausten, Reformation in Dänemark 2008, S. 82.
- ^ Lausten, Reformation in Dänemark 2008, S. 42.
- ^ So der Titel einer Monographie von Poul G. Lindhardt: Nederlagets maend: Det katolske bispevaeldes sidste dage i Danmark, Kopenhagen 1968.
- ^ Zitiert nach Lausten, Reformation in Dänemark 2008, S. 64. Originalbrief in: Erasmi Epistolae, ed. P.S. Allen, Tom. VII (Oxford 1928), Epist. 1863 (28.08.1527).
- ^ Lausten, Reformation in Dänemark 2008, S. 97.
- ^ Lausten, Reformation in Dänemark 2008, S. 118.
- ^ Grell, Reformation in Norway 2005, S. 122–131.
- ^ Grell, Reformation 2005, S. 122–131.
- ^ Unger / Huitfeldt-Kaas, Diplomatarium Norvegicum 1875, Nr. 642, S. 664–665; Unger / Huitfeldt-Kaas, Diplomatarium Norvegicum 1884, Nr. 522, S. 583–585.
- ^ Valkner, Reformasjonens 1970; Schreiner, Hanseaterne og Norge 1981; Grell, Reformation 2005 , S. 128–135.
- ^ Scribner, The German Reformation 1986, S. 35.
- ^ Westman, Reformationens genombrottsår 1918, S. 186.
- ^ Auf "goda, gamla sedvänjör" (dt. "gute, alte Sitten/Gebräuche") wird verschiedentlich in politischen und religiösen Diskussionen im Schwedischen Reich um 1500 verwiesen. In der Antwort des Bauernstandes auf den Reichstag von 1527 halten diese fest, dass sie bei "Recht und Gesetz" sowie bei "guten, alte Sitten" verbleiben wollen. Siehe dazu u.a. Berntson, Klostren 2003, S. 285–287.
- ^ Gustav Vasas Registratur, vol. 12, Stockholm 1890, S. 173.
- ^ Holma, Sangen 2008.
- ^ Königliche Verordnung vom 08.12.1539, in: Gustav Vasas Registratur, vol. 12, Stockholm 1890, S. 265.
- ^ Kjöllerström, Striden 1935.
- ^ Czaika, Chytraeus 2002, S. 195–220.
- ^ Nova Ordinantia, in: Kyrko-ordningar 1872, S. 194; Vinzenz von Lerinum, Mahnschrift 1972, S. 11.
- ^ Eckerdal / Persson, Confessio 1993, S. 9–10.
- ^ Eckerdal / Persson, Confessio 1993, S. 14.
- ^ Vgl. dazu Czaika, Sveno Jacobi 2012 [im Erscheinen].
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