Germanophilie im deutschen Judentum im 19. Jahrhundert@Germanophilie im Judentum@(BE)@freigabe

erstellt von EGO-Redaktion last modified 2020-05-25T10:25:33+01:00

Originalbeitrag

Der vorliegende Aufsatz untersucht die historischen Bedingungen, unter denen sich die Germanophilie zu einem durchgängigen Muster im deutschen Judentum des 19. Jahrhunderts verdichtete, und liefert einen Überblick über ihre konkreten Erscheinungsformen. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass sich der germanophile Diskurs am modernen Kulturbegriff als leitendem Paradigma soziokultureller Selbstbeschreibung und -beobachtung herausbildete. In der vergleichenden Zusammenschau werden die vom Wunsch nach Zugehörigkeit getragenen Formen der Annäherung an die deutsche Kultur nicht isoliert, sondern in ihrer Wechselwirkung mit den allgemeinen Prozessen nationaler Identitätsbildung in Deutschland betrachtet. Der Hauptakzent liegt auf drei exemplarischen Konzepten, die durch eine spezifische Art und Weise der germanophilen Bezugnahme auf ein jeweils unterschiedlich gefasstes "Deutschtum" gekennzeichnet sind: die "Wahlverwandtschaft" von jüdischem und deutschem Wesen; die "Einheit" des deutschen Volkes in der "Vielheit von Stämmen"; die "Assimilation" an die deutsche Kultur. Gesonderte Berücksichtigung erfährt das orthodoxe Judentum mit seiner ganz eigentümlichen germanophilen Tradition.

Zum Problem des Begriffs "Germanophilie"

Bei dem Ensemble kulturgeschichtlicher, sozialer und literarischer Phänomene, das im Folgenden unter dem Begriff "Germanophilie" zusammengefasst und diskutiert wird, handelt es sich zunächst einmal um eine analytische Konstruktion: Wo die "Liebe zum Deutschtum"1 anfängt und wann sie in "Germanomanie" umschlägt, wer von ihr ergriffen, wer von ihr übergangen wird, ist während des 19. Jahrhunderts immer auch Gegenstand und Verfahrensweise der An- und Aberkennung, der Selbst- und Fremdzuschreibung, des Ein- und Ausschlusses. An der Geschichte der Germanophilie lässt sich ablesen, wo die Grenzen zwischen dem "Eigenen" und dem "Fremden" (in) der deutschen Gesellschaft veranschlagt, wie die Umrisse einer spezifisch deutschen Identität und Kultur festgelegt werden und welchen Platz das deutsche Judentum in dieser Konstellation einnimmt – das heißt einzunehmen versucht und einzunehmen genötigt wird.2 Der Konstruktionsversuch einer neuen jüdischen Identität beruht indes nicht allein auf den internalisierten Interessen der nichtjüdischen ("deutschen") Mehrheitsgesellschaft, sondern ist auch von eigenen identitären Abgrenzungsinteressen in innerjüdischen Auseinandersetzungen getragen.

Der Begriff des "Deutschen", der den germanophilen Diskurs leitet, erhebt zwar den Anspruch auf den Rang einer objektivierbaren Substanz, tatsächlich aber handelt es sich bei den ethnischen, religiösen und kulturellen Distinktionen um relationale Konstrukte einer spezifischen Situation der Fremdwahrnehmung: Die Deutungsmuster kultureller Alterität partizipieren an den Selbstverständigungsmechanismen einer Gesellschaft mit dem Ziel, sie nach außen zu begrenzen. Dabei lässt sich die wachsende Bedeutung von Fremdreferenz für die gesellschaftliche Selbstbeobachtung in der Moderne als Reflex des demographischen und mentalitätsgeschichtlichen Umbruchs im Zuge der Globalisierung deuten.3 Mit dem Eintritt ins Zeitalter globaler Mobilität werden unterschiedlichste Weltregionen, Nationen und Akteure in mehreren Schüben von teils sprunghaft, teils allmählich ablaufenden Prozessen der Kolonialisierung erfasst, die zur Etablierung kolonialer Wissenschafts-Paradigmen und ethnologischer Beobachtungsmethoden im 18. und 19. Jahrhundert führen.4 Das dabei produzierte Wissen vom Fremden wird zur Grundlage diskursiver Identitätskonstruktion und wandert von der ethnographischen Analyse "fremder" Kulturen in den Kategorienhorizont einer Soziologie der "eigenen" Gesellschaft.5 In dem Moment, in dem eine von den anderen Ländern Europas abgrenzbare deutsche Identität immer mehr an Kontur gewinnt, werden die deutschen Juden als Fremde innerhalb der deutschen Kultur beobachtet. "Jene Anderen, die auch den Anspruch stellten, Deutsche zu sein, waren die Juden. Sie wurden den Deutschen die Anderen ihrer selbst, die eigenen Anderen. Die Russen, Engländer oder Franzosen waren die fremden Anderen, die Juden waren die eigenen Anderen der Deutschen."6 Zugleich strukturierte die Leitdifferenz von Eigenem und Fremdem auch einen innerjüdischen Diskurs: Wie am Beispiel der jüdischen Orthodoxie gezeigt werden soll, war die Germanophilie nicht nur ein Reaktionsmuster auf äußere Forderungen und Zwänge, sondern konnte auch zur Durchsetzung eigener Interessen dienen, nämlich der Konstruktion eines neuen modern-orthodoxen Judentums qua Abgrenzung von innerjüdischen "Anderen".

Der hier skizzierte Überblick zur Germanophilie im deutschen Judentum des 19. Jahrhunderts legt die Annahme zugrunde, dass sich der germanophile Diskurs am modernen Kulturbegriff als leitendem Paradigma soziokultureller Selbstbeschreibung und -beobachtung herausbildete. Dementsprechend implizierte Germanophilie ein Wissen um andere Sitten und Verhaltensweisen außerhalb der eigenen Kultur, das durch die Operation des Vergleichs menschlicher Lebensformen produziert war.7 Mit der kulturellen Kodierung des Deutschtums verband sich die Vision eines neutralen sozialen Raums, den zu betreten insofern allen gestattet sein sollte, als die Bildung und die von ihr verkörperten sozialen Strukturen die Forderung nach ursprünglicher und religiöser Zugehörigkeit außer Kraft zu setzen versprachen.8 Einerseits führte die Teilhabe an einem gemeinsamen "Kulturraum" um 1800 zur Synchronisierung des historischen Bewusstseins: Die deutsche Aufklärung und die jüdische Haskalah anerkennen gleichermaßen, derselben Geschichte anzugehören, und suchen zu bestimmen, "welchem gemeinsamen Prozess sie unterstehen".9 Was vormals zwischen Juden und Deutschen als religiös kodierte Differenz beobachtet wurde, kehrte andererseits als kulturelle Differenz bei der hierarchischen Aufteilung ebendieses sozialen Raums der Bildung wieder. Heinrich Heines (1797–1856)[Franz Theodor Kugler (1808–1858), Heinrich Heine (1797–1856), Zeichnung, 1829; Bildquelle: Müller-Baden, Emanuel (Hg.): Bibliothek des allgemeinen und praktischen Wissens zum Studium und Selbstunterricht in den hauptsächlichsten Wissenszweigen und Sprachen, Berlin 1905, vol. 5, S. 115; wikimedia commons, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Heinrich_Heine.jpg, gemeinfrei, Scan: Gabor.] berühmtes Wort vom "Taufzettel" als dem "Entre Billet zur Europäischen Kultur"10 macht in dieser Hinsicht zweierlei deutlich: Erstens hatten Juden für den Zugang zur "Europäischen Kultur" einen hohen Preis zu entrichten, indem sie sich (formal) von der jüdischen Tradition lossagen und an die Mehrheitsgesellschaft assimilieren sollten. Zweitens waren sie – als Billettbesitzer – auf den Zuschauerrang verwiesen; die Bühne blieb "deutschen" Aktanten vorbehalten. Es wäre jedoch voreilig, die Geschichte der Germanophilie ausschließlich als eine Geschichte sozialer Mobilität nach "oben" bzw. in die Mitte der nichtjüdischen Gesellschaft zu lesen. Das mit der Germanophilie aufs Engste verbundene Prinzip der Identitätskonstruktion ist insbesondere auch von jüdischer Seite aus zu denken: als ein Versuch der jüdischen Orthodoxie, eine Vorrangstellung innerhalb des Judentums zu reklamieren.

Die vorliegende Arbeit muss notwendigerweise auf einen Begriff von Germanophilie zurückgreifen, der zugleich polemisch und diagnostisch ist. Eine Darstellung, die die kontroverse Dimension germanophiler Semantiken und Praktiken überginge, um das Untersuchungsfeld in einem statischen Tableau zu fixieren, wäre historisch steril. Gleichzeitig ist es erforderlich, den Gegenstandsbereich der Germanophilie auch auf jene Phänomene auszuweiten, die von den Zeitgenossen nicht unbedingt als "germanophil" aufgefasst wurden, sondern erst retrospektiv unter diesem Vorzeichen erscheinen und lesbar sind. Somit wiederholt sich auf der Ebene des analytischen Zugriffs ebenjene Ambivalenz zwischen Selbst- und Fremdbeschreibung, die schon den zeitgenössischen germanophilen Diskurs wesentlich bestimmt: Auf der einen Seite kann Germanophilie als die Signatur eines Assimilationswunsches gelten, als ein Bekenntnis zur bürgerlichen deutschen Gesellschaft und Kultur, als ein Streben dazuzugehören. Aber hieße das nicht, einem assimilierten Juden des 19. Jahrhunderts, an dem man germanophile Züge zu erkennen meint, nachträglich eine Identität absprechen zu wollen, die er für sich selbst möglicherweise reklamiert haben könnte? Wäre der "germanophile Deutsche" am Ende nur eine Tautologie? Im Zuge solcher Bedenken vermag der Germanophilie auf der anderen Seite die exkludierende Kraft eines Differenzkriteriums erwachsen: Wer germanophil ist oder als solcher identifiziert wird, könne das Objekt, das er begehrt, und den Ort, an den er zu gelangen wünscht, per definitionem niemals erreichen. Demnach blieb der germanophile Jude weiterhin ein Fremder unter den Deutschen ein "cultural hybrid":

… a man living and sharing intimately in the cultural life and traditions of two distinct peoples; never quite willing to break, even if he were permitted to do so, with his past and his traditions, and not quite accepted, because of racial prejudice, in the new society in which he now sought to find a place. He was a man on the margin of two cultures and two societies, which never completely interpenetrated and fused.11

Mit der Frage nach der Germanophilie im deutschen Judentum des 19. Jahrhunderts, nach ihrer historischen Fundierung und ihren konkreten Erscheinungsformen, geht zunächst die Frage einher, woran sich der germanophile Diskurs überhaupt entzündete. Wem oder was galt die Liebe jener deutschen Juden, die hier als "Germanophile" auftreten oder sich selbst als solche betrachteten? Was hat es mit dem "Deutschtum" (oder der "Deutschheit") auf sich, dem sie ihre Aufwartung machten und ihre Zuneigung bekundeten?

Die "aufgeregte Idee der Deutschheit"

Zu den Wesensmerkmalen der Germanophilie unter deutschen Juden gehört ihre Rückbindung an eine kulturelle Kodierung "deutscher Identität". Diese besondere Ausgangslage unterscheidet sie maßgeblich von ihrem unheimlichen Zwilling, der um 1800 zu großer Popularität aufsteigenden "Germanomanie". Letzterer hat der jüdische Publizist Saul Ascher (1767–1822) im Jahr 1815 ein Pamphlet mit dem Titel Die Germanomanie. Skizze zu einem Zeitgemälde gewidmet.12 Sein Porträt jener "aufgeregten Idee der Deutschheit", die die "denkenden Köpfe in Deutschland", vornehmlich die "transzendentalen Idealisten, die Anhänger des Identitäts-Systems und ein Heer After- und Nebendenker" erhitzte,13 hätte kaum unschmeichelhafter ausfallen können. Als Anhänger eines aufklärerischen Kosmopolitismus14 erkannte Ascher, dass das Streben seiner (nichtjüdischen) Zeitgenossen nach deutscher Einheit häufig auf der Vorstellung eines "urwüchsigen", über die Zeit selbstidentischen Volks beruhte und darüber zu rigiden Ausschlusskriterien gelangte:

Christenthum und Deutschheit war bald in eines verschmolzen; dieß ist für den transzendentalen Idealisten und Identitäts-Philosophen ein leichter Prozeß. Es ward so von ihnen gefolgert. Deutschlands Rettung von dem Joche der fremden Tyrranei kann nur vorbereitet werden, durch Einheit und Einigkeit des Volkes in der Idee. Die Einheit und Einigkeit in der Religion spricht dieß Erforderniß ganz aus ... Es darf nicht befremden, daß nach den Ansichten dieser enthusiastischen Idealisten ... von ihnen vorzüglich in den Juden ein Gegensatz dieser Lehre vorgefunden ward, und daraus läßt sich denn erklären der rohe und abschreckende Ton, in welchem am Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Fichte ... an, bis herab auf seine Schüler und Verehrer, gegen Judenthum und Juden losgestürmt ward.15

Damit hebt Ascher drei zentrale Wesensmerkmale der Germanomanie hervor: 1. das sekundäre Moment (sie ist eine Reaktion auf den französischen Nationalismus), 2. die strategisch exklusive Stoßrichtung (gegen Franzosen und Juden) und 3. die phantasmatische Rückbindung (die spekulative "Idee der Deutschheit", die in die Erzählung einer verlorenen Einheit eingebettet ist). Diese Beobachtung ist charakteristisch für den allmählichen Übergang eines deutschen Kultur- und Sprachnationalismus Herder'scher Provenienz in einen rassistischen Nationalismus seit der napoleonischen Zeit.16 Am Beispiel der Christlich-deutschen Tischgesellschaft mit ihrem bereits in den Gründungsstatuten vereinbarten Ausschluss getaufter Juden exemplifiziert Ascher, wie der integrale Nationalismus mit einer Verachtung der Juden und überhaupt alles "Fremden" einhergeht, das heißt mit der Exkludierung dessen, was nicht dem Anspruch des "Autochthonen" genügte.17 Der Diskurs über nationale Identität begründete und orchestrierte so den modernen Wunsch nach Befreiung europäischer Nationen aus fremdstaatlicher oder partikularstaatlicher Fragmentierung:

Deutschland, hieß es, ist vor uralten Zeiten einem Volk anheim gefallen, das sich in Hinsicht des Charakters, der Denkart, der Sprache und der Sitte von allen andern Nationen unterscheidet. Diese Individualität, die im Laufe der Zeit und durch den Gang der Begebenheiten zerrüttet worden, wieder herzustellen und zu erhalten, ist der Beruf eines jeden echten Deutschen. Hierzu ist nun die erste Bedingung, alles Fremde, von außen her Eingewanderte von Deutschlands Gauen zu entfernen, und Deutschland gleichsam für einen geschlossenen Staat zu erklären.18

Analog zu diesem Befund umfasst der Nationenbegriff in Johann Christoph Adelungs (1732–1806) Grammatisch-kritischem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (1808) "die eingebornen Einwohner eines Landes, so fern sie einen gemeinschaftlichen Ursprung haben, und eine gemeinschaftliche Sprache reden, sie mögen übrigens einen einzigen Staat ausmachen, oder in mehrere vertheilet seyn".19 Bei der Formulierung deutscher Identität beriefen sich viele intellektuelle Propagandisten ideologiegeschichtlich auf Johann Gottfried Herder (1744–1803)[John Sartain (1808-1897), Portrait Johann Gottfried Herder (1744–1803), Mezzotinto nach einer Zeichnung von Buri, ohne Datum [zwischen 1828 und 1880]; Bildquelle: Library of Congress, Prints and Photographs Division, http://hdl.loc.gov/loc.pnp/cph.3c30300. ], der mit seiner kulturrelativistischen Erklärung der Verschiedenheiten von Völkern aus natürlichen und geschichtlichen Bedingungen nicht nur den Begriff Volk aufgewertet, sondern auch Sprache und Poesie als konstitutive Merkmale von "Nation" reklamiert hatte.20

Die Anrufung einer genuin deutschen Identität im Rahmen einer nationalen Erzählung hat überhaupt erst jenes "urwüchsige" deutsche Volk erfunden,21 das der Chor national gesinnter Intellektueller zu repräsentieren (und "zurück" zur Einheit zu führen) beanspruchte:

Die Hauptwirkung, die man sich von der aufgeregten Idee der Deutschheit versprach, war nun, daß die deutsch sprechende Nation, welche der Lauf der Begebenheiten gleichsam aufgelöst hatte, und die in einer wahren Entzweiung lebte, wodurch es einzig und allein den Ausländern gelang, ihren Einfluß zu behaupten, unter einen Hut gebracht und zum gemeinsamen Streben für ihre Freiheit und Selbstständigkeit aufgeregt werden sollte.22

Durch die Beschreibung und Erklärung von Nationen oder Kulturen aus überhistorischen Ursprüngen, zumeist im begrifflichen Kontext des Vitalismus und des Organischen,23 war der Weg geebnet für jene wirkmächtige und folgenschwere Phantasie von der verlorenen Einheit Deutschlands, die schon den ersten Versuchen der Deutschen zur Schaffung einer geeinten Nation zugrunde lag. Das späte Erscheinen Deutschlands in der Geschichte Europas spielte dabei eine wesentliche Rolle. Denn eine territoriale oder politische Kodierung deutscher Identität war bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts insofern nicht möglich, als Deutschland erst 1871 unter der Führung Otto von Bismarcks (1815–1898) zum Nationalstaat wurde und sich bis dahin aus einer Vielzahl unabhängiger Fürstentümer und Länder zusammensetzte. Wer sich im 18. und 19. Jahrhundert auf eine einige deutsche Identität berufen wollte, musste daher entweder auf ethnische oder kulturelle Kriterien zurückgreifen, die ihrerseits nostalgisch überformt waren.24 "[D]ie verlorene Einheit, nach der sich die Deutschen üblicherweise gesehnt haben, ist ein Märchen der Moderne. Sie ist immer schon verloren gewesen – sie existiert nur in diesem Verlust. Sie wird durch ein bleibendes Gefühl des Verlustes erzeugt, das, wie wir wissen, Wege kennt, die Vergangenheit neu zu erfinden."25 Mit der Forderung nach kultureller, nationaler und sozialer Wiedervereinigung erwuchsen das starke Interesse an einer Wiederbelebung der Volksüberlieferung und schließlich das Projekt einer romantischen Geschichtsschreibung. Anstatt sich weiterhin auf die globalen Erzählmuster der klassischen Historiographie zu verpflichten, galt es fortan, das "innere Leben" der Vergangenheit aus der kulturellen Tradition herauszupräparieren. Deshalb legte die neuere Geschichtsschreibung großen Wert auf historische Dokumente, in denen sich Sitten, Gesetze und wirtschaftliche Eigenheiten der Vergangenheit abbildeten, und betrachtete die Sprache der Dichtung als das einigende Band der Volkskultur.26 "Eine der Annahmen dieser neuen Geschichtsschreibung war, daß der 'Geist' der Vergangenheit beim Volk gelegen habe, nicht bei seinen Herrschern; bei Lebensweisen, nicht bei Kriegen und Eroberungen; bei Wert- und Glaubensvorstellungen, nicht bei aristokratischen Moden; beim Volkscharakter, nicht bei internationalen Charakteren."27 Unter Berufung auf den Anthropologen Louis Dumont (1911–1998), der eine vergleichende Studie zur Konstruktion moderner französischer und deutscher Identität vorgelegt hat,28 wurde eine spannungsreiche Dynamik zwischen konkurrierenden Modellen kollektiver Identität im Deutschland des 19. Jahrhunderts konstatiert: Während sich die individualistischen Modelle auf der einen Seite vom Aufklärungsdiskurs herschreiben und an den Werten der Bildung orientiert sind, beruhen die holistischen Modelle auf der anderen Seite auf der Vorstellung vom Volk als einer ursprünglichen homogenen Gemeinschaft der germanischen Völker und führen auf diese Weise ethnische Kriterien ins Feld.29 Gerade der Mangel an territorialen und politischen Bezugsgrößen sollte dazu beitragen, dass die nationale Kultur deutscher Provenienz zu einem holistischen Phänomen und zu einem phantasmatischen Gebilde von Ursprünglichkeit und Volksgeist wurde. Die schon den frühen deutschen Nationalismus kennzeichnende Frankophobie erweist sich dabei nicht nur als eine "schlimme Hinterlassenschaft der Besatzungszeit und 'Befreiungskriege'", sondern entspricht auch einer "mit dem Nationalismus häufig verschwisterten Xenophobie" als "Reaktion auf Modernisierungskrisen" und als "Religionsersatz".30

Wie oben erwähnt, beruhte die Germanophilie im deutschen Judentum auf einer kulturellen Kodierung des Deutschtums. Das Bekenntnis zu einer deutschen Kulturnation hatte gegenüber holistischen Auffassungen der Deutschen als einem überterritorialen Volk den Vorzug, Juden nicht von vornherein auszuschließen, sondern ihnen Partizipationsmöglichkeiten zuzugestehen. Allerdings geriet das Bildungsethos schon bald ins Fahrwasser der entstehenden Staatsbürokratie und erfuhr eine zunehmende nationalistische Verengung – mit der Folge, dass der liberale, kosmopolitische Bildungsgedanke und seine Wortführer allmählich ins Hintertreffen gerieten, allen voran das jüdische Bildungsbürgertum.31 "The contradiction between the openness and tolerance of Bildung and the restricted vision of respectability was not obvious to those living in the age of Jewish emancipation, though Bildung itself soon became a monopoly of a caste rather than accessible to anyone willing and able to participate in the process of self-cultivation."32

In Anbetracht eines an Boden gewinnenden Ethnochauvinismus mutete die von deutschen Juden getragene Germanophilie zusehends wie ein Anachronismus an, nachdem man ihr die Deutungshoheit über das "Wesen" des Deutschtums abspenstig gemacht hatte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unter dem großen Einfluss lebenswissenschaftlich motivierter Gesellschaftsbeschreibungen wie etwa der Evolutionstheorie Charles Darwins (1809–1882), avancierte der Begriff des "Stammes" zu einem Notbehelf, der es deutschen Juden ermöglichte, über eine Vielheit deutscher Stämme hinweg sich als zur Einheit des deutschen Volkes zugehörig zu betrachten.33 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der Paradigmenwechsel von der Annahme einer kulturellen Wahlverwandtschaft zwischen jüdischem und deutschem Geist hin zu der Annahme einer biologischen Verwandtschaft von Juden und Deutschen im Geiste einer naturwissenschaftlichen Weltanschauung.

Annäherung 1: Die Wahlverwandtschaft zwischen Judentum und Deutschtum

Bei der These einer "Wahlverwandtschaft" im deutsch-jüdischen Verhältnis handelt es sich nicht erst um eine rückblickende, von Forschern aus verschiedensten Fachgebieten angestrengte Konstruktion, mit der man die systematische Ermordung der europäischen Juden im Holocaust als das Ergebnis einer tödlichen Geschwisterrivalität zu erklären versuchte.34 Vielmehr kann man das Deutungsmuster einer Wesensähnlichkeit von deutscher und jüdischer Kultur schon bei Heinrich Heine entdecken, so etwa in seinem aus dem Nachlass edierten Waterloo-Fragment, entstanden im Umkreis der Geständnisse von 1854, das einen Abschnitt über den "Judaismus der Germanen" und die "Wunderbare Uebereinstimmung in der Sinnesart" bei "deutschen Juden ... und ihren christlichen Landsleuten" enthält:

Aber giebt es in der That eine so große Nazionalverschiedenheit zwischen den deutschen Juden, die seit anderthalb Jahrtausend in Deutschland angesiedelt, und ihren christlichen Landsleuten? Wahrlich nein. Merkwürdigerweise herrschte schon in den ältesten Zeiten die größte Wahlverwandschaft zwischen Juden und Germanen, und in Vergleichung mit den Nachbarländern erschien mir Judea immer als eine Art Deutschland, ich möchte fast sagen als die Mark Brande<n>burg des Orients. Wunderbare Uebereinstimm<un>g in der Sinnesart bey beiden Völkern: der tapferste Haß gegen Rom, persönliches Freyheitsgefühl, Sittlichkeit. Auch haben die Germanen den judäischen Spiritualismus am gründlichsten in sich aufgenommen. Sogar die Geschichtsurkunde der Juden, die Bibel, wurde das Nazionalbuch im germanischen Norden, ging über in Fleisch und Blut, gab dort dem innern und äußern Leben sein eigenthümliches Gepräge – und die Leute, die von den Spuren des Morgenländischen bey den Juden sprechen, bemerken gar nicht die alttestamentalische, ächtjüdische Phisionomie des germanischen Nordens in Europa und Amerika.35

Vor dem Hintergrund seiner jüdischen Herkunft und seiner "Mittlerstellung zwischen deutschen und französischen Zuständen"36 – machen Heines Zeilen vor allem eines deutlich: die grundsätzliche Ambivalenz germanophiler Tendenzen unter deutschen Juden. Heine ist diesbezüglich gerade keine Ausnahmeerscheinung. Vielmehr zeichnen sich seine Schriften zur deutschen Ideologie durch ihre permanente Auseinandersetzung über eine gleichzeitige Konvergenz und Divergenz zwischen Deutschen und Juden aus.37 "Weil ihm die Klärung dieses Sachverhalts, abermals aus ideologischen Gründen und nicht bloß aus psychologischen Motivationen, beherrschend erschien, mußte Heine seine Betrachtungen über Deutschland gipfeln lassen in einer Auseinandersetzung mit einem anderen deutschen Juden und Patrioten: mit Ludwig Börne."38 Hinter der berühmt-berüchtigten, an der Person des Kontrahenten sich kristallisierenden Polemik in Heines 1840 veröffentlichter Börne-Denkschrift schimmert stets auch die Bemühung um objektive Aussagen hindurch, denen zufolge Ludwig Börne (1786–1837) weder die Juden noch die Deutschen noch ihre – für Heine – frappierende Parallelentwicklung verstanden habe.39

Schon 1837, in Börnes Todesjahr, hatte Heine in Zusammenhang mit Frauengestalten bei William Shakespeare (1564–1616) dieses Thema scheinbar en passant aufgegriffen,40 indem er, von einer Parallelität im Frauenideal der Juden und Germanen ausgehend, zur "innige[n] Wahlverwandtschaft zwischen den beiden Völkern der Sittlichkeit" überleitet, um den "tiefern Grund" hierfür eben nicht in der geschichtlichen Entwicklung zu suchen, sondern in der Ähnlichkeit von jüdischem und deutschem Wesen, in einer gemeinsamen "Physiognomie". Wie in dem oben zitierten, über ein Jahrzehnt später entstandenen Waterloo-Fragment veranschaulicht Heine diese Parallelität in einer Synekdoche:

... beide Völker sind sich ursprünglich so ähnlich, daß man das ehemalige Palestina für ein orientalisches Deutschland ansehen könnte, wie man das heutige Deutschland für die Heimath des heiligen Wortes, für den Mutterboden des Prophetenthums, für die Burg der reinen Geistheit halten sollte.41

Juden und Germanen, das heißt Deutsche, werden so der Welt des Geistigen zugeordnet und mit einer praxislosen Abstraktion in Verbindung gebracht; Griechen und Römer bilden den Gegenpart aufgrund der ihnen zugeschriebenen Sinnlichkeit. "Mit dieser Themenstellung freilich geht Heine sogleich über die begrenzte Aufgabenstellung deutscher Aufklärung hinaus. Er verlangt nicht ... die staatsbürgerliche Emanzipation der Juden in Deutschland. Wichtiger ist ihm die Überwindung der gemeinsamen Begrenztheit im Verhalten von Juden und Deutschen: ihre Gedankenfülle und Tatenarmut."42 Ebendieses Anliegen verfolgt die Streitschrift gegen den verstorbenen Exilkollegen Börne, der mehr an praktischen Reformen in Frankreich wie in Deutschland interessiert war und darüber zum Apologeten des französischen Fallbeilterrorismus unter Maximilien Robespierre (1758–1794) wurde.43 So kommt Heine zum Schluss der Denkschrift erneut auf die Parallelität des deutschen und des jüdischen Schicksals zu sprechen, nachdem er Börne und den Juden Shylock aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig als prototypisch für ein jüdisches Denken und Verhalten identifiziert hat, das in seiner schriftgläubigen, kunstfeindlichen Spiritualität und in seinem zukunftsgerichteten, die Gegenwart verachtenden Messianismus der deutschen Wesensart ähnlich ist:

Wie dem auch sey, es ist leicht möglich, daß die Sendung dieses Stammes noch nicht ganz erfüllt, und namentlich mag dieses in Beziehung auf Deutschland der Fall seyn. Auch letzteres erwartet einen Befreyer, einen irdischen Messias – mit einem himmlischen haben uns die Juden schon gesegnet – einen König der Erde, einen Retter mit Zepter und Schwert, und dieser deutsche Befreyer ist vielleicht derselbe, dessen auch Israel harret ...44

Trotz der ideellen Annäherung von Deutschtum und Judentum auf der Ebene einer "Wahlverwandtschaft" erweist sich die Gleichung Juden–Deutsche, wie sie Heine aufführt, nicht als Beispiel für eine unhinterfragte Germanophilie. Vielmehr bemüht sich Heine darum, die antithetische Gegenüberstellung von Juden und Deutschen, Spiritualisten und Sensualisten etc. zu unterlaufen und im Hinblick auf eine kosmopolitische, das heißt europäische Dimension auszuarbeiten – ein Prozess, den er das "moderne Prinzip" nennt. Dieses Prinzip sei den Juden von Anfang an eigentümlich gewesen:

Aber nicht bloß Deutschland trägt die Physiognomie Palestinas, sondern auch das übrige Europa erhebt sich zu den Juden. Ich sage erhebt sich, denn die Juden trugen schon im Beginne das moderne Prinzip in sich, welches sich heute erst bey den europäischen Völkern sichtbar entfaltet.45

Wenn auch die kosmopolitischen Akzente bei Heine generell einen hohen Stellenwert haben, so bildet die Auseinandersetzung mit Deutschland doch gleichsam den Kontrapunkt seines literarischen und gesellschaftskritischen Engagements: sei es in der konkurrierenden Bezugnahme auf Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) – der auch für Heines Konzeption der Wahlverwandtschaft als poetologischer Stichwortgeber in Frage kommt –, in der Kritik an der deutschen Romantik oder im Mitgefühl angesichts des Elends deutscher Auswanderer in Frankreich. Bemerkenswert ist hier ein Brief an seinen Verleger Julius Campe (1792–1867) aus dem Jahr 1843, worin Heine, aus Paris schreibend, von einer zurückliegenden Deutschlandreise berichtet, bei der er "mancherley Verse gemacht" habe, "die mir mit größerer Leichtigkeit gelingen, wenn ich deutsche Luft athme. Von künftigen Aufenthalten in Deutschland verspreche ich mir viel poetische Früchte und ich kann es als Poet noch zu etwas bringen."46 Er beschließt den Brief mit den Worten: "Wie ungern ich von Hamburg diesmal abreiste davon haben Sie keinen Begriff! Eine große Vorliebe für Deutschland grassirt in meinem Herzen, sie ist unheilbar."47

Annäherung 2: Der jüdische Stamm und die Einheit des deutschen Volkes

Wenn Heine das Verhältnis von Deutschen und Juden als eine Wahlverwandtschaft imaginiert, dann zeigt sich darin zunächst einmal das Bemühen, die beobachteten soziokulturellen Differenzen im Lichte einer supponierten Wesensähnlichkeit zu überblenden und ihnen den Status einer oberflächlichen, historisch kontingenten Erscheinung zuzuschreiben. Gleichzeitig impliziert die Ähnlichkeitsthese, dass die wesensmäßige Übereinstimmung nicht auf einer tatsächlichen, sondern, wie es sich für einen Dichter gehört, auf einer metaphorischen Verwandtschaft beruht. Analog zu Jean Pauls (1763–1825) Charakterisierung des ästhetischen Witzes als eines "verkleidete[n] Priester[s]", der "jedes Paar kopuliert",48 besteht die dichterische Leistung Heines nicht zuletzt darin, entfernte Ähnlichkeiten zwischen den Dingen zu finden und hervorzuheben. In jedem Fall verortet er die Differenz zwischen deutschem und jüdischem Wesen im Bereich der geschichtlichen Entwicklung, die Parallelität ihrer Denkungsart hingegen in der religiös-kulturell kodierten Sphäre der Sittlichkeit. Letztere wird zwar überzeitlich gedacht, so dass deutsches nicht ohne weiteres in jüdisches Wesen konvertieren kann und umgekehrt – man denke nur an Heines berühmtes Aperçu vom "nie abzuwaschende[n] Jude[n]"49 aus einem Brief an den mit ihm befreundeten Bankier Moses Moser (1797–1838). Dennoch vermag die Analogie – ihrem poetologischen Anspruch nach – die historisch bedingte Kluft zwischen Juden und Deutschen im Bilde zu überbrücken. Diese Argumentationsweise steht schon im Denkhorizont einer grundlegend neuen Auffassung von Natur, die gemäß den Koordinaten des fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts auch die Natur des Menschen und die globale Erfahrung von kultureller Alterität, äußerer Migration und innerer Diaspora einschließt. Zwei fundamentale Verschiebungen kennzeichnen die neue Lage: Der "Mensch", bislang als eurozentrische Universalie fixiert, findet sich erstens wieder in einem biologischen Kontinuum der Gattungen und zweitens auf einem globalen Schauplatz der Kulturen, der durch "Sesshafte und Mobile" bevölkert ist.50 Neue Wissenschaften wie die vergleichende Anatomie identifizieren die Natur als Schauplatz der Geschichte und fassen damit den Abstand zwischen Mensch und Tier nur noch zeitlich. Geo- und ethnographische Forschungsreisen und die Protagonisten der "kolonialen Situation" verorten diese zeitliche Differenz im Raum globaler ethnischer Divergenz und thematisieren die Vergleichbarkeit im Unterschiedenen. Im Zuge dieser Neuordnung um 1800 dominiert nicht mehr ein Denken in Dichotomien. Stattdessen gewinnt "Ähnlichkeit" als Formtypik und Organisationsform des Wissens an Deutungsmacht.51 Das eher statische Interpretament der Wahlverwandtschaft ist davon ebenso beeinflusst wie jene dynamischen Konzepte der Anverwandlung im Sinn der Assimilation. Gerade an dem spannungsreichen Prozess deutsch-jüdischer Gruppen- und Identitätsbildung, an ihrem Schwanken zwischen individualistischen und holistischen Modellen, lässt sich die Tragweite des diskursiven Wandels ermessen.

Entscheidend ist, dass der Gedanke einer spezifischen Kultur im Lauf des 19. Jahrhunderts zusehends an die Vorstellung einer gemeinsamen Abstammung rückgebunden wird. Die jüngere Forschung hat die Herausbildung von Gemeinschaften aufgrund ethnischer Kategorien unter den Begriff situativer Ethnizität rubriziert und so verfasste Gruppen – analog zur modernen Nation – als eine gedachte Ordnung bestimmt, die auf der Erfindung einer Tradition beruht.52 "Der Begriff des Stammes war für die deutschen Juden attraktiv, weil er auch in der allgemeinen politischen Sprache für eine Form der Partikularität stand, die sich zwar nicht religiös begründete, aber dennoch als legitimer Ausdruck von Differenz galt."53 Auf diesem Weg war es möglich, die Wahrung der jüdischen Eigenständigkeit mit der Vorstellung zu verbinden, jener Vielheit von Stämmen zuzugehören, die die Einheit des deutschen Volks ausmachte, das heißt Jude und Deutscher sein zu können, nicht nur eines von beiden. So antwortete der jüdische Philosoph und Völkerkundler Moritz Lazarus (1824–1903) im sogenannten Berliner Antisemitismusstreit von 1879–188154 auf die von Heinrich von Treitschke (1834–1896) vorgebrachte Forderung nach einer bedingungslosen Assimilation der Juden, dass "wir deutsche Juden" nicht nur berechtigt, "vielmehr verpflichtet sind ..., was wir als Stamm an geistiger Eigenart, als Religion und Erbtugend oder Erbweisheit besitzen, auch zu erhalten, um es in den Dienst des deutschen Nationalgeistes als einen Theil seiner Kraft zu stellen".55 In demselben Vortrag beruft sich Lazarus auf jene nationale Erzählung der Deutschen als eine Geschichte der Stämme und ihrer produktiven Verschmelzung, die die Zugehörigkeit zur deutschen Nation fundieren soll:

Der Wille – dieses persönlichste, den Charakter am meisten bestimmende Element des menschlichen Gemüths – der Wille der Stämme allein entscheidet; der in der That bewährte Wille allein hat im deutschen Reich eine Einheit aus solchen geschaffen, welche vor weniger als einem Jahrzehnt als Feinde auf Blut und Tod mit einander gerungen hatten. Nicht am wenigsten bindet, wie wir Deutsche es am besten wissen, die gemeinsame Geschichte des geistigen Lebens die Individuen und Stämme zur Einheit der Nation. Die gleichen Stoffe und Stufen der Bildung, der Austausch der Kräfte und Erzeugnisse des Geistes, die gemeinsame Erhebung des Gemüths und Läuterung der Gesinnung durch Dichten und Denken, die emsige, sich gegenseitig unterstützende Forschung in gleichen, die fruchtbare Durchdringung in verschiedenen Gebieten des Wissens, kurz die das innere Leben bildende und gestaltende Strömung des Geistes erzeugt in Allen nach dem Maße ihrer Theilnahme daran auch das Bewußtsein ihrer national-geistigen Einheit.56

Allen Zugehörigkeitsbestrebungen zum Trotz lag in der biologistisch motivierten Definition von jüdischer und deutscher Identität bereits der Keim für das prekäre Auseinanderdividieren von Juden und Deutschen – eine Entwicklung, die nicht zuletzt durch den zunehmenden aggressiven Antisemitismus mit seiner rassistischen Semantik befördert und ideologisch verbrämt wurde. Insbesondere der lebenswissenschaftliche Diskurs fachte die Exklusionsbedürfnisse der Mehrheitsgesellschaft an, indem er die Kategorie der "Normalität" – abgeleitet aus den Laboranalysen der Teratologie und den Rechenleistungen einer Bevölkerungsstatistik nach dem Muster Adolphe Quételets (1796–1874)57 – als notwendige gesellschaftliche Richtlinie plausibel zu machen verstand. Unter den neuen biologistischen Auspizien verlor die Gleichung Juden und Deutsche mehr und mehr an Anerkennung. An ihre Stelle trat, insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Gegenüberstellung Juden oder Deutsche. Daran, dass man die in Anschlag gebrachten Differenzen weiterhin im Bereich der Natur ansiedelte, änderte sich nichts. Es fehlte jedoch die nationale Erzählung, die sie als gleichberechtigte Stämme in einem gemeinsamen Rahmen zusammengeführt hatte. Unter diesen Bedingungen trat die Germanophilie vorwiegend in der Gestalt des jüdischen Assimilanten in Erscheinung, der das Oder zwischen jüdischem und deutschem Wesen nicht als Barriere auslegte, sondern als eine Passage. Die verschiedenen Assimilationskonzepte gehen dabei über rein biologistische Fragestellungen hinaus, indem sie den ästhetischen Diskurs der Mimesis beerben und in einem neuen anthropologischen Horizont verhandeln. Auf diese Weise nahm die germanophile Orientierung die Umrisse des Wunsches nach Zugehörigkeit zur nichtjüdischen bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft an und verschwisterte sich mit der Idee der Nachahmung. Im Unterschied zu jenen Formen jüdischer Germanophilie, die die Liebe zum sogenannten Deutschtum über eine kulturelle Ähnlichkeit begründeten, aber gleichsam aus der Ferne, das heißt aus der Differenz heraus liebten, war die zum Assimilationsbestreben58 gesteigerte Germanophilie getragen vom Phantasma der Identität mit dem Anderen, beseelt von der Hoffnung, die deutsche Chimäre einholen und buchstäblich verkörpern zu können. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, die Germanophilie auch im Hinblick auf ihr assimilatorisches Potenzial zu betrachten.

Annäherung 3: Germanophilie und Assimilation

Von Anfang an war das moderne Projekt der Assimilation im Gefolge der jüdischen Emanzipation umstritten: Während die liberalen Juden in der Assimilation optimistisch den Königsweg in die Moderne sahen und mit den neuen wissenschaftlichen Mitteln als Erfolgsmodell jüdischer Geschichte und Kultur überhaupt verstanden, geriet sie vor allem seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Nationalisierung des Judentums durch den Zionismus und der Hebraisierung seiner Kultur zunehmend in die Defensive. Innerhalb dieses Spannungsfeldes wird der Stellenwert der Germanophilie beeinflusst von den weit ausgreifenden Kontroversen über die biologische, anthropologische, ästhetische und soziale Funktion der Anpassung und Nachahmung, mehr noch: der Vorstellung der Assimilation als eines Perfektibilitätsprogramms. Die Debatte über die jüdische Assimilation – innerhalb wie außerhalb des Judentums – findet weitgehend im Gravitationsfeld bzw. in der Terminologie und Bildlichkeit der großen Paradigmen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wie Darwinismus, Sozialismus, Liberalismus, Nietzscheanismus etc. statt. Zwei konträre Lesarten ringen hier um Deutungshoheit: die Assimilation als Entwicklungskatalysator und Fortschrittsmodell auf der einen Seite, als Verlust- und Krisenmodell auf der anderen.59 Beide Interpretationen bestimmten die wissenschaftliche, soziale und kulturelle Selbstwahrnehmung des europäischen Judentums im 19. Jahrhundert maßgeblich, und zwar sowohl in grundsätzlichen philosophisch-poetologischen Überlegungen als auch in angewandten konkreten Problemstellungen des wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskurses. Entscheidend ist, dass die unter dem Zeichen der Assimilation laufende Germanophilie eng an die erste Lesart geknüpft ist und unter dem Eindruck der zweiten in die Defensive gerät.

Über weite Strecken des 19. Jahrhunderts zeigte sich ein Beharren auf einem optimistischen, dem Judentum förderlichen Modell der Assimilation, wenngleich einzelne wirkmächtige Stimmen – man denke nur an Heinrich Heines kritische Auseinandersetzung mit Taufe und Konversion – dessen prekäre Implikationen hervorhoben. Dennoch konstatierten weite Teile der kulturtragenden Eliten des deutschen Judentums keinen einseitigen Auflösungsprozess.60 Jüdische Gelehrte und Schriftsteller konnten sich auf die deutsche Kultur als ein nachahmenswertes Vorbild verpflichten, ohne notwendig in Verdacht zu geraten, dabei ein jüdisches Proprium aufzugeben oder gar zu verraten. Gerade das liberale Judentum des 19. Jahrhunderts – von Leopold Zunz (1794–1886) bis Ludwig Geiger (1848–1919) – pflegte einen "optimistische[n] Liberalismus der Nachahmung und der Assimilation",61 der einige Jahrzehnte später durch die Nachahmungstheorie von Gabriel Tarde (1843–1904) eine zusätzliche theoretische Fundierung erhielt. Die Vorstellung, dass das Funktionieren einer Gesellschaft auf Nachahmung angewiesen ist und dass jede Innovation immer auf vorangegangenen Ideen fußt, stieß bei Zunz und den Vertretern der Wissenschaft des Judentums auf offene Ohren. "Assimilation wird hier zum Erfolgsmodell einer modernen jüdischen Kultur jenseits der engen Grenzen der Tradition, die für das aufgeklärte, kosmopolitische und liberale Europa beispielhaft sein sollte."62

Gleichzeitig entzündeten sich an den mimetischen Techniken der Nachahmung immer auch große kulturkritische Bedenken und Ängste. Das germanophile Engagement schien über sein Ziel, den Austausch mit der Welt zur inneren Stabilisierung zu nutzen,63 hinausgeschossen zu sein. Neben der Sorge um einen irreversiblen Identitätsverlust, der häufig unter der Chiffre des Seelenverkaufs bzw. -raubs imaginiert wurde – man denke etwa an Adelbert von Chamissos (1781–1838) Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1814) oder Leopold Komperts (1822–1886) Seelenfängerin (1865) – kam der Verdacht auf, dass die Transformationsbemühungen die jüdische Fremdheit noch verstärkten: Statt semiotisch transparent, das heißt eindeutig zugehörig zur "deutschen Kultur", wurden die Juden ambivalent.64 Anders als die emanzipatorisch-liberale Literatur der Aufklärung und ihrer Erben stand Assimilation bald als einseitiger, hierarchischer und in letzter Instanz selbstzerstörerischer Prozess zur Disposition. Parallel dazu verlor die Annahme einer prinzipiellen Transformierbarkeit kultureller Eigentümlichkeiten im Spannungsfeld von Biologie, Soziologie, Anthropologie und Ästhetik zusehends an Plausibilität, und zwar analog zur Krise der Subjekttheorien. Maßgeblich war hier die Engführung von ästhetischer Mimesis und biologischer Überlebenskunst in den Schriften Friedrich Nietzsches (1844–1900). Wenn auch kein Theoretiker der Assimilation, skizzierte Nietzsche doch ein Problemfeld der Nachahmung, das die platonische Zurückweisung der Mimesis zugunsten einer Unhintergehbarkeit des Scheinhaften suspendierte. Wenn das Subjekt "nichts Gegebenes, sondern etwas Hinzu-Erdichtetes, Dahinter-Gestecktes"65 ist, dann bleibt die Transformationskapazität auf bloß äußerliche Merkmale begrenzt. Infolgedessen werden die vermeintlich sekundären Praktiken des Zitierens, Nachahmens und Angleichens zur Grundvoraussetzung jeder Form von Subjektivität. Über Darwin hinausgehend, deutete Nietzsche die "Verstellung" nicht länger als einen Spezialfall der Anpassung, sondern erhob sie zum universalen Prinzip des Lebens überhaupt. So rückten die vielfältigen theatralischen Praktiken und Semantiken der Imitation unter das Zeichen einer genuin anthropologischen Strategie. Die Verähnlichung mit dem Anderen schien deshalb erreichbar, weil das innere Wesen des Nachahmungsobjekts zu einem Oberflächeneffekt und damit zu einer entbehrlichen Größe herabgesunken war. Die Assimilation an die deutsche Kultur erstreckte sich nur auf den äußeren Code der Objektstruktur, den der Assimilant an sich selbst zur Geltung bringen wollte. Es handelt sich gewissermaßen um eine Dynamisierung der jüdischen Germanophilie zum Zweck der Überschreitung jener (rein äußerlichen) Differenzen zwischen Juden und Deutschen. Die Germanophilie partizipierte damit an der Vorstellung eines adaptierbaren Habitus.

Die von Nietzsche vorgenommene Universalisierung des "Problem[s] des Schauspielers" läuft schließlich auf den Konnex von Judentum und Schauspielerei hinaus: Auf der Bühne der Welt, heißt es, agieren die Juden als "Schauspieler par excellence".66 Die Verquickung von jüdischer Assimilation mit Nachahmungs- und Schauspielkunst produzierte am Ausgang des 19. Jahrhunderts eine Publizistik, die sich – nach einem Schlagwort des bedeutenden Kulturzionisten Achad Haam (1856–1927) – einem "jüdischen Nietzscheanismus" verpflichtete67 und in teilweise heftig geführte soziologische, anthropologische und ästhetische Kontroversen mündete. Angesichts der wachsenden polemischen, auch antisemitischen Kritik aus völkischer Perspektive seit der Gründerzeit – ein prominentes Beispiel ist der oben erwähnte Berliner Antisemitismusstreit – sowie unter dem Eindruck einer innerjüdischen Kritik, die in der Assimilation gerade eine Ursache des Antisemitismus ausmachte, wurde die Assimilation gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend apologetisch verteidigt. Insbesondere im Bereich zionistischer Theoriebildung und Publizistik stieß die innerjüdische Forderung nach Anpassung an die deutsche Mehrheitsgesellschaft auf heftigen Widerstand. Alle Bemühungen in diese Richtung wurden als ein fataler Bruch mit der jüdischen Tradition und als eine deformierende Verleugnungsgeste gedeutet, die nicht nur eine Quelle des jüdischen Selbsthasses sowie des Antisemitismus darstellten, sondern letztlich zu einer völligen Entleerung der eigenen jüdischen Identität führten – ein Befund, der sich auch mit Nietzsches Unbehagen gegenüber Schauspiel, Nachahmung und Mimikry deckte.

Vor diesem Hintergrund ist es relevant, auch die Deutung zu berücksichtigen, die die assimilatorische Praxis von Seiten jüdischer Kritiker erfahren hat. Als ein Beispiel soll hier ein Urteil des deutsch-jüdischen Philosophen Moses Hess (1812–1875) dienen. In seiner für den späteren Zionismus grundlegenden Schrift Rom und Jerusalem aus dem Jahr 1862 definierte er das Wesen der jüdischen Nation eben nicht nach zeitgebundenen, das heißt wandelbaren Kriterien wie Religion und Nation. Vielmehr knüpfte Hess an zeitgenössische darwinistische Rassenlehren an, um zwischen einer "jüdischen" und einer "germanischen" Rasse unterscheiden zu können. Dabei schien ihm ein "Rassenkampf" dieser substanziell auseinanderdividierten "Stämme" unausweichlich. Einerseits beerbte Hess die schon bei Heine aufgeführte Dichotomie Juden–Germanen, ohne länger an der Ähnlichkeitsthese festhalten zu wollen. Andererseits ging er mit der Engführung von Biologie und Soziologie über das frühere Modell hinaus. Des Weiteren identifizierte Hess den ubiquitären Antisemitismus in Deutschland als Auslöser der jüdischen Selbstverleugnung qua Assimilation: "Der deutsche Jude ist wegen des ihn von allen Seiten umgebenden Judenhasses stets geneigt, alles Jüdische von sich abzustreifen und seine Rasse zu verleugnen."68 So gesehen ist die zur Nachahmung ansetzende Germanophilie unter deutschen Juden eine Not, keine Tugend. Von hier aus gelangte Hess zu der Feststellung, dass das Projekt der Assimilation notwendig scheitern müsse, eben weil die Unterschiede zwischen Juden und Deutschen nicht im Bereich der Geschichte aufzufinden seien, sondern so unerreichbar tief in der "Rasse" wurzelten, dass ihre Überwindung schlechtweg ein Ding biologischer Unmöglichkeit darstellte. Zur Illustration seiner Behauptung zitiert er eine Anekdote69 des damals berühmten niederländischen (nichtjüdischen) Physiologen Jacob Moleschott (1822–1893):

Moleschott erzählt in seinem 'Physiologischen Skizzenbuch' ... von dem Sohne eines getauften Juden, den man morgens nicht vom Spiegel wegbringen konnte, weil er unablässig bemüht war, mit dem Kamme sein krauses Haar in schlichtes zu verwandeln. – Aber so wenig die 'radikale' Reform, richtig so genannt, weil sie die Axt an die Wurzel des Judentums, an seinen nationalen Geschichtskultus legte, so wenig, sage ich, diese Reform ihren Zweck erreichte, so wenig auch erreicht das Streben der Juden nach Verleugnung ihrer Abstammung sein Ziel. Die jüdischen Nasen werden nicht reformiert, und das schwarze, krause jüdische Haar wird durch keine Taufe in blondes, durch keinen Kamm in schlichtes verwandelt. Die jüdische Rasse ist eine ursprüngliche, die sich trotz klimatischer Einflüsse in ihrer Integrität reproduziert. Der jüdische Typus ist sich im Laufe der Jahrhunderte stets gleich geblieben.70

Die den Rassenlehren entlehnte Bildlichkeit und Terminologie naturalisierte die beobachteten Differenzen zwischen jüdischem und deutschem Wesen, um germanophile und assimilatorische Bestrebungen gegenüber der Forderung nach einem jüdischen Partikularismus zu diskreditieren, der die Juden von der Drangsal des Antisemitismus erlösen sollte. Umgekehrt argumentierten die Apologeten der Assimilation, das heißt vor allem die liberalen deutschen Juden, dass dem Antisemitismus nur durch radikale Assimilation beizukommen sei. Zu ihnen gehörte der Großindustrielle, Schriftsteller und 1922 von Antisemiten ermordete deutsche Außenminister Walther Rathenau (1867–1922)[Schwarz-weiß Photographie, o.J. [vor 1922], unbekannter Photograph; Bildquelle: Library of Congress, George Grantham Bain Collection, DIGITAL ID: (digital file from original neg.) ggbain 20796 http://hdl.loc.gov/loc.pnp/ggbain.20796.], der 1897 mit seinem (unter dem Pseudonym W. Hartenau) in Maximilian Hardens (1861–1927) Die Zukunft veröffentlichten Aufruf Höre, Israel! für großes Aufsehen sorgte. Die radikale Forderung der Assimilation durch einen Juden verstörte nicht zuletzt wegen ihrer indirekten Anknüpfung an sozialdarwinistische antisemitische Diskurse, wenn Rathenau etwa den assimilierten deutschen Juden vorwarf, "die Trachten der hageren Angelsachsen zu parodieren, in denen Ihr ausseht, wie wenn ein Teckel einen Windhund kopirt".71 Obwohl er sich von einem biologistisch-sozialdarwinistischen Begriff der Assimilation als "Mimikry" und "Imitation" distanzierte, operierte Rathenau mit seiner Semantik von "Metamorphose", "Verdauung" etc. innerhalb der von Darwin und Nietzsche eröffneten Perspektive auf die Nachahmung, in der diese als elementare Fähigkeit des Lebens und als biologische Grundlage der Kultur begriffen wurde:

Was also muß geschehen? Ein Ereigniß ohne geschichtlichen Vorgang: die bewußte Selbsterziehung einer Rasse zur Anpassung an fremde Anforderungen. Anpassung nicht im Sinne der 'mimicry' Darwins, welche die Kunst einiger Insekten bedeutet, sich die Lokalfarbe ihrer Umgebung anzugewöhnen, sondern eine Anartung in dem Sinne, daß Stammeseigenschaften, gleichviel ob gute oder schlechte, von denen es erwiesen ist, daß sie den Landesgenossen verhaßt sind, abgelegt und durch geeignetere ersetzt werden. Könnte zugleich durch diese Metamorphose die Gesammtbilanz der moralischen Werthe verbessert werden, so wäre Das ein erfreulicher Erfolg.72

Am Ende dieser Umbildungsmaßnahme sollen "nicht imitirte Germanen, sondern deutsch geartete und erzogene Juden"73 stehen. Obwohl sich Rathenau eines sozialdarwinistischen Vokabulars bedient, das auch den zeitgenössischen völkischen und rassistischen Diskurs strukturiert, redet sein Aufruf zur Assimilation eben keinem strikten Biologismus das Wort. Zwar unterscheidet er zwischen jüdischer und deutscher "Art", siedelt diese Differenz jedoch vorrangig auf der Ebene des Habituellen, nicht in den Untiefen der Natur an. Rathenaus Konzept von "Anartung" ist primär ein Echo auf das Aufklärungsprogramm der Perfektibilität, dem man den Durchgang durch die Darwin'sche Lektion deutlich anmerkt. Verfällt Rathenau auch bisweilen auf antisemitische Klischees und gemahnt die prekäre Konsequenz seiner Argumentation (das heißt die Aufgabe jüdischer Partikularität) grundsätzlich zur Vorsicht, so ändert das nichts daran, dass seine Streitschrift weniger "Entstehung der Arten" (nach Darwin) sein will als "Erziehung des Menschengeschlechts" (nach Lessing). Allerdings weicht das Ideal einer Konvergenz von Deutschem und Jüdischem, wie es noch im Wilhelminischen Kaiserreich Gültigkeit hat, im Laufe des 20. Jahrhunderts zusehends "einem Bewußtsein der unlösbaren Dualität von Deutschem und Jüdischem".74

Distinktionsbewusstsein: Das deutsche Kulturprinzip der Orthodoxie

Bislang setzt sich das hier gezeichnete Bild der Germanophilie im deutschen Judentum hauptsächlich aus Reaktionsmustern auf eine äußere (latent oder offen judenfeindliche) Umwelt zusammen. Die Beschreibungsweise der Annäherungen erweckt den Eindruck, als ordne sich der Diskurs der Germanophilie vollends entlang der Differenz nichtjüdisch ("deutsch")/jüdisch an. In diesem Szenario erscheint das Handlungsvermögen germanophiler Juden stark limitiert, als von außen Getriebene sind sie gleichsam nur Spielball fremder Interessen. Der abschließende Blick auf die von der jüdischen Reformbewegung so genannte "Orthodoxie" soll demgegenüber die selbstbestimmten Facetten der jüdischen Germanophilie aufzeigen: Auch die Orthodoxie war auf ihre Weise germanophil, aber auf der Grundlage eigener identitärer Interessen.

Am 9. November 1859 hielt R. Samson Raphael Hirsch (1808–1888)[Portrait von Samson Raphael Hirsch (1808–1888), unbekannter Künstler; Bildquelle: Jüdisches Lexikon, Berlin 1928, vol. 2, Sp. 1621. ], der Begründer der jüdischen Neo-Orthodoxie in Deutschland, anlässlich der Schulfeier der Unterrichtsanstalt der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt am Main eine in der jüdischen Welt Aufsehen erregende "Schillerrede"Hirsch, Samson Raphael: Worte bei der Schulfeier der Unterrichtsanstalt der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt a.M., den 9. Nov. 1859 am Vorabend der Schillerfeier, in: Jeschurun  4 (1859/1860), S. 188, online: http://www.compactmemory.de/library/seiten.aspx?context=pages&ID_0=18&ID_1=351&ID_2=6918&ID_3=48925&..75 Darin würdigt er "Geister wie Schiller", die mit ihrem "Humanitäts- und Rechtsgefühl" wesentlich dazu beigetragen haben, "daß allmälig auch der Jude Mensch sein darf unter den Menschen, daß allmälig auch dem Juden das Recht und die Würde des Bürgers nicht vorenthalten bleibt".76 In diesem Zusammenhang entfaltet Hirsch den für die Frankfurter Orthodoxie insgesamt grundlegenden Gedanken, dass sich die göttliche Offenbarung nicht nur in der Tora manifestiere, sondern gleichermaßen auch in der Natur und in der Geschichte. So gesehen bewahrt Schillers Dichtung einen Abglanz göttlicher Weisheit:

Der Gedankenkreis Schiller'scher Dichtungen ... – ist es nicht jüdischer Boden, dem sie entstammen? ... Diese heitere Anschauung der Lebensbestimmung, diese in frohem Bewußtsein erfüllter Lebensbestimmung vor Gott zu findende Freude – ... dieser Staatenbau auf Gesetz in der Freiheit und der Freiheit im Gesetz, diese göttliche Gleichheit jedes gottgebornen Menschen, dieser gleiche Adel und gleiche Werth und diese gleiche Würde jedes Gott geweihten Menschenlebens – sind das, fast bis auf den Wortausdruck, nicht Blüthen von dem jüdischen Baume des Lebens? Sind dies nicht Keime jenes Gottesvermächtnisses, das das Judenthum seit Jahrtausenden für die Menschheit gepflegt und die immer mehr, bewußt und unbewußt, aufgehen in der Brust der Menschheit und ihre Erleuchtung und Veredlung vollenden?77

Die bewusste Hinwendung zu deutscher Literatur und Kultur durch Hirsch und seine Anhänger bedeutete demnach keine Lossagung von der jüdischen Tradition. Vielmehr war das germanophile Ansinnen von der Vorstellung geleitet, das "Eigene" im "Fremden" zu entdecken und darüber den Anschluss des religiösen Lebens an die allgemeine Kultur und Sprache des Landes zu vollziehen, wie schon einige Jahrzehnte zuvor vom Talmudgelehrten R. Samuel Landau (1750–1834) gefordert.78 Als Vorsteher der "Israelitischen Religionsgesellschaft" in Frankfurt suchte Hirsch die Integration der jüdischen Gemeinde in die bürgerliche Gesellschaft voranzutreiben und die orthodoxe Stellung im Kampf gegen die liberale Reformbewegung zu festigen.79 "Sein Denken hatte sich nicht aus der Ablehnung der sich verändernden Wirklichkeit entwickelt, entstammte vielmehr seiner jüdischen Weltsicht. Es beruhte auf der Annahme, daß sich Torastudium und religiöse Lebensweise einerseits, profane Fächer und sittliche Tugenden andererseits gegenseitig ergänzten und Vollkommenheit nur durch ihre vollständige gegenseitige Durchdringung erreicht werde."80 Nach der Devise Tora im Derech erez (hebräisch "Tora zusammen mit der Sitte des Landes") wurde diese Auffassung in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Grundstein der jüdischen Orthodoxie in Deutschland.81 Unter Derech erez verstand Hirsch sowohl die Befähigung zum bürgerlichen Leben durch das fachliche Studium als auch den Erhalt der ursprünglichen jüdischen Kultur durch die wissenschaftliche Ausbildung. Idealerweise sollte es zu einer Verschmelzung des weltlichen Wissens mit der religiösen Erziehung kommen:

Hat aber das Judentum, für welches wir unsere Jugend heranbilden, die Berührung mit den geistigen Elementen jeder wahren andern Bildung nicht zu scheuen, so ist eine gleichzeitige Ertüchtigung unserer Jugend auf den Gebieten der allgemeinen Bildung nicht nur eine von den Anforderungen des einstigen bürgerlichen Berufes gebotene Notwendigkeit, und schon als solche von religiöser Pflicht getragen; ist nicht nur für das Verständnis der Zeitgenossenschaft und der Verhältnisse, unter denen und mit welchen ihr einstiger Lebensberuf zur Verwirklichung kommen wird, ein höchst heilbringendes Angebinde, und somit ein auch schon vom jüdisch-religiösen Standpunkt warm zu befürwortendes Desiderium: sie ist vielmehr zu gleicher Zeit eine sehr wesentliche Bereicherung an Einsicht und Umfang für die jüdisch-religiöse Bildung selbst, und somit von dem jüdisch-religiösen Momente selbst um seiner selbst willen in hohem Grade anzustreben und zu pflegen.82

Hirsch betrachtete die Juden als organischen Teil der deutschen Bevölkerung; insofern gehörte die patriotische Unterweisung, das heißt die Ausbildung zur Erfüllung nationaler Aufgaben, zum Pflichtprogramm einer guten jüdischen Erziehung.83 Komplementär dazu betonte er die zentrale Bedeutung der deutschen Muttersprache, die zur Vorbereitung der korrekten Erfassung von Begriffen und der Entwicklung des geistigen Lebens diene.84 Während noch im 18. Jahrhundert manche Rabbiner die Übersetzung des Pentateuchs ins Deutsche durch Moses Mendelssohn (1729–1786)[Johann Christoph Frisch (1738–1815), Portrait von Moses Mendelssohn (1729–1786), Öl auf Leinwand, 1786, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Photographin: Ruth Schacht; Bildquelle: © Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte (bpk) / SBB / Ruth Schacht;  Bildnummer 00004762.] mit großem Argwohn beäugten, war zwei Generationen später das von Hirsch bekundete Lob auf "unsere schöne deutsche Sprache", verbunden mit der Empfehlung klassischer deutscher Autoren, längst keine Außenseitermeinung mehr unter den Exponenten des orthodoxen Judentums.85

Die auf Samson Raphael Hirsch sich berufende Orthodoxie kennzeichnete ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Überzeugt davon, dass die Lehre Hirschs für das ganze jüdische Volk von hohem Wert sei, wollte man die eigenen gemeindepolitischen Erfahrungen in einem größeren Rahmen entfalten.86 In einer Zeit, in der das moderne Judentum eine irritierende Vielfalt von "Parteien"87 darstellte, suchte die jüdische Orthodoxie als Bewahrerin der religiösen Traditionen die Deutungshoheit über Wesen und Aufgabe des Judentums vor allen anderen Teilen des zerstreuten jüdischen Volkes zu sichern. Zu diesem Zweck berief sie sich unter anderem auf den Führungsanspruch des "deutschen" Kulturprinzips.88 Die weit ausgreifende und ausdauernd geführte Kontroverse mit der jüdischen Reformbewegung und später mit dem Zionismus um die Frage nach dem Wesen der jüdischen Gemeinschaft und um die für das Judentum angemessene Organisationsform stand auf charakteristische Weise unter dem Vorzeichen des Ost-West-Gegensatzes, und dies umso mehr, als unter Zionisten mehrheitlich das osteuropäische Judentum als das authentische Judentum gehandelt wurde.89

Für die Orthodoxie bestand kein Zweifel daran, dass sie im deutschen Sprachraum einen für das ganze Volk Israel vorbildlichen und wegweisenden Erfahrungsschatz gesammelt hatte, der sie in besonderer Weise dazu befähigte, die Herausforderungen der Zeit zu meistern. So ließ sich das vom orthodoxen Standpunkt aus "Fremde" (Kant, Goethe, Schiller etc.) vor dem Forum der "eigenen" jüdischen Tradition, der Tora, rechtfertigen. Das aus dieser Überzeugung gewonnene Selbstbewusstsein hielt sogar noch der Erschütterung durch den Ersten Weltkrieg stand.90 Vorausgegangen war diesem Bekenntnis zur deutschen Nationalität das von Bismarck geführte deutsche Einigungswerk, im Zuge dessen die Freie Stadt Frankfurt, zusammen mit Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen und Nassau, im Jahr 1866 vom preußischen Staat annektiert worden war. Mit der Zuerkennung von Korporationsrechten durch die Behörden der neuen Obrigkeit sah sich der von Hirsch beeinflusste Teil der Frankfurter Orthodoxie in der Hoffnung bestätigt, dass Preußen von einer prinzipiellen Synchronisierbarkeit seiner Interessen mit den Anliegen des toratreuen Judentums ausging.91 Die staatskirchenrechtliche Gleichstellung vor Augen, gelangte die von Frankfurt aus geführte Orthodoxie zu der Überzeugung, dass eine besondere Affinität des toratreuen Judentums zu den vom preußischen Staat verkörperten Werten und Ideen bestehe.92

Hatte Samson Raphael Hirsch schon 1863 die deutschen Juden auf die Seite des Freiheits- und Einheitskampfs des deutschen Bürgertums gestellt, so trug die politische Konstellation nach 1866 vollends dazu bei, die Loyalität gegenüber Deutschland und den Anschluss an die deutsche Kultur zu einem Wesenszug der unabhängigen Orthodoxie auszubilden.93 Rückblickend wurden deren "deutsche" Qualitäten auf logistischer, verhandlungstechnischer und ideologischer Ebene angesiedelt: Gegenüber den Juden in Osteuropa zeichneten sich die Deutschen durch die Fähigkeit aus, internationale Kongresse "gründlich, umsichtig, besonnen und weitblickend" vorzubereiten und ebenso "geschickt" zu moderieren: "[S]ie vermittelten, glichen aus, beruhigten, klärten auf."94 Ihre besondere geistige Anbindung an die abendländische Kultur gebe ihnen "eine vorläufig unerreichte Ueberlegenheit".95 Gerade diese "Stärke" auf "ideologischem Gebiete" mache die Deutschen zu einem maßgebenden Element in der orthodoxen Weltorganisation.96

Konklusion

Die oben beschriebenen Annäherungen waren allesamt getragen von dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Was als vermeintliche biologische und kulturelle Differenz zwischen Juden und Deutschen veranschlagt wurde, sollte, wenn nicht ganz und gar überwunden (wie in der Assimilation), so doch unter dem Eindruck frappierender Ähnlichkeit oder prinzipieller Interessenidentität zur Nebensache heruntergestuft werden. Mit Blick auf die Orthodoxie ist aber zugleich deutlich geworden, inwieweit die Germanophilie auch einen innerjüdischen Diskurs kennzeichnete, der eben nicht auf soziale Mobilität und Anerkennung durch die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft abzielte, sondern die Frage nach der eigenen Identität in Abgrenzung von assimilierten oder reformorientierten, aber auch von den vormodernen Orthodoxen in Osteuropa wie in Teilen Süddeutschlands aufwarf und verhandelte. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Germanophilie als ein wichtiges Bauelement in dem groß angelegten Projekt der Konstruktion eines neuen modern-orthodoxen Judentums.

In dieser Zusammenschau zeigt sich noch einmal deutlich, inwieweit Germanophilie eben kein unschuldiges, sondern ein interessiertes Konzept ist – interessiert insofern, als es die Existenz eines deutschen (mit sich selbst identischen) "Originals" unterstellt, das der Germanophile nachträglich einzuholen oder nachzuahmen versucht. Der Blick verengt sich leichthin auf solche Konstellationen, in denen Juden nurmehr reagieren, nicht aber auf der Grundlage eigener Interessen agieren. Mit anderen Worten: Während den Deutschen implizit der Genuss der eigenen Seinsfülle zugesprochen wird, erscheinen die Juden im Zeichen eines Mangels, der sie zur Ausarbeitung einer prozessualen Annäherung an die "deutsche" Kultur nötige – die Deutschen seien originell, ihre jüdischen Landsleute allenfalls epigonal. Bei der "deutschen Kultur" handelt es sich jedoch nicht um eine fixe, das heißt in sich ruhende und nach außen abgedichtete Größe, sondern um ein Artefakt der Gesellschaft, das sich der kontinuierlichen Verständigung über ein "Außen" verdankt. So wurde aufgezeigt, dass alle Visionen einer künstlichen, auf Homogenität beruhenden Ordnung inhärent asymmetrisch und notwendig dichotomisch sind: "Sie spalten die menschliche Welt in eine Gruppe, für die die ideale Ordnung errichtet werden soll, und eine andere, die in dem Bild und der Strategie nur als ein zu überwindender Widerstand vorkommt – als das Unpassende, das Unkontrollierbare, das Widersinnige und das Ambivalente."97

Die Formulierung einer homogenen deutschen Kultur und Gesellschaft war somit konstitutiv auf den Ausschluss der "Anderen", hier der Juden, angewiesen. In Verbindung mit dem Gefühl der historischen Verspätung konnte sich so eine sozialtechnologische Praxis etablieren, die vorgab, eine vom "Wildwuchs" geschichtlicher und politischer Wirrnisse bloß verdeckte deutsche Identität freizulegen und wieder aufleben zu lassen; tatsächlich handelte es sich dabei um eine nachträglich beschworene Referenzgröße, deren unveränderliche, "naturbestimmte" und damit "erbliche" Qualität zuallererst durch Ausschlussmechanismen zustande gekommen war. Gleichzeitig leisteten deutsche Juden einen beträchtlichen Beitrag als Wegbereiter und Agenten einer Kulturpolitik, die die nationale Selbstverständigung in vielfältiger Weise fundierte. So stehen, um ein letztes Beispiel zu nennen, mit dem Philologen Michael Bernays (1834–1897) und dem Literaturhistoriker Ludwig Geiger zwei jüdische Wissenschaftler am Beginn der für den nationalliterarischen Kanonisierungsprozess so eminent wichtigen Goethe-Forschung; dieser als Initiator und langjähriger Herausgeber des Goethe-Jahrbuchs, jener als Verfasser einer epochemachenden Goethe-Studie98 aus dem Jahr 1866.99 Die Herausbildung und Beförderung einer deutschen Kulturtradition wäre ohne das literarische und kulturpolitische Engagement jüdischer Autorinnen und Autoren kaum denkbar gewesen. Mit einigem Recht könnte man sagen, dass die Germanophilie jene deutsche Kultur erst erfand, als sie sich ihr zuwendete.

Jörg Marquardt

Anhang

Quellen

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Anmerkungen

  1. ^ Im Unterschied zur pejorativ wertenden "Germanomanie" ist der Begriff "Germanophilie", soweit ich es überblicke, durch das 19. Jahrhundert hindurch wenig gebräuchlich und taucht in den einschlägigen Wörterbüchern und Enzyklopädien wie dem Grimmschen Wörterbuch, dem Brockhaus oder Pierers Universallexikon nicht auf. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die pejorative Bestimmung von "Deutschthum" im Grimmschen Wörterbuch von 1860: "Deutschthum n. [nomen] für deutschheit ist erst in der letzten zeit aufgekommen, doch wird es meist ironisch gebraucht: man will damit übertriebene anhänglichkeit an deutsches wesen bezeichnen, so auch Deutschthümelei, f. Deutschthümler, Deutschthümlich und Deutschthümlichkeit" (Grimm, Wörterbuch 1860, vol. 2, Sp. 1053).
  2. ^ Die universelle Semantik des Fremden ist Gegenstand einer aktuellen Untersuchung von Rudolf Stichweh (Stichweh, Der Fremde 2010).
  3. ^ Siehe Guthke, Erfindung 2005; Osterhammel, Globalisierung 2003; Krajewski, Restlosigkeit 2006.
  4. ^ Siehe Todorov, Nous et les autres 1989; Greenblatt, Besitztümer 1994; Taussig, Mimesis 1997.
  5. ^ Zum sogenannten "Spacing"/"Othering" und zur Projizierung kolonialer Erfahrungsmuster auf die Wahrnehmung des städtischen Proletariats siehe u.a. Maderthaner / Musner, Anarchie 1999; Kopp, Großstadt 2004.
  6. ^ Schulte, Einleitung 1993, S. 6.
  7. ^ Baecker, Kultur 2003, S. 65f.
  8. ^ Mendes-Flohr, Identität 2004, S. 24; Katz, Tradition 2000, S. 214–225.
  9. ^ Foucault, Aufklärung 2005, S. 688.
  10. ^ Heine, Werke 1993, vol. 10, S. 313.
  11. ^ Park, Migration 1928, S. 892.
  12. ^ Auslöser dieser Schrift war ein antisemitisches Pamphlet des Historikers Friedrich Rühs (1781–1820), in dem er geschrieben hatte: "Die Gerechtigkeit der Christen gegen sich selbst erfordert, den Gliedern eines fremden Volks, das sich unter ihnen als solches behaupten will, die Rechte zu versagen, deren Sie zum Theil nur durch das Christenthum genießen; sie würden offenbar einerseits alle eigenthümlichen Vortheile, die sie als Juden haben können, benutzen und überall auch die Rechte der Christen und Deutschen geltend machen: und bei der unausbleiblichen Collision der Pflichten würden sie bald als Juden, bald als Theilnehmer christlicher und deutscher Rechte eine Entschuldigung haben" (Rühs, Ansprüche 1815, S. 160).
  13. ^ Ascher, Germanomanie 1815, S. 11 u. S. 7.
  14. ^ Ein Beleg hierfür ist ein an späterer Stelle derselben Schrift geäußerter, an die Hegel'sche Dialektik angelehnter visionärer Gedanke: "[W]ie beseligend, wie labend ist nicht der Gedanke, der in der Gegenwart der Nationen die Idee der Menschheit ahnt und der das Ziel des Haders und der Entzweiung der Völker in der Idee aufgelöst und beseitigt findet: daß in der Existenz der Völker die Idee der Menschheit sich dereinst ganz abspiegeln wird!" (Ascher, Germanomanie 1815, S. 44).
  15. ^ Ascher, Germanomanie 1815, S. 13f.
  16. ^ Vgl. Polenz, Staatsnation 1998, S. 64f.
  17. ^ Ein deutliches Zeichen für die gesellschaftliche Verankerung des Antisemitismus waren die Hep-Hep-Unruhen des Jahres 1819, vier Jahre nach Erscheinen von Aschers Germanomanie. In vielen Städten des deutschen Bundes kam es zu nationalistisch und rassistisch motivierten gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden. Karl August Varnhagen von Ense (1785–1858) hat die menetekelhaften Ereignisse wie folgt beschrieben: "Schnell wie das Gerücht von diesen Ausschweifungen verbreiteten sie selber sich gleich einem fliegenden Feuer, gleich einem ansteckenden Sankt Veitstanze. In allen Städten Deutschlands, großen und kleinen, in den mit Truppen und Polizeiwesen bestversehenen wie in den wenigstüberwachten, in den Königlichen Residenzen und am Sitze des Bundestages wie in den freien Hansestädten, wiederholten sich dieselben Auftritte, in übereinstimmender Weise, wie von einer und derselben unsichtbaren Hand geleitet. Hep, Hep! erscholl es durch ganz Deutschland, von einem Ende zum andern, als Hetzruf zum Angriff, als Mahnung zur Flucht oder Verteidigung für die Geächteten. Als wäre sie eine Fahne der Deutschheit, erhob die Judenverfolgung sich auch in solchen Städten, die zu Deutschland nicht gehörten und nicht gehören wollten, aber doch das in ihnen liegende Deutsche hierin – leider im Schlechten – nicht verleugnen konnten, in Straßburg und Amsterdam, in Kopenhagen und Riga wurde Hep, Hep! gerufen." (Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten 1987, S. 541f.) Siehe auch den Brief Rahel Varnhagens an Ludwig Robert vom 29. August 1819 (Varnhagen, Brief 1983).
  18. ^ Ascher, Germanomanie 1815, S. 19f.
  19. ^ Adelung, Wörterbuch 1808, Sp. 439.
  20. ^ Vgl. Polenz, Staatsnation 1998, S. 63.
  21. ^ Zur Deutung von Nation als einer "vorgestellten Gemeinschaft", als ein Produkt der Moderne, siehe das bekannte Buch von Benedict Anderson (Anderson, Communities 1983).
  22. ^ Ascher, Germanomanie 1815, S. 11.
  23. ^ Zum Organizismus nationalstaatlicher Diskurse siehe Al-Azmeh, Geschichte 1998, S. 78–82.
  24. ^ Vgl. Mendes-Flohr, Identität 2004, S. 19.
  25. ^ Harrison, Wälder 1992, S. 210.
  26. ^ Vgl. Harrison, Wälder 1992, S. 198. Hierzu auch Herder: "Mittelst der Sprache wird eine Nation erzogen und gebildet; mittelst der Sprache wird sie Ordnung- und Ehrliebend, folgsam, gesittet, umgänglich, berühmt, fleißig und mächtig" (Herder, Briefe 1991).
  27. ^ Harrison, Wälder 1992, S. 198.
  28. ^ Dumont, L'idéologie 1991.
  29. ^ Vgl. Mendes-Flohr, Identität 2004, S. 18f.
  30. ^ Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1987, S. 506, 512, 520ff.
  31. ^ Vgl. Mendes-Flohr, Identität 2004, S. 23–30. Außerdem: Volkov, Verbürgerlichung 1995; Lässig, Wege 2004.
  32. ^ Mosse, Emancipation 1985, S. 10.
  33. ^ Rahden, Juden 2000, S. 22.
  34. ^ Vgl. Kremer, Juden 2007, S. 3. Kremer verweist an dieser Stelle auf psychoanalytische, historische und sprachwissenschaftliche Arbeiten, die sich der Ähnlichkeitsthese verschreiben: Löwenstein, Christians 1951; Uthmann Doppelgänger 1976; Schramm, Juden 1981; Bering, Juden 1999.
  35. ^ Heine, Geständnisse 1982, S. 187.
  36. ^ Mayer, Heine 1971, S. XI.
  37. ^ Mayer, Heine 1971, S. XXI.
  38. ^ Mayer, Heine 1971, S. XXI.
  39. ^ Vgl. Mayer, Heine 1971, S. XXII.
  40. ^ Heine, Shakespeares Mädchen 1993.
  41. ^ Heine, Shakespeares Mädchen 1993, S. 125.
  42. ^ Mayer, Heine 1971, S. XXIIf.
  43. ^ Mayer, Heine 1971, S. XXIIIf.
  44. ^ Heine, Börne 1978, S. 110.
  45. ^ Heine, Shakespeares Mädchen 1993, S. 125.
  46. ^ Heine, Brief Nr. 984 1972, S. 91.
  47. ^ Heine, Brief Nr. 984 1972, S. 92.
  48. ^ Paul, Vorschule 1995, S. 173.
  49. ^ Heine, Brief Nr. 193 1975.
  50. ^ Vgl. Osterhammel, Verwandlung 2009, S. 183ff.
  51. ^ Vgl. Foucault, Ordnung 1971, S. 46–56.
  52. ^ Vgl. Rahden, Juden 2000, S. 20. Till van Rahden verweist zu dieser Thematik auf folgende Publikationen: Volkov, Erfindung 1991; Kaplan, Making 1991; Lowenstein, Residential Concentration 1992.
  53. ^ Rahden, Juden 2000, S. 21.
  54. ^ Zum Berliner Antisemitismusstreit siehe Krieger, Antisemitismusstreit 2003.
  55. ^ Lazarus, Was heißt national? 1887, S. 90f.
  56. ^ Lazarus, Was heißt national?, S. 66f.
  57. ^ Die Arbeiten des belgischen Mathematikers und Bevölkerungsstatistikers Adolphe Quételet waren wegweisend für die Entwicklung von Statistik und Sozialforschung. Ausgehend vom Gedanken der Messbarkeit des Sozialen extrapolierte Quételet die Vorstellung von einem mittleren Menschen (frz. homme moyen) aus einer großen Zahl von Beobachtungen. Um diesen Idealtyp gruppieren sich alle anderen Menschen mit mehr oder weniger großen normalverteilten Abweichungen. Quételet vertrat den Anspruch einer prinzipiellen Übertragbarkeit seiner anthropometrischen Verfahren auf das Feld der Sozialstatistik und übte so einen erheblichen Einfluss auf die Diskurse der politischen Öffentlichkeit aus. Vgl. Weischer, Sozialforschung 2007, S. 28f., und Jungen, Schnabel 2005, S. 219f.
  58. ^ Man darf nicht vergessen, dass dem jüdischen Assimilationswunsch ein Assimilationsversprechen, das sich bald zur Assimilationsforderung verschärfte, von Seiten nichtjüdischer Politiker und Intellektueller vorangegangen war.
  59. ^ Kilcher, Chimäre 2010.
  60. ^ Vgl. Gotzmann, Eigenheit 2002, S. 278f.
  61. ^ Kilcher, Theater 2008, S. 216.
  62. ^ Kilcher, Theater 2008, S. 216.
  63. ^ Diese Form der Legitimation von Assimilation findet sich etwa beim jungen Heinrich Graetz (1817–1891), der 1846 in seiner Geschichtstheorie das "Allerweltsleben" des Judentums hervorhob und im Talmudismus einen moderaten wie moderierten Rezeptionsvorgang der Welt erkannte: "Der Talmudismus bildet demnach das wirksamste Gegengewicht zu dem notwendig gewordenen Allerweltsleben des Judentums. Das eine ist das schaffende, das andere das erhaltende Prinzip; das eine hat assimilierende, das andere ausscheidende Funktionen. Wenn von den Volksgeistern, aus dem Weltleben, neue Säfte zugeführt werden, die es in sein Blut verwandeln soll, so weist der Talmudismus die dem Wesen des Judentums schädlichen Bestandteile zurück, scheidet mit seinem instinktiven Repulsionsvermögen die auflösenden Elemente aus." (Graetz, Konstruktion 1936, S. 58).
  64. ^ Bauman, Moderne 1992, S. 129.
  65. ^ Nietzsche, Nachlass 1980, S. 315.
  66. ^ Nietzsche, Wissenschaft 1980, S. 609.
  67. ^ Vgl. Haam, Nietzscheanismus 1902.
  68. ^ Hess, Rom 1935, S. 25.
  69. ^ Siehe Moleschott, Skizzenbuch 1861, S. 257.
  70. ^ Hess, Rom 1935, S. 25 (Hervorh. im Original).
  71. ^ Rathenau, Israel 1993, S. 34.
  72. ^ Rathenau, Israel 1993, S. 32f. (Hervorh. im Original).
  73. ^ Rathenau, Israel 1993, S. 33.
  74. ^ Schulte, Einleitung 1993, S. 21.
  75. ^ Hirsch, Worte 1859/1860.
  76. ^ Hirsch, Worte 1859/1860, S. 198.
  77. ^ Hirsch, Worte 1859/1860, S. 196.
  78. ^ In seiner Predigt 12 vom Vorabend des Neumonds Shevat 5576 (30.01.1816) äußert sich Landau diesbezüglich mit den Worten: "Wer nicht Deutsch schreiben und lesen kann, gilt nichts und wird in keinem Beruf erfolgreich arbeiten, und so hat jedermann die Pflicht(!), seinem Sohn die Sprache und die Sitte des Landes, in dem er wohnt, zu lehren, und die Väter sollen darauf achten, daß ihre Söhne die Tora und die Landessitten effektiv lernen, so daß der Heranwachsende sich an das eine halten kann, das andere aber nicht loszulassen braucht." Zitiert nach Eliav, Erziehung 2001, S. 200.
  79. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 178.
  80. ^ Eliav, Erziehung 2001, S. 292.
  81. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 103.
  82. ^ Hirsch, Beziehungen 1904, S. 456.
  83. ^ Vgl. Eliav, Erziehung 2001, S. 294.
  84. ^ Vgl. Eliav, Erziehung 2001, S. 295.
  85. ^ Vgl. Meyer, Deutsch werden 1996, S. 209.
  86. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 48.
  87. ^ Zu den verschiedenen "Parteien" gehörten die Alt-, Neu-, Gemeinde- und Austrittsorthodoxen, die Assimilationisten, Sozialisten und Internationalisten sowie die zionistischen und nichtzionistischen Nationaljuden.
  88. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 12 u. S. 50.
  89. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 15 u. S. 49f.
  90. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 49 u. S. 102.
  91. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 142.
  92. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 142.
  93. ^ Vgl. Morgenstern, Frankfurt 1995, S. 274f.
  94. ^ Landau, Knessia Gdola 1923, S. 342f.
  95. ^ Landau, Knessia Gdola 1923, S. 342.
  96. ^ Landau, Knessia Gdola 1923, S. 342.
  97. ^ Bauman, Moderne 1992, S. 55.
  98. ^ Bernays, Kritik 1866.
  99. ^ Vgl. Barner, Rahel Varnhagen 1992, S. 9 u. S. 27–31.