Exul Christi: Konfessionsmigration und ihre theologische Deutung im strengen Luthertum zwischen 1548 und 1618@Exul Christi@(VE)@freigabe
Originalbeitrag
Einleitung
Konfessionsmigration im Calvinismus wird schon seit einiger Zeit eingehend erforscht.1 Der lutherischen Konfessionsmigration hat sich die Forschung erst in jüngerer Zeit zugewandt.2 Lutherische Konfessionsmigranten gibt es nicht erst seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555), der für Altgläubige und Confessio-Augustana-Verwandte neben dem ius reformandi der Landesherren auch ein beneficium emigrandi anderskonfessioneller Untertanen vorsah.3 Einzelbeispiele von Lutheranern, die freiwillig oder gezwungenermaßen ihre Heimat und Ämter verließen, um an ihrer Bekenntnisoption festhalten zu können, lassen sich schon für die 1530er Jahren nennen.
Zwischen 1548 und 1555 kamen Konfessionsmigrationen lutherischer Exules meist durch Umsetzungen des Augsburger Interims von 1548 oder damit im Zusammenhang stehender Bestimmungen zustande.4 Nach 1555 sind die Exile häufiger Resultat von innerprotestantischen, oft sogar innerlutherischen Konflikten im Kontext dogmatischer Kontroversen5 oder von Konflikten um Kompetenzen weltlicher und kirchlicher Entscheidungsträger und um (kirchen-)politische Maßnahmen beider Seiten.6 Konfessionelle Vereinheitlichungsbestrebungen der Territorialherren führten zum Austausch von Eliten, in deren Verlauf ein großer Teil der Pfarrerschaft eines Gebietes abgesetzt bzw. (wieder)eingesetzt wurde.7 Seit dem letzten Drittel des Jahrhunderts brachten auch Rekatholisierungsmaßnahmen, z.B. in den habsburgischen Erblanden und in Bayern, Exilierungswellen mit sich.8
Betroffen waren meist nicht ganze Gemeinden, sondern die Exponenten konfessioneller oder dogmatischer Alternativoptionen, also in der Regel Angehörige theologisch gebildeter Funktionseliten, deren Position sich in einem Konflikt nicht durchsetzen ließ. Exile von lutherischen Pastoren, Professoren, Lehrern und Predigern, aber auch von Angehörigen anderer Berufsstände, häuften sich im Kontext dogmatischer und kirchenpolitischer Kontroversen.
Im sogenannten strengen Luthertum, also unter denjenigen lutherischen Theologen, die nicht bereit waren, andere dogmatische Lehrautoritäten als die Martin Luthers (1483–1546) gelten zu lassen, bildete sich eine besondere Exilskultur heraus. Die Erfahrung von Amtsverlust und Vertreibung wurde in besonderer Weise theologisch reflektiert und vor allem in Druckschriften öffentlich als Ausweis für die Wahrheit der eigenen Lehroption kultiviert. Markantestes äußeres Zeichen für diese Kultivierung ist die Selbstbezeichnung der Exilanten als Exul oder Exul Christi. Dieses Merkmal konstituiert die Gruppe der Exules. Bereits 1550 verwendete es Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) in der Art eines Titels. Möglicherweise ist diese Sitte im Kreis der Magdeburger Exules entstanden.9 Ebenfalls zu Beginn des Jahres 1550 erscheinen das Stichwort Exul Christi und Teile der damit verknüpften theologischen Selbstverortung aber auch bei Joachim Mörlin (1514–1571) in Schleusingen.10
Zahlenmäßig sind sowohl die lutherischen Konfessionsmigranten insgesamt als auch die Exules im Besonderen im Betrachtungszeitraum nicht sehr bedeutsam.11 Die Gruppe der Exules ist nicht geschlossen im Sinne einer Gemeinde- oder Parteibildung, sondern sie zerfällt in unterschiedlich engmaschige Netzwerke, die in der Regel Teile größerer Personenkreise waren und nicht exklusiv aus Exules bestanden. Ein Kreis von ca. 50 publizistisch sehr aktiven und entsprechend prominenten Exules steht einer größeren und oft nur im Kontext ihrer Migrationen erscheinenden Gruppe gegenüber, deren Mitglieder als Subskribenten verschiedener Schriften und Petitionen oder anhand von Versorgungslisten auffindbar sind.
Migrationsgeschichtlicher Befund
Die Migrationen der Exules begannen in der Regel damit, dass der Betroffene freiwillig oder gezwungenermaßen sein Amt aufgab. Der weitaus häufigste Fall dürfte das selbstgewählte oder zumindest hingenommene Exil als Folge einer Gewissensentscheidung der Betroffenen sein, die auf eine veränderte Situation oder eine Entscheidung ihrer Landesherren zu reagieren hatten. Dennoch sind die Exilierten nicht einseitig als Objekt von Vertreibung oder Zwang anzusehen. Einige streng lutherische Theologen strebten den Konflikt und die Situation des offenen Bekenntnisses regelrecht an.12 Andere griffen weltliche Herrschaftsträger in Flugschriften an, so etwa im Streit des Tileman Heshusius (1527–1588) mit der Stadt Magdeburg.13 Nicht selten führten Amtsenthebungen auch zum Konflikt zwischen weltlichen Entscheidungsträgern, indem z.B. der direkte Ansprechpartner der Betroffenen für, dessen übergeordneter oder neuer Territorialherr aber gegen ein Verbleiben der Theologen in ihren Ämtern votierte. Dies führte zu "freundlichen Entlassungen", z.B. in Form einer Weiterfinanzierung der Exilierten oder gleichzeitigen Wiederbestallungsbemühungen durch die absetzende Instanz.14
Die Wanderungen der lutherischen Exules sind Einzel- und Elitenmigrationen, also Ortswechsel einzelner Funktionsträger, die teils allein, teils mit ihren Familien reisten. Selten und eher spät finden sich Gruppenmigrationen, z.B. von Bürgergruppen.15 Mehr oder minder geschlossene Migrationen ganzer Gemeinden, wie sie im Calvinismus etwa von der Gruppe um Johannes a Lasco (1499–1560) bekannt sind,16 treten fast gar nicht auf, auch wenn sie als Option innerhalb der zeitgenössischen lutherischen Literatur diskutiert wurden.17 Dieser Befund ist nicht damit zu erklären, dass nur Amtsträger sich auch als Träger einer Bekenntnisverpflichtung verstanden hätten. Das Beispiel der Mansfelder Kryptoflacianer weist in eine andere Richtung.18
Die Migrationen der lutherischen Exules waren in der Regel kein einmaliges Geschehen, bei dem die Migranten einen Herkunftsort verließen und sich an einem endgültigen Zielort einzurichten hatten. Weitaus häufiger sind fortgesetzte Exilskarrieren, die sehr viele Stationen haben konnten. Dabei vermischten sich die Migrationsformen, sodass Konfessionsmigration in direktem Anschluss an einen Wechsel der Ausbildungsstätte vorkam, auf die Flucht vor einer Seuche folgte oder auch auf einen Ortswechsel aus familiären Gründen. Die Selbstbezeichnung Exul wurde jedoch nur verwendet, wenn eine Amtsenthebung oder -niederlegung oder ein Landesverweis vorlag, und auch wieder abgelegt, sobald der Exul in eine neue Anstellung kam.
Die Migrationswege der Exules waren meist vergleichsweise kurz, das Reichsgebiet oder dessen angrenzende Nachbarschaft verließen sie selten, was wohl nur teilweise mit der Situation der Confessio-Augustana-Verwandten nach dem Augsburger Religionsfrieden zu erklären ist.19 Die Migrationsbewegungen der Exules konzentrierten sich oft um den Ort der letzten Anstellung, an dem der Konflikt entstanden war, der letztlich zur Exilierung geführt hatte. Entsprechend häufig zielte das Handeln der Migranten mehr auf baldige Rückkehr als auf Neuansiedlung.
Häufig kannten lutherische Exules das Ziel ihrer Migration recht gut, oft wurden sie eingeladen oder auf eine neue Anstellung gerufen. Im Zusammenhang der Konfessionalisierungsbestrebungen der Landesherren in Sachsen gab es aber auch den Typ der zu versorgenden Migrantengruppe. Die 1573 im Zuge einer Visitation von August von Sachsen (1526–1586) abgesetzten Geistlichen und Lehrer sammelten sich zwar in benachbarten Zielgebieten, wurden dort aber mehrheitlich nicht sesshaft. Die verwitwete Herzogin Dorothea Susanna von Sachsen-Weimar (1544–1592) betrieb Spendensammlungen zu ihrer Versorgung und arbeitete auch darauf hin, "ihre" Pfarrerschaft zusammenzuhalten und möglichst wieder nach Sachsen-Weimar zurück zu holen.20
Theologische Selbstverortung
Gemeinsames Kennzeichen der Exules ist vor allem eine bestimmte Selbstverortung und theologische Wirklichkeitsdeutung, zu der ein ausgeprägtes Erwählungsbewusstsein als Glaubenszeuge in casu confessionis gehört und eine stark apokalyptisch gefärbte Gegenwartsdeutung, ebenso die Forderung, lehrmäßige Zugeständnisse an kirchenpolitische Erfordernisse grundsätzlich zu verweigern. Ein theologisches Programm der Exules lässt sich also vor allem für ihre Exilsdeutungen und ihr daraus resultierendes Selbstverständnis formulieren. In anderen theologischen oder kirchenpolitischen Fragen konnten Exules zeitweilig oder dauerhaft in schroffe Opposition zueinander geraten.21
Aus den Kreisen der Exules, ging ein lutherisch-theologisches Exilsverständnis hervor, dessen Grundlagen bereits in der Auseinandersetzung mit dem Interim entstanden.22 Eine explizit auf das eigene oder fremde Exilsschicksal bezogene Theoriebildung setzte in den 1570er Jahren ein. 1575 veröffentlichte Bartholomäus Gernhard (1525–1600) zwei Predigten De exiliis.23 Eine systematische Typologie der Exils- und Verfolgungsschicksale bot Johannes Wigand (1523–1587) mit De persecutione piorum (1580).24 Beide Werke verorten die Exile im Bereich des Zeugnisgebens bzw. der Martyrien.
Mit der Umwertung des juristischen Ausdrucks Exul, der ursprünglich einen des Landes verwiesenen Verbrecher bezeichnete, wurde das Zwangsmoment, das den Konfessionsmigrationen der Lutheraner anhaftete, im Sinne einer Theologie der Kleinen Herde als Verfolgung gedeutet. Hiermit verband sich der Anspruch, sichtbar im Leiden erprobter Glaubenszeuge25 und also ausgewiesener Vertreter der vermeintlich richtigen, heilsrelevanten, evangelischen Lehre zu sein, während die jeweilige Gegenseite als Teil einer böswillig agierenden, durch den Teufel gelenkten Mehrheitskirche gedeutet wird. Ihr wurde die Rolle der Verfolgerin zugewiesen.26
Entsprechend empfanden die Exules die Verpflichtung, im Angesicht einer vermeintlich nahen Endzeit, für deren Beginn das Auftreten Luthers27 als sicheres Zeichen angenommen wurde, offenherzig zu bekennen und auch aktiv jede Abweichung von der als richtig empfundenen Lehr- und Verhaltensnorm anzugreifen. Positiv gewendet verstanden die Exules ihre Exile als Gelegenheit zur persönlichen Bewährung und zum Weitertragen der eigenen Lehroption durch Predigten und andere Äußerungen an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten.
Gegenspieler der Exules bestritten zwar die Richtigkeit von deren jeweiliger dogmatischer Position und auch die Legitimität ihres Anspruches, Märtyrer zu sein, sowie die Angemessenheit ihres oft sehr streitbaren Vorgehens, nicht aber die Vorstellung vom Exul als Märtyrer Christi. Diese Deutung des eigenen Vertreibungsschicksals, die um das Jahr 1550 im Luthertum aufkam, und auch die Selbstbezeichnung Exul Christi, blieben im 17. und 18. Jahrhundert erhalten28 und wurden auch im katholischen Bereich rezipiert.29 Tatsächlich scheint es einen lutherischen Einfluss auf die katholische Exilantenkultur zu geben, wie das Beispiel des Jakob Rabus (1545–1587) zeigt. Der Sohn des evangelischen Predigers Ludwig Rabus (1524–1592) war 1565 vom Luthertum zum Katholizismus konvertiert. Er musste aus seiner Vaterstadt Ulm weichen und bezeichnete sich danach als Exul.30 Auch die apokalyptische Färbung der lutherischen Exultheologie findet sich bei dem Konvertiten.
Anhang
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Anmerkungen
- ^ So z.B. Pettegree, Emden 1992; Schilling, Calvin 2010; aber auch Engrammare, Exil 2009; oder Schäufele, Theologen 2009. Heinz Schilling bestreitet allerdings, dass es im Luthertum des 16. Jahrhunderts im Reichsgebiet überhaupt eine Konfessionsmigration gegeben habe. Als Kriterium nennt er die "Erfahrung des Fremdseins in der Welt, die die Reformierten aufgrund der prägenden Konfessionsmigration mit den sephardischen, aber auch mit den anderen jüdischen Minderheiten teilten, während sie dem kontinentalen, dominant von der Erfahrung einheitlich konfessioneller Landeskirchen geprägten Luthertum weitgehend fehlte". Schilling, Konfessionsmigration 2010, S. 136.
- ^ Vgl. z.B. Dingel, Kultivierung 2008; Osten-Sacken, Exil 2010; sowie Schunka, Konfessionsmigration 2012.
- ^ Vgl. Heckel, Ius reformandi 2002, S. 76f. und 91–94.
- ^ Den Text des Augsburger Interims bietet Mehlhausen, Interim 21996. Für eine Auswahl von Streitschriften zum Interim vgl. Dingel, Reaktionen 2005. Aus der reichen Literatur zum Interim seien als Beispiele genannt Schorn-Schütte, Interim 2005; und Dingel / Wartenberg, Politik 2006.
- ^ Die bekannten nachinterimistischen publizistischen Kontroversen setzten sich unter Beteiligung einzelner Exules und von oft nicht weniger schroff auftretenden Vertretern anderer theologischer Optionen in deren unmittelbarem Wirkungsgebiet fort. Ein Beispiel hierfür ist der Göttinger Bekehrungsstreit, ein Seitenzweig des Synergistischen Streites, in dem darum gerungen wurde, wie die Bekehrung des Menschen vor sich gehe. Vgl. Schmidt, Bekehrungsstreit 1929, S. 70–74.
- ^ Häufig entzündeten sich Konflikte daran, dass bekannte sittliche Verfehlungen Einzelner in Predigten thematisiert worden waren. Eine solche Auseinandersetzung hatte z.B. am 06.05.1556 zur Absetzung des Tilemann Heshusius von seinem Goslarer Predigtamt geführt, vgl. Barton, Erbe 1972, S. 54f. Selbst um seine Amtsenthebung bat Bartholomäus Gernhard im Zuge des sogenannten Rudolstädter Wucherstreits, vgl. Anemüller, Gernhard 1861; sowie Osten-Sacken, Exil 2010, S. 50f. Im sogenannten Wesenbeckschen Taufstreit ging es um den Ausschluss des Jenaer Juristen Matthäus Wesenbeck (1531–1586) vom Patenamt, das er für ein Kind des Poesieprofessors Johann Stigel (1515–1562) hatte übernehmen wollen, das aber von einem Bekenntnis zum Konfutationsbuch abhängig gemacht worden war, vgl. Dingel, Dorothea Susanna 2005, S. 180, Anm. 21.
- ^ So z.B. im ernestinischen und albertinischen Sachsen, vgl. Gehrt, Konfessionspolitik 2011; oder auch im Zuge der Bekenntniswechsel der Pfalz, vgl. Kohnle, Geschichte 2011, S. 66–87.
- ^ Vgl. Schunka, Konfessionsmigration 2012.
- ^ So Dingel, Kultivierung 2008, S. 156f., die den Ursprung der Selbstbezeichnung bis zu Nikolaus von Amsdorf verfolgt hat.
- ^ Diestelmann, Mörlin 2003, S. 116f., zitiert die Schlussworte der letzten Predigt Mörlins in Schleusingen vom 20.07.1550: "Vale, Schleusinga carissima, sanctum hospitiolum exsulum Christi", bietet aber leider keine Quellenangabe. Auch in der Korrespondenz Mörlins und der Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Calenberg-Göttingen (1510–1558) finden sich viele Elemente einer Exul-Theologie, vgl. ebd., S. 85–87, wiederum leider ohne Nachweis. Zur Rolle der Herzogin bei der Entlassung Mörlins aus Göttingen vgl. Mörke, Autonomie 1983, S. 231–241.
- ^ Aus Druckschriften und handschriftlichen Quellen lassen sich einige hundert namentlich bekannte lutherische Konfessionsmigranten erheben, die sich in der Zeit zwischen 1548 und 1618 als Exul (Christi) bezeichnet haben. Heinz Schilling, Konfessionsmigration 2002, S. 73, schätzt selbst die Gesamtzahl der von Konfessionsmigrationen betroffenen Lutheraner unabhängig von der Selbstbezeichnung Exul für eine mehr als doppelt so große Spanne nicht besonders hoch ein. Anders z.B. Schunka, Konfessionsmigration 2012.
- ^ So lehnte Christoph Irenaeus (ca. 1532–1595) es ab, sich vor seiner drohenden Entlassung als Superintendent von Neustadt an der Orla in ein anderes Amt versetzen zu lassen. Im Kontext der Abtretungen mehrerer ernestinischer Ämter an August von Sachsen sollten die betroffenen Gebiete im Jahr 1571 visitiert werden. Irenaeus bestand darauf, persönlich zu bekennen, vor allem begründete er sein Bleiben aber mit seiner Berufung in sein Amt und der damit verbundenen Fürsorge für seine Gemeinde, die er nun dem Einfluss des Teufels ausgesetzt sah und die er nicht verlassen wollte. Zu diesen Verhandlungen vgl. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc. 10329/5, Bl. 193r–215v. Wigand, De persecutione 1580, S. 98–100, kritisiert dieses Eskalieren des Widerstandes gegen die eigene Absetzung als unangemessenes, hochmütiges Verhalten, das durch sein zweifelhaftes Beispiel auch der seelsorgerlichen Verantwortung der Betreffenden zuwider laufe.
- ^ Vgl. Krüger, Allmacht 2004, S. 121f.
- ^ So z.B. durch den Rat der Stadt Regensburg, vgl. Kaufmann, Ende 2003, S. 232. Häufig waren unterschiedliche Ansichten über- bzw. untergeordneter weltlicher Herrschaftsträger die Grundlage für eine solche Konstellation, so bei der Absetzung des Joachim Mörlin in Göttingen, vgl. Mörke, Autonomie 1983, S. 232f.; Meyer, Entlassung 1929, S. 59f., aber auch im Falle des Streites der Dorothea von Dänemark und Norwegen (1520–1580), Gemahlin des 1556 verstorbenen Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz (1482–1556), mit Kurfürst Friedrich III. (1515–1576) um die konfessionelle Eigenart ihres Wittumsgutes, vgl. Hasenclever, Geschichte 1931, oder im Falle der vergleichbaren Auseinandersetzungen der Herzogin Dorothea Susanna, der Witwe des 1573 verstorbenen Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar (1530–1573), mit Kurfürst August von Sachsen, vgl. Dingel, Dorothea Susanna 2005, S. 184–191.
- ^ Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts traten auch größere Gruppen lutherischer Konfessionsmigranten auf, die sich nicht hauptsächlich aus Mitgliedern theologischer Funktionseliten zusammensetzten. Im Zuge des Augsburger Kalenderstreits (1583) und des Streits um das Berufungsrecht wurden z.B. nicht nur die evangelischen Prediger, sondern auch 3.000 Bürger aus der Stadt ausgewiesen, so ein mündlicher Hinweis von Dr. Daniel Gehrt. Die meisten Augsburger Exilanten fanden Aufnahme in Ulm und bezeichneten sich nun als Exules. Die Akten zu diesem Vorgang besitzt die Forschungsbibliothek Gotha, Chartularium A 92 (ca. 700 Bll.). Zum Augsburger Kalenderstreit s. auch Kaltenbrunner, Kalenderstreit 1880; Stieve, Kalenderstreit 1880; und Leeb, Streit 2003, S. 231f.
- ^ Vgl. die anschauliche Schilderung des Migrationsweges des Johannes a Lasco und seiner Flüchtlingsgemeinde von London nach Emden bei Jürgens, Johannes a Lasco 1999, S. 35–38; sowie Smid, Reisen 2000, S. 194.
- ^ Noch 1580 verhandelte Johannes Wigand in seinem Werk über die Verfolgungen die Frage, ob eine Gemeinde ihrem Prediger ins Exil folgen solle, wenn dieser durch den Magistrat abgesetzt worden sei, vgl. Wigand, De persecutione 1580, S. 99f. Faktisch wurde dies kaum praktiziert.
- ^ Vgl. Christman, Efforts 2005; sowie Christman, Controversy 2012, S. 134–136 und S. 180–202.
- ^ Vgl. Heckel, Ius reformandi 2002, S. 91–93.
- ^ Vgl. Gehrt, Konfessionspolitik 2011, S. 481; sowie Osten-Sacken, Dorothea Susanna [im Erscheinen].
- ^ So wurde z.B. Tileman Heshusius nach einer christologischen Kontroverse, die vor allem zwischen ihm und Johannes Wigand ausgetragen wurde, am 27.04.1577 als Bischof von Samland abgesetzt und musste Preußen verlassen, vgl. Krüger, Allmacht 2004, S. 184–193. Auch in den innerlutherischen Kontroversen um die Konkordienformel votierten die Exules nicht einhellig. Viele prominente Exules unterzeichneten die Konkordienformel, andere, vor allem die Anhänger der flacianischen Erbsündenlehre, protestierten dagegen, konnten jedoch für ihre spezielle Option nicht mehr auf viel Unterstützung im Reichsgebiet hoffen. Vgl. Dingel, Concordia 1996, S. 467–541.
- ^ Dingel, Reaktionen 2005, S. 307–310. Zum Interim als Beginn einer Neubelebung der Rezeption von Luthers apokalyptischen Gedanken vor allem bei den lutherischen Bildungseliten Leppin, Apokalyptik 2008, S. 339–344.
- ^ Bartholomäus Gernhards Schrift entstand anlässlich von Spendensammlungen, die die verwitwete Herzogin Dorothea Susanna von Sachsen-Weimar und andere Gönner für die abgesetzten ernestinischen Geistlichen hatten durchführen lassen, vgl. Osten-Sacken, Exil 2010, S. 50.
- ^ Johannes Wigands umfangreiches lateinisches Werk bietet eine Typologie der Verfolgungssituationen im Sinne einer Unterscheidungslehre, die auch Verhaltensrichtlinien enthält und radikale Optionen ausscheidet, ohne den eigenen Exul-Anspruch aufzugeben.
- ^ Zum Ideal der Constantia vgl. Schunka, Constantia 2007. Dieses Ideal wurde bis hin zum absichtlichen Suchen von Bekenntnissituationen im Zusammenhang mit einem stark apokalyptisch gefärbten Gegenwartsbewusstsein bereits in den publizistischen Kampagnen aus Magdeburg vertreten, in denen die Stadt als letzte Bastion gegen das Interim stilisiert wurde, dem zu widerstehen ein Bekenntnisakt zu Christus sei. Kaufmann, Ende 2003, S. 98f., deutet die Zunahme der Constantia- und Trostliteratur vor allem als Antwort auf die immer bedrückender werdende Belagerung der Stadt. Dieser Aspekt ist nicht zu leugnen, erfasst aber nicht die identitätsbildende Kraft des Bekennerideals, das weit über den Zusammenhang der Magdeburger Situation hinaus wirkte, auch nicht notwendig dort entstanden, wohl aber dort hervorgetreten ist, und das für die in einem öffentlichen literarischen Raum konstruierte Selbstbestimmung der Exules als rückhaltlose Bekenner noch über mehrere Generationen hinweg – allerdings unter den jeweils gewandelten Bedingungen – spürbar blieb.
- ^ Vgl. Osten-Sacken, Herde 2012, S. 183–186.
- ^ Vgl. Kaufmann, Ende 2003, S. 430–435. Zur teilweise schon bei ihm selbst angelegten Stilisierung Luthers zu einem endzeitlichen Propheten und neuen Elia vgl. Kolb, Umgestaltung 1992, S. 202–210; sowie Leppin, Apokalyptik 2008, S. 341f. Dingel, Ablehnung 1994.
- ^ Vgl. Schunka, Konfessionsmigration 2012.
- ^ Das Motiv des Exul als Märtyrer für die wahre Lehre Christi erscheint im katholischen Bereich z.B. im jesuitischen Schultheater, so etwa in einem Schauspiel namens Justus Ucondonus Princeps Japon Pro Fide Christi Exul das 1740 von Schülern des Jesuiten-Gymnasiums in Mindelheim aufgeführt und im selben Jahre auch publiziert wurde, Ucondonus, Justus 1740. Zur Situation katholischer Konfessionsmigranten vgl. Braun, katholische Konfessionsmigration 2010, bes. S. 104–112.
- ^ Kolb, Saints 1987, S. 6f.; Rabus, Dubitantius 1569, Titelblatt.