Die gestaltende Wirkung von Abendmahlslehre und Abendmahlspraxis im 16. Jahrhundert@Abendmahlsräume@(BE)@freigabe

erstellt von EGO-Redaktion last modified 2020-05-25T10:16:15+01:00

Originalbeitrag

Die Abendmahlslehre und -praxis verwandelte im 16. Jahrhundert die Kirchenräume in ihrer Ausstattung und Nutzung: Durch die Feier des Abendmahls nach lutherischem, reformiertem oder römisch-katholischem Ritus wurden sie zu Konfessionskirchen. Spätestens seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde in der Abendmahlsfeier mit der kirchlichen die konfessionspolitische Gemeinschaft eines Territoriums sichtbar. In der Raumausstattung sowie im Zeremoniell der Abendmahlsfeier kennzeichnete der Inhaber des Kirchenregimentes den Anspruch auf Lehr- und Bekenntniseinheit innerhalb seines Herrschaftsbereiches. Mit dem vorliegenden Beitrag wird der Versuch unternommen, die Funktion und Ausgestaltung der Kirchen zu konfessionellen Abendmahlsräumen im 16. Jahrhundert als epochenspezifisches Identitätsmerkmal dieser Räume zu bestimmen. Modellhaft soll dabei ein innovativer methodischer Ansatz vorgeführt werden, der in interdisziplinärer Herangehensweise und durch die Nutzung von Bild- und Schriftmedien sowie von architektonischen Überresten die Rezeptionsbedingungen, die intermedialen Bezüge sowie die Transformationsprozesse zwischen den unterschiedlichen Medien in den Blick nimmt.

Einführung

Das Abendmahl war eines der zentralen Themen der Reformation. Theologische Abhandlungen dazu bilden quantitativ wie qualitativ einen unüberschaubar großen und reichhaltigen Hauptbestand reformatorischen Schrifttums. Die Auseinandersetzungen um die Abendmahlslehre hatten eine Breitenwirkung, die weit über den akademischen Rahmen theologischer Dispute hinausreichte. Um die Abendmahlslehre stritten nicht weltferne Theologen, das Thema hatte vielmehr hohe lebensweltliche Bedeutung und interessierte Gelehrte und Laien, Kirchengemeinden und Stadträte, Landstände und Fürstenhöfe, den Kaiser und die Reichstage. Denn das Abendmahl betraf die Grundordnung kirchlichen Lebens und damit die Grundordnung von Kirche und Gesellschaft sowie die Grundlage jeder politischen Ordnung im Mittelalter und der Frühen Neuzeit überhaupt. In der Forschung fand die lebensweltliche Dimension des Abendmahls jenseits der "verordneten Theologie",1 der liturgischen Praxis und seiner politisch-sozialen, kulturellen und frömmigkeitspraktischen Bedeutung dennoch verhältnismäßig wenig Beachtung.2

Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die lebensweltliche Wirkung der Abendmahlslehre und -praxis in ihrem Niederschlag in der Sachkultur aufzuspüren, wobei die Kirchenräume im Europa des 16. Jahrhunderts in ihrer Ausstattung, Nutzung und Bedeutung im Zentrum der Untersuchung stehen. Die Veränderungen, denen sie im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung unterlagen, werden als Niederschlag der diese Epoche maßgeblich beherrschenden Auseinandersetzungen um das Abendmahl gedeutet. Da sich der Beitrag auf weitgehend unbearbeitetem Feld bewegt, kann hierbei nur exemplarisch vorgegangen werden. Die Funktion und Ausgestaltung der Kirchen als konfessionelle Abendmahlsräume soll als epochenspezifisches Identitätsmerkmal dieser Räume bestimmt werden.3

Nur durch die Einbeziehung ganz unterschiedlicher Medien in die Untersuchung, wie theologischer Schriften, Verordnungen und Berichte einerseits und Bildern von Kirchenräumen und liturgischen Vollzügen sowie Überresten von Kirchenausstattungen andererseits, ist eine Annäherung an das Phänomen der verändernden Wirkung der reformatorischen Abendmahlslehre möglich. Im Blick stehen dabei die Bedingungen dieses Transfers, die intermedialen Bezüge sowie die Transformationsprozesse zwischen den Medien. Eine interdisziplinäre Herangehensweise ist unabdingbar.4 Das Abendmahl ist als Modellfall besonders geeignet, weil es ein symbolischer Akt von hoher Bildlichkeit ist, dessen Wirkung durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Medien bestimmt wird. Die Bedeutung des Mediums des rituellen und auch des gemalten Bildes liegt dabei nicht nur in der Illustration und Dokumentation dessen, was in anderen Medien, etwa in theologischen Schriften, vorgegeben wird, sondern geht weit darüber hinaus: Die Bilder entwickeln eine eigene "Macht", in ihnen wird das Abendmahl erst zur erfahrbaren Wirklichkeit.5

Konfessionskirchen als Abendmahlskirchen

Die Veränderung des Kirchenraums im 16. Jahrhundert erfolgte aufgrund der konfessionellen Differenzierung, die insbesondere im Abendmahlsritus sichtbar wurde. Sie führte zur Ausbildung eines grundsätzlich neuartigen Kirchentyps, zur Konfessionskirche.

Während das ausgehende Mittelalter eine Zeit des Kirchenbaubooms war, in der sich das Erscheinungsbild der europäischen Städte durch die unzähligen, zum Teil riesigen gotischen Kirchenneubauten grundlegend wandelte, verlagerte sich der Wandlungsprozess im Verlauf des 16. Jahrhunderts auf die Umgestaltung und Erneuerung der kirchlichen Innenräume. Kirchenneubauten wurden zur Ausnahme.6 Lediglich in Frankreich und den Spanischen Niederlanden entstanden schon früh reformatorische Kirchenneubauten, da die Protestanten dieser Länder vorhandene Kirchenbauten nicht nutzen durften und stattdessen, wo es ihnen gestattet wurde, Kirchenneubauten errichteten, die sie, da ihnen die Bezeichnung église untersagt war, temples nannten.7 Überall sonst wurden alte Kirchen weitergenutzt, so dass der konfessionelle Wandel nicht in den Stadtsilhouetten ablesbar wurde. Dennoch war er im Innern der Kirchen von kaum zu überschätzender Wirkung, denn er verband sich mit einem grundlegenden Wandel der Nutzung und Bedeutung des Kirchenraums insgesamt: Im Prozess der Ausbildung der drei miteinander konkurrierenden Konfessionskirchen, der lutherischen, der reformierten und der römisch-katholischen, erfuhren auch die Kirchenräume eine Konfessionalisierung. Sie wurden zu Gottesdiensträumen der Konfessionskirchen und sollten als solche erkennbar sein. Bekenntniseinheit nach innen und konfessionelle Abgrenzung nach außen wurden zu bestimmenden Elementen der Raumgestaltung.

Im Zuge des Prozesses des Ausstattungswandels hatte die Abendmahlslehre und -praxis eine raumgestaltende Leitfunktion. Nicht die reformatorische Predigt, sondern das Abendmahl veränderte den Kirchenraum: Die reformatorische Predigt ging zwar in Wittenberg, wie an den meisten anderen Orten, der Einführung des reformatorischen Abendmahls zeitlich voraus und war für die Entstehung und Bewahrung konfessioneller Identität von überragender Bedeutung; sie veränderte den Kirchenraum jedoch nicht. Die konfessionelle Prägung einer Predigt wurde nicht sichtbar. Kanzeln blieben über die Zäsur der Reformation hinweg die traditionellen Predigtstühle; sie konnten zwar konfessionsspezifische Bildprogramme erhalten, insgesamt aber blieb die Kontinuität in der Gestaltung des Predigtortes jedoch stärker als die konfessionelle Differenzierung.8 In der Abendmahlsfeier wurde hingegen die konfessionelle Identität der Gemeinde sichtbar, und darüber hinaus erforderte die Praxis der lutherischen wie der reformierten Abendmahlsfeier und, nach dem Tridentinischen Konzil, auch die der katholischen Messfeier grundlegende Veränderungen der Kirchenausstattung. Insofern sind die Konfessionskirchen des 16. Jahrhunderts vor allem Abendmahlskirchen. Ihre Neuausstattung war durch diese Funktion geprägt, was im Folgenden in der exemplarischen Vorstellung einzelner überlieferter Kirchenausstattungen des 16. Jahrhunderts in drei Schritten beschrieben werden soll: Die Betrachtung führt vom Kleinen zum Großen, vom Altar, bzw. Abendmahlstisch (1), über den kirchlichen Teilraum, in dem die Abendmahlsfeier stattfand, z.B. den Abendmahlschor (2), zur Abendmahlskirche, das heißt zum Gesamtraum und seiner auf das Abendmahl bezogenen Neuausstattung (3). Die Auswahl der Beispiele ist nicht repräsentativ für ganz Europa, sondern konzentriert sich auf die Gebiete, in denen der Wandel seinen Ausgang nahm, auf das reformatorische Kernland. Das ist insofern legitim, als hier die Muster ausgebildet wurden, die – insbesondere durch die Strahlkraft Wittenbergs, des kursächsischen Hofes und der Cranachwerkstatt – in weiten Teilen Europas rezipiert wurden.9 Die Wirkung der Reformation auf die römisch-katholische Abendmahlslehre und -praxis muss künftigen Forschungen, insbesondere zu den Konfessionskirchen des 17. Jahrhunderts, vorbehalten bleiben.

Abendmahlsaltäre und Abendmahlstische

Am deutlichsten sichtbar wurde der reformatorische Wandel der Kirchenausstattung am Altar und seiner Ausstattung mit liturgischen Gerätschaften und Retabeln (Altaraufsätzen).

Die radikalste Lösung fanden die Reformierten: Sie schafften die Altäre ab und ersetzten den Hauptaltar durch einen Abendmahlstisch. Zeitlich am Anfang des Wandlungsprozesses stand hier die geordnete Ausräumung der Kirchen in Zürich 1524.10 Das ganze weitere Jahrhundert und noch darüber hinaus blieb die Ersetzung der Altäre durch Abendmahlstische europaweit ein gemeinsames Kennzeichen reformierter Kirchen unterschiedlichster Ausrichtung, durch die auch gerade die Abgrenzung zu den Lutheranern deutlich markiert wurde.11 Die nachfolgenden Kupferstiche zeigen diesen Ausstattungswandel exemplarisch: Es handelt sich nicht um einen konkreten Kirchenraum und seine Veränderung, sondern um einen idealtypisch stilisierten. Dennoch oder gerade deshalb ist die Gegenüberstellung der beiden Stiche für die Frage danach, in welcher Weise sich Kirchenräume im Jahrhundert der Reformation änderten, aufschlussreich, denn an ihnen lässt sich die diesem Artikel zugrunde liegende These der Leitfunktion der Abendmahlslehre- und praxis in der Ausgestaltung der Kirchenräume im 16. Jahrhundert in idealtypischer Verallgemeinerung entfalten.12

Die hierStich Abendmahl katholisch[Stich Abendmahl calvinistisch] zu sehenden Kirchenräume sind nahezu identisch. Die Unterschiede markieren die konfessionelle Zuordnung und betreffen vor allem den Mess- bzw. Abendmahlsbereich: In der 1643 entstandenen, die katholische Vorlage von 1571 nur geringfügig variierenden Kopie (rechts) wurden im Chorbereich der Kirche zur Feier des reformierten Abendmahls der Altar und das Retabel weggeräumt. Stattdessen wurde ein Tisch aufgestellt, um den die Kommunikanten knien und von einem bürgerlich gekleideten Prädikanten das Abendmahl nicht mit der Oblate, sondern mit Brot von einem großen Leib und Wein aus einem Becher erhalten. Die übrigen Änderungen haben ebenfalls mit dem Abendmahl zu tun: Das Abendmahl wurde als einzige Form bildhafter Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens zugelassen, alle anderen Bilder, hier die Statuen der Apostel an den Säulen des Mittelschiffs, wurden entfernt. Auch die nach der Wegnahme des Retabels sichtbaren Chorfenster blieben ohne Bilder. Der pragmatische Umgang des Kupferstechers mit seiner Bildvorlage13 bildet dabei eine Analogie zu den Veränderungen, die tatsächliche Kirchenräume im Gefolge der Reformation erfuhren: Sie wurden weitergenutzt; dabei wurde die Innenausstattung den neuen Bedürfnissen angepasst, die insbesondere durch die veränderte Abendmahlslehre und -praxis entstanden waren.14

In lutherischen Kirchen war der Umgang mit den alten Altären weniger einheitlich: Einheitlich gehandhabt wurde lediglich die Aufhebung des Zusammenhangs zwischen Altären und Reliquien. Ein Altar bedurfte keiner Reliquien mehr, sondern wurde ausschließlich durch seine Nutzung als Abendmahlsaltar geheiligt. Sichtbar wurde die Abschaffung der Reliquien als Zeichen des Bekenntnisses zur Reformation z.B. in Wittenberg, wo das große Reliquiar, Herzstück der Reliquiensammlung Friedrichs des Weisen (1463­­­­­–1525), seit 1516 nicht mehr auf dem Hochaltar in der Schlosskirche ausgestellt wurde, sondern aus dem Chorraum verschwand und in einem Raum des Schlosses untergebracht wurde. 1516 ist somit eines der frühesten Daten, in dem die Wirkung der reformatorischen Lehre in der kirchlichen Praxis sichtbar wurde.15 In der Regel blieben die ihrer Reliquien entledigten Hauptaltäre stehen, die Retabel wurden jedoch häufig verändert oder ausgetauscht, so dass konfessionell anstößige Darstellungen verschwanden. Allerdings bestand die Hauptfunktion von Retabeln nicht in der konfessionellen Standortbestimmung oder Abgrenzung, so dass sie nicht generell als konfessionelles Erkennungsmerkmal taugen.16 Entsprechend blieben die meisten Bildprogramme konfessionell uneindeutig. Dies gilt auch für einen Großteil der Abendmahlsdarstellungen auf Retabeln, die sich ikonographisch von gleichzeitigen Darstellungen in römisch-katholischen Kirchen nicht unterschieden.17

Neu war jedoch das Abendmahl als Darstellungsthema von Hauptaltarretabeln.18 Die Kommentierung des sakramentalen Geschehens am Hauptaltar durch Retabel, der Einsatz von Bildern des Corpus Christi zur Visualisierung des am Altar in der Eucharistiefeier vollzogenen Wandlungsgeschehens, war seit dem 15. Jahrhundert sehr verbreitet. Traditionellerweise dienten hierzu Darstellungen der Kreuzigung, der Kreuzabnahme, der Beweinung, der Grablegung oder auch der Anbetung des Kindes im Stall von Bethlehem.19 In lutherischen Kirchen behielten Retabel zwar die Funktion der Kommentierung des sakramentalen Geschehens am Altar. Ebenso wie sich die Lehre und die rituelle Praxis des Altargeschehens veränderte, veränderte sich jedoch auch die Kommentierung durch Bilder: Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts traten auf Retabeln in lutherischen Kirchen verstärkt Abendmahlsdarstellungen an die Stelle der traditionellen Bildthemen zur Darstellung des Corpus Christi. Dieser Themenwechsel lässt sich als Vorgang der Konfessionalisierung des Kirchenraums deuten: Weder am Altar noch auf den Bildern geht es mehr um die Verehrung und Anbetung des Corpus Christi, sondern ausschließlich um den liturgischen Vollzug der Abendmahlsfeier. In den Abendmahlsdarstellungen wird der biblische Bericht als alleinige Grundlage des sakramentalen Geschehens am Altar thematisiert. Weder die Hostie noch die Bilder dienen der Anbetung, sondern der Verwendung im Abendmahl bzw. der verinnerlichenden Betrachtung der Bilder. Das sakrale Geschehen verliert dabei nicht an Heiligkeit: Die Realpräsenz Christi im Abendmahl bleibt ebenso unangefochten wie seine Vergegenwärtigung durch Bilder. Die traditionellen Sakramentsbilder, besonders die Kreuzigung, werden auch keineswegs grundsätzlich abgeschafft. Aber ihre Verehrung mit dem Ziel des Heilserwerbs wird abgelehnt. Die erfassbare Anzahl von Abendmahlsretabeln aus dem 16. Jahrhundert und damit die konfessionelle Prägung lutherischer Kirchenräume durch Abendmahlsbilder wird in der Forschung allerdings häufig überschätzt.20

Konfessionell eindeutige und programmatische Bildprogramme traten erst seit Martin Luthers (1483–1546) Tod und verstärkt seit dem Interim und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 stärker in den Vordergrund. Die in diesen Jahren aufbrechende innerprotestantische Identitätsdebatte drehte sich auch um die gestaltende Wirkung der reformatorischen Lehre. Die Frage nach der bekenntniskonformen Umsetzung der Abendmahlslehre in die liturgische Praxis wurde virulent. Es entstand ein Regelungsbedarf in Fragen der Abendmahlspraxis, die zuvor frei gehandhabt wurde, z.B. hinsichtlich der Kleidung der Liturgen, der Weiterverwendung der Kelche oder der Organisation der Abendmahlsausteilung. In diesem Zusammenhang wurde auch die Darstellung des letzten Abendmahls gelegentlich konfessionalisiert. Beispielhaft sei dies anhand der Abendmahlsdarstellung in der "Mutterkirche" der Reformation aufgezeigt, an Lucas Cranachs d.Ä. (1472–1553)21 Retabel in der Wittenberger Stadtkirche von 1547. Aufgrund der zentralen Bedeutung dieser Kirche, nicht nur für die Reformation, sondern auch für die Zeit der institutionellen Etablierung der lutherischen Kirchen in der Konfessionalisierung, ist die Wirksamkeit dieses Retabels für die lutherische Identitätsbildung insgesamt und speziell für den Wandel des Kirchenraums zu dem einer Konfessionskirche, in deren Zentrum die konfessionell geprägte Abendmahlsfeier stand, kaum zu überschätzen. Entsprechend soll die Konfessionsspezifik dieser Abendmahlsdarstellung im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt werden.

Zum einen ist Luther auf dem Mittelbild Lukas Cranach d.J., Wittenberger Stadtkirchenretabel, 1547.in der durch ein Gemälde und Holzschnitte von 1521 popularisierten Gestalt des Junkers Jörg in die Jüngerschar eingeordnet.22 Das Bildnis vergegenwärtigt ihn nicht als überzeitliche Lehrautorität, sondern zeigt ihn in der historischen Gestalt, in der er von seinem Aufenthalt auf der Wartburg die Stadt 1521 inkognito besuchte und 1522 vom Rat der Stadt zurück nach Wittenberg gerufen wurde, um dort mit seinen "Invokavitpredigten" die in seiner Abwesenheit unter der Führung von Andreas Rudolf Bodenstein von Karlstadt (1480–1541) eskalierte reformatorische Bewegung wieder in geordnete Bahnen zu lenken. An diesen Zeitpunkt wird mit Luthers Frisur erinnert.23 Das Abendmahl wird so zu einem Erinnerungsbild an die Einführung der Reformation in Wittenberg durch Luther. Er wendet sich aus der Tischrunde heraus und erhält von einem höfisch gekleideten Mundschenk den Weinbecher, der von den Zeitgenossen vermutlich als Lucas Cranach d.J. (1515–1586) identifiziert wurde.24 Der Becher wird durch diese Darreichungsszene herausgehoben. Der innere Zirkel der Jünger wird aufgebrochen und ein Außenbezug hergestellt, in dem der Maler eine entscheidende Funktion einnimmt. Man könnte in der Übergabe des Weinbechers eine Selbstdeutung des Künstlers und seiner Malerei sehen.25 Denn wie Cranach als Mundschenk das im Wein präsente Blut Christi darreicht, so repräsentiert die Farbe des Malers das Blut des Herrn. Er vergleicht durch diese Darstellung seine Kunst unmittelbar mit dem Abendmahl: Durch seine Kunst geschaffene Bilder vermögen eine Gegenwärtigkeit des Dargestellten zu erzeugen, die allein der Realpräsenz Christi im Abendmahl vergleichbar ist.26

Mit der Funktion Cranachs als Mundschenk korrespondiert die Luthers als Junker Jörg. Seine Frisur erinnert nicht nur an seine Rückkehr von der Wartburg, sondern auch an die Zeit, die er dort verbracht hat. Im Rückblick nannte er die Wartburg "sein Pathmos" und verglich sich selbst dadurch mit dem Seher Johannes, der nach seinem eigenen Bericht auf dieser Insel die Offenbarung niederschrieb.27 Der Vergleich zielt auf Luthers Tätigkeit während dieser Zeit: Er hatte das Neue Testament übersetzt. In ähnlicher Weise, wie der Weinbecher ein Bild für die Farbe des Malers ist, so ist er auch ein Bild für das von Luther übersetzte Testament, denn in den Einsetzungsworten nach Lukas erklärt Jesus: "Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird" (Lukas 22, 20). Wenn Cranach sich selbst und Luther den Kelch gemeinsam halten lässt, dann beschreibt er dadurch auch eine Analogie zwischen seiner Tätigkeit als Maler und der Luthers als Übersetzer. Mehr noch: Cranach beschreibt hier ein komplexes Rollenspiel, in dem er selbst in der Rolle des Mundschenken, der den Wein reicht, zugleich die Rolle seines Namenspatrons, des Evangelisten Lukas einnimmt, der Christus die oben zitierten Einsetzungsworte über den Kelch sprechen lässt. Sein Pinsel legt in diesem Rollenspiel gewissermaßen dem Übersetzer und Liturgen Luther die Einsetzungsworte Christi im Abendmahl in den Mund. Das Rollenspiel mag einem heutigen Betrachter weit hergeholt erscheinen. Für einen Zeitgenossen Cranachs war der Namenspatron jedoch eine ganz selbstverständlich präsente Identifikationsperson.28 Und so mag der erste prominent ins Bild gesetzte Mundschenk in den nordalpinen Abendmahlsdarstellungen, derjenige Albrecht Dürers (1471–1528) in dem Abendmahlsholzschnitt der Großen Passion von 1510, ebenfalls schon als Allegorie des Maler-Evangelisten gelesen werden, der Jesus über den Kelch mit dem Wein, das zugleich Blut und Farbe des Malers ist, sagen lässt: "Dies ist das neue Testament". Die Farbe wird zum Medium, in dem das Heilsgeschehen als gegenwärtiges Geschehen visuell erfahrbar wird. Der Maler-Mundschenk und der Übersetzer-Reformator stehen gleichermaßen im Dienst der Verkündigung des Neuen Testaments "im Blut Christi". Das Abendmahl wird als Bundesmahl dargestellt, mit dem die Reformation in Wittenberg begann und von dem die Verkündigung des Evangeliums ausging.

Luther und Cranach sind die einzigen als Porträts gestalteten Personen des Bildes. Die Darreichung des Weines bleibt die einzige Szene, die keine unmittelbare Vorlage in einem Bibeltext hat. Anders als auf den Darstellungen der Flügel und der Predella (Sockel des Retabels), die die Taufe, Predigt und Beichte als zeitgenössische kirchliche Amtshandlung zeigen, wird auf dem Mittelbild die biblische Mahlfeier dargestellt. Offenbar ging es bei diesem Bild, anders als bei den übrigen, um den Schriftbezug. Das Abendmahl wird nicht nur durch seine Zentralstellung und seine Größe, sondern auch durch diesen biblischen Bezug herausgehoben. Es nimmt auf dem Retabel unter den kirchlichen Zeremonien eine Vorrangstellung ein, die seiner Zentralstellung im kirchlichen Leben sowie seiner Bedeutung als konfessionelles Identitätsmerkmal und Bekenntnisritual entspricht. Aber Cranach thematisiert nicht das Ritual der lutherischen Abendmahlsfeier selbst, sondern seine Schriftgemäßheit. Die Einreihung Luthers in die Jüngerschar lässt sich als Autorisierung seiner Lehre unmittelbar aus der Schrift deuten. An einem Ende des Tisches teilt Christus seinen Leib aus. Für den Wein ist am andern Ende des Tisches Luther zuständig. Die Darreichung des Brotes durch Jesus und das Halten des Weinbechers sind so ins Bild gesetzt, dass sie auf die Praxis der Abendmahlsausteilung am darunter befindlichen Altar Bezug nehmen. Denn in Analogie zur Darstellung wurden an der einen Seite des Altars das Brot und an der anderen der Wein ausgeteilt.

Ein weiteres Detail des Bildes ist als konfessionelle Aussage zu lesen: Jesus schiebt Judas das Brot so in der Mund, dass es durch seine Finger verdeckt wird und es aussieht, als schiebe er Judas seinen Finger in den Mund. Er scheint sich selbst darzureichen. So wird sichtbar, dass auch der Sünder im Sakrament kein ungewandeltes Brot, sondern Christus selbst empfängt. Die Mitteilung der Abendmahlsgabe, d.h. Christi selbst, geschieht unabhängig vom Glauben des Kommunikanten. Diese Lehrposition (manducatio impiorum) war zwischen Luther und Ulrich Zwingli (1484–1531) seit dem ersten Abendmahlsstreit 1525 umstritten. Darüber hinaus geschieht sie weder zeichenhaft, wie Zwingli und Karlstadt lehrten, noch vollzieht sich eine Wandlung allein der unsichtbaren Substanz, was die römisch-katholische Kirche seit dem IV. Laterankonzil von 1215 lehrte, sondern die Mitteilung von Gottheit und Menschheit Christi unter Brot und Wein vollzieht sich als sichtbare Wahrheit. Mit dieser Darstellungsweise wird die Abgrenzung zu Zwingli, Karlstadt und auch zu Johannes Calvin (1509–1564) sowie zur römisch-katholischen Transsubstantiationslehre sichtbar.29

Luther und Cranach werden beide betontermaßen als Angehörige des kurfürstlichen Hofes dargestellt: der kurfürstliche Reformator und Professor durch seine Darstellung als Junker Jörg und der Hofmaler durch seine Kostümierung als Mundschenk. Das biblische Abendmahl rückt dadurch in eine höfische Atmosphäre, die auch in der Architektur und in den Fensterausblicken weiter ausgestaltet wird.30 Diese Umgebung allein birgt keinerlei Konfessionsspezifik, da auch sonst das letzte Abendmahl in hochherrschaftlichen Räumen dargestellt wird. Durch die Kombination mit den Porträts verliert es jedoch seinen unbestimmten Charakter und wird zum Abbild des Wittenberger Hofs. Er bietet den Rahmen für die Darstellung und Feier des Abendmahls. Auch ohne dass der Kurfürst im Porträt auftaucht, ist er auf diese Weise auf dem Retabel als Schutzherr der Reformation präsent. Durch die Schutzhaft auf der Wartburg hat er Luther und mit ihm die ganze Abendmahlsgemeinschaft vor dem Zugriff von Kaiser und Reich sowie vor der römischen Kirche geschützt. Die Erinnerung an diesen Schutz war zur Zeit der Aufstellung des Retabels 1547 von großem aktuellen Interesse: Denn nach dem Tod Luthers 1546 und der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes 1547 schien die Vergangenheit unwiederbringlich verloren: Kaiser Karl V. (1500–1558) und das katholische Reich hatten sich gegen Wittenberg gewandt und der Protestantismus schien keine Zukunft mehr zu haben. In dieser Situation erinnerte Cranachs Abendmahlsdarstellung an die ebenfalls von Kaiser und Reich bedrohten Anfänge der Reformation in Wittenberg und stärkte die Hoffnung auf die nah erwartete zukünftige, eschatologische Mahlgemeinschaft.

Die Differenz zwischen den Konfessionen bezüglich der Abendmahlslehre wurde nicht nur am Bildprogramm der Retabel, sondern in der Regel auch am Altar selbst sichtbar: Da das Brot bzw. die weiter verwendete Oblate nach lutherischer Lehre ausschließlich dem Verzehr im Abendmahl, nicht jedoch – da man die Wandlung ablehnte – der Anbetung und Verehrung diente, wurde sie nach Einführung der Reformation nicht mehr zur Verehrung ausgestellt. Die dafür bis dahin verwendeten Monstranzen und Tabernakel, die in römisch-katholischen Kirchen auch außerhalb der Messe seit dem Ende des Konzils von Trient ausschließlich auf dem Hauptaltar ausgestellt wurden, wurden abgeschafft.31

An einigen Orten entstanden auch neue Altarformen, die der veränderten Funktion des Altars innerhalb des Gottesdienstes eher entsprachen: So wurden in Neubauten wie in der Schlosskapelle in Schmalkalden mit der Verbindung von Kanzel und Altar ("Kanzelaltar") an einem Zentralort im Osten der Kirche die protestantische Reduktion des Kultus auf Predigt und Abendmahl als Reduktion der Kultorte im Kirchenraum erfahrbar. Hier wurde zusätzlich sogar der Taufort mit dem Altar auf das engste verbunden, indem die Altarplatte auf den Taufstein gelegt und in der Mitte der Tischplatte eine Vertiefung zum Einsetzen der Taufschale eingearbeitet wurde.32

Diese Verbindung zwischen Taufe und Abendmahl findet sich schon früher auch in reformierten Kirchen, wo zum Abendmahl die Tischplatte unmittelbar auf das Taufbecken gelegt oder zur Taufe eine Schale auf den Abendmahlstisch gestellt wurde.33 Eine weitere Neuerung bestand in der Reduzierung der Altäre: Mit der Abschaffung der Privatmessen wurden die Nebenaltäre ihrer Funktion beraubt. Sie wurden nicht mehr benutzt, ausrangiert oder erhielten eine neue Nutzung: Bei großer Teilnahme am Abendmahl erwies es sich als notwendig, an mehreren Orten innerhalb einer Kirche Brot und Wein auszuteilen. In vielen Kirchen wurden bei großem Andrang daher die Nebenaltäre als zusätzliche Abendmahlsaltäre weitergenutzt.34

Abendmahlsorte im Kirchenraum

Das Abendmahl wurde nicht im Verborgenen, sondern öffentlich sichtbar an herausgehobener, zentraler Stelle innerhalb des Kirchenraums gefeiert. Grundsätzlich bestand in diesem Punkt kein Änderungsbedarf. In den meisten Kirchen vollzog sich die Abendmahlsfeier an derselben Stelle wie zuvor die Gemeindekommunion: am sogenannten Kreuzaltar, der vor dem Lettner oder der Chorschranke stand, durch die in den meisten Kirchen der Chorbereich vom Hauptschiff abgetrennt war. Die architektonische Raumausrichtung nach Osten blieb bestehen. In reformierten Kirchen wurde der Altar durch einen Tisch ersetzt, aber der Ort der Abendmahlsfeier war nicht konfessionsspezifisch.

In Kirchen mit abgeschranktem Chorraum führte die Reduktion des liturgischen Geschehens auf den Kreuzaltar und die Kanzel in der Regel jedoch zu einem Bedeutungsverlust des traditionellen Sakralzentrums der Kirche im Chor. Er wurde gar nicht mehr oder zumindest nicht mehr zum Gottesdienst genutzt.35 Dieser Umgang mit dem Chorraum ist von großem Pragmatismus geprägt. Es ist davon auszugehen, dass die Beendung der liturgischen Nutzung des Chorraums als großer reformatorischer Einschnitt wahrgenommen wurde. Denn mit dem Chor war die Vorstellung eines kirchlichen Exklusivraums verbunden, dessen Nutzung mehr oder weniger ausschließlich Klerikern vorbehalten war und dem mit besonderer Ehrfurcht zu begegnen sei, weil er als Aufbewahrungsort kostbarer Reliquien sowie als Bischofs- oder Herrschergrablege als besonders heilig galt. So wurde im Gefolge der Zentralisierung des gottesdienstlichen Geschehens auf den Kreuzaltar als Abendmahlsaltar und der damit verbundenen Aufgabe der liturgischen Nutzung des Chorraums die Abschaffung der Reliquien und des geistlichen Standes sichtbar.

Die gottesdienstliche Nutzung des Chorraums wurde mit der Reformation jedoch nicht überall aufgegeben. Besonders in lutherischen, aber auch in einigen reformierten Kirchen wurde der Chor zum Abendmahlschor umfunktioniert.36 Nicht der Kreuzaltar vor dem Lettner, sondern der Hauptaltar im Chor wurde so zum protestantischen Abendmahlsaltar. Die vorreformatorische Auffassung des Chorraums als Sakralzentrum der Kirche wurde dabei nicht aufgegeben, sondern konfessionsspezifisch überformt. Die Abschrankung blieb bestehen, wurde jedoch durch zusätzliche Durchgänge oder auch durch eine Ersetzung des steinernen Lettners durch ein Gitter besser einsichtig. Einige Kirchen erhielten sogar neue Lettner. Während in römisch-katholischen Kirchen infolge des Tridentinums der Hochaltar sichtbares Zentrum der Kirchen sein sollte und infolgedessen Lettner abgerissen werden sollten, kam es so in lutherischen Kirchen zu einer Renaissance des abgetrennten Chorraums.37 Das Chorgestühl blieb in der Regel erhalten, war jedoch nicht mehr den Klerikern vorbehalten, sondern diente der Abendmahlsgemeinde. Abendmahlschöre erfuhren häufig aufwendige Neuausstattungen mit Bildprogrammen, die den Abendmahlsraum als konfessionellen Bekenntnisraum charakterisierten. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist in der Brüdernkirche in Braunschweig überliefert, die unter Johannes Bugenhagen (1485–1558) 1528 eine Umwidmung von einer Bettelordenskirche zum gesamtstädtischen Reformationszentrum erfuhr.38 Schon der 1592/1593 entstandene Renaissancelettner war in seiner Ikonographie ganz auf die neue Nutzung des Chorraums als Abendmahlsraum bezogen.39 Er wurde 1903 durch einen neugotischen ersetzt. Die überlieferten Teile sowie eine Zeichnung des Braunschweiger Kupferstechers Anton August Beck (1713–1787) aus dem Braunschweiger Stadtmuseum ermöglichten doch einen detailgetreuen Nachbau, der heute im Eingangsbereich der Brüdernkirche ausgestellt ist.Jürgen Röttger (1550–1623), Lettner aus der Brüdernkirche zu Braunschweig, Gesamtansicht, 1592–1594, Gitter von Hans Anger; Bildquelle: Städtisches Museum Braunschweig.

In der Mitte ragt bis kurz unter das Gewölbe das Kreuz Christi empor und erinnerte den Kirchenbesucher an das Erlösungswerk Christi, an dem er im Abendmahl teilhatte. Links von der Kreuzigungsszene befindet sich ein Relief mit der Errettung der Israeliten durch den Blick auf die eherne Schlange, die den Opfertod Christi präfiguriert, und rechts die Auferstehung Christi. Zwei große, rundbogig abgeschlossene Durchgänge sowie drei Fenster mit Ziergittern ermöglichten einerseits der Gemeinde den Ein- und Austritt in den Abendmahlsraum – getrennt nach Männern und Frauen, wie es die Kirchenordnung vorsah – und gaben andererseits den Blick vom Kirchenschiff in den Chorraum frei. Die vergoldeten Säulen und die flankierenden Engel, die die Durchgänge rahmten, erinnern an den Eingang der Stiftshütte bzw. des salomonischen Tempels und die Seraphim neben der Bundeslade und verweisen dadurch auf die besondere sakrale Würde des Chorraums bzw. seiner liturgischen Funktion. In dieses auf das Abendmahl bezogene Programm wurde nun an zentraler Stelle, auf dem mittleren Fenstergitter, zwischen den Durchgängen in den Chor, oberhalb des Altars und unterhalb der Uhr und des Kreuzes, das Braunschweiger Stadtwappen eingebunden. So wie der Rat die Kirchenordnung beschloss und verantwortete, deren Kernstück die lutherische Abendmahlslehre bildet, so ist sein Wappen hier auf dem Lettner, der Fassade des Abendmahlsraumes, als Bekenntnis zum lutherischen Abendmahl zu verstehen. Der Rat garantierte die Durchsetzung der Reinheit der Abendmahlslehre und damit auch der Abendmahlsgemeinschaft. Wer abweichende Meinungen vertrat, musste widerrufen, öffentlich Buße leisten oder wurde der Stadt verwiesen. Städtische Identifikation vollzog sich über das Bekenntnis zur offiziellen, vom Rat vertretenen Abendmahlslehre. Das Ratswappen gehörte daher zwischen Altar und Kreuz, zwischen Bekenntnis und evangeliengemäßen Ritus, an die Fassade des Abendmahlsraums, in dem nach der amtlichen Lehre das Abendmahl gefeiert wurde.

Auf diesem Blick in den ChorraumFoto Chorraum Brüdernkirche sieht man, dass der vorreformatorische Hochaltar an seinem Ort belassen worden war. Links und rechts von ihm waren ursprünglich – wie Wächter über die schriftgemäße Sakramentsverwaltung – Bildnisse von Luther und Philipp Melanchthon (1497–1560) aufgehängt.40 Das Chorgestühl diente – wie noch im Plan der Stuhlordnung von 1802 zu erkennen – als Kommunikantensitz, war also zum Laienstuhl umfunktioniert worden. Vermutlich saßen links die Männer und rechts die Frauen. 1597 wurden von dem Niederländer Reinhart Roggen aus Herzogenbusch die Rückwände des gotischen Chorgestühls oberhalb der Sitzlehnen innerhalb von vier Monaten mit 46 ganzfigurigen, nahezu lebensgroßen Bildnissen von Kirchenlehrern in chronologischer Reihenfolge von der Antike bis in die Braunschweiger Gegenwart bemalt.41 Als Vertreter der Braunschweiger Konfessionalisierungsgeschichte wurden einige Superintendenten dargestellt, die sich in besonderer Weise um die Durchsetzung einer gnesiolutherischen Position in der Stadt verdient gemacht hatten, unter ihnen auch Polycarp Leyser d.A. (1552–1610). An der Aufnahme seines Porträts in den Zyklus lässt sich die stadtpolitische Dimension der innerprotestantischen Lehrauseinandersetzungen um das Abendmahl und ihr Niederschlag im Ausstattungsprogramm des zentralstädtischen Abendmahlsraums aufzeigen: Eine Mehrheit unter den Ratsherren sympathisierte mit den kursächsischen sogenannten Kryptocalvinisten und wollte 1592/1593 die Entlassung des Superintendenten durchsetzen, während die Pfarrerschaft im Verein mit den Bürgerhauptleuten als Gemeindevertretern an ihrem Superintendenten festhielt. Die Bürgerhauptleute setzten sich durch: Sie machten eine Eingabe beim Rat. Bei der Übergabe versammelte sich ganz Braunschweig vor dem Altstadtrathaus, es kam zu Handgreiflichkeiten. Leyser blieb zwar nicht in Braunschweig, sondern folgte einem Ruf nach Wittenberg, aber er wurde nicht entlassen, sondern nur beurlaubt.42 In der Aufnahme seines Porträts in die Bekennerreihe des Chorgestühls spiegelt sich der politische Sieg der Oppositionspartei gegen den Rat, der zugleich ein Sieg der lutherischen Abendmahlslehre, insbesondere der von Polycarp Leyser in der Lehrtradition Luthers verfochtenen Lehre von der Omnipräsenz der Menschheit Christi, über abweichende, calvinistisch beeinflusste Lehrmeinungen war. Das konfessionelle Bekenntnis wurde zum Gegenstand des Bildprogramms des Abendmahlsraums einer zentralen Pfarrkirche und spiegelte zugleich den Bekenntnisstand der mit der Bürgergemeinde identischen Kirchengemeinde, der sowohl nach außen als auch gegen abweichende Lehrmeinungen nach innen durchgesetzt wurde.

Eine andere Umwidmung des Chorraums bestand in seiner Einbeziehung in den Predigtraum: Besonders in reformierten Kirchen in der Schweiz, aber gelegentlich auch im lutherischen Bereich, wurde der Chor mit auf die Kanzel ausgerichteten Kirchenbänken ausgestattet.43

Es gab auch Kirchen, in denen weder der Hauptaltar im Chor noch der Kreuzaltar zum Abendmahlsaltar wurden, sondern ein Altar an anderer Stelle genutzt oder auch neu errichtet wurde. Besonders in reformierten Kirchen war man bei der Aufstellung von Abendmahlstischen insgesamt flexibel, weil sich die Holztische leicht umstellen ließen.44

Abendmahlskirchen

Die Einrichtung eines gut sichtbaren Abendmahlsraums war in der Regel mit einer Ausrichtung des Gesamtraums auf diesen Teilraum verbunden. Das wurde entweder dadurch erreicht, dass das bisherige Sakralzentrum des Raums als Abendmahlsraum genutzt wurde, also vor allem in Kirchen, in denen Abendmahlschöre eingerichtet wurden.

Eine andere Möglichkeit bestand darin, eine Neuausrichtung der Kirche vorzunehmen, wie das in den ovalen oder leicht gestreckten oktogonalen Neubauten der temples in Frankreich – etwa für den Temple du Paradis in Lyon von 1564, für den 1577 begonnenen temple in La Rochelle und für den ebenfalls 1577 errichteten temple von Montpellier – erstmals erprobt und für reformierte Kirchen in den Ländern der Refuge etwa 200 Jahre lang verbindlich wurde. Ebenfalls neuartig ausgerichtet waren die späteren Quer- und Zentralbauten der Reformierten in Holland und Deutschland: Kanzel und Altar wurden in der Mitte des Kirchenschiffs an der Wand errichtet; die Sitzbänke und Emporen waren so angebracht, dass sie den Blick auf dieses Zentrum ermöglichten.45

Insgesamt wurde die Ausrichtung des Kirchenraums auf den Abendmahlsraum hin durch den zwar auch in vorreformatorischen Kirchen zu beobachtenden, jedoch erst seit der Reformation flächendeckend verbreiteten Einbau von Emporen und durch die ebenfalls zunehmend eingeführte Bestuhlung des Hauptschiffs viel stärker als früher in den Raum eingeschrieben. Während die Kirchenstühle zuvor häufig auf Korporationsaltäre oder Memorialstiftungen ausgerichtet waren, wurden sie nun einheitlich auf die Kanzel und den zentralen Abendmahlsaltar bezogen. Unterstützt wurde die Zentralisierung weitergenutzter Kirchen zudem durch die Reduktion der Teilräume, etwa der Nebenaltäre. Kirchen, die bislang ganz mit konglomerathaft nebeneinanderstehenden, im Aufwand der künstlerischen Ausstattung miteinander konkurrierenden Teilräumen ausgestattet waren, wurden nach der Ausräumung von Nebenaltären zu Räumen, die als Ganze allein auf Kanzel und Abendmahlsaltar ausgerichtet waren.46 Besonders eindrücklich erscheint diese Zentralisierung in der 1529–1554 neu errichteten Marktkirche in Halle, die, nachdem Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490–1545) die Stadt 1541 verlassen hatte, unter dem lutherischen Rat als neuem Bauherrn fertiggebaut wurde. Es kam zu einer konfessionsspezifischen Neuplanung, nach der nur noch ein Hauptaltar vorgesehen war, auf Bilder und Grabmäler verzichtet wurde sowie Emporen eingezogen wurden, deren Brüstungen mit großformatigen deutschen Bibelversen beschrieben wurden. Kanzel und Altar wurden zwar nicht zusammengelegt, aber der Raum wurde auf diese beiden Zentren reduziert und ausgerichtet.47 So wurde die Konzentration des Gottesdienstes auf Predigt und Abendmahl in die Ausstattung lutherischer Kirchen eingeschrieben.

Abendmahlskirchen als Orte der Herrschaftsrepräsentation

Das Abendmahl ist als Ritual zur Konstituierung und sakralen Begründung politischer sowie sozialer und gesellschaftlicher Ordnung sowohl in der Zeremonialforschung als auch in der neueren Ritualforschung bislang weithin unberücksichtigt geblieben.48 Es war jedoch gerade im Zeitalter der Konfessionalisierung von überragender Bedeutung als Ritual der sakralen Fundierung und Legitimierung des konfessionell geeinten Gemeinwesens und diente so zur Repräsentation der ständischen Gesellschaftsordnung einerseits und der Herrschaftsordnung andererseits.49 Die Ordnung des Gemeinwesens wurde in der öffentlichen, in vielen Kirchen in einem bühnenartigen Raum hervorgehobenen Abendmahlsfeier sakral begründet und immer wieder erneuert. Die gesteigerte und veränderte Bedeutung des konfessionellen Abendmahls schlug sich auch in der Ausgestaltung der Konfessionskirchen nieder: Hoheitszeichen, wie Wappen, Grabmäler oder Bildnisse, wurden bevorzugt im Chorbereich aufgestellt, wodurch vor allem die Obrigkeit am Ort der Abendmahlsfeier vergegenwärtigt wurde.50

Max Weber (1864–1920) beschrieb das Abendmahl als konstitutiv für den spezifischen Charakter der westeuropäischen Städte, die er als Kultgemeinschaften verstand, in denen die Bürger über die ständischen Schranken hinweg miteinander verbunden waren.51 Das Abendmahl erhält in seiner Darstellung die Funktion eines gemeinschaftsstiftenden Ritus, in dem die Idee des städtischen Gemeinwesens als civitas christiana sichtbaren Ausdruck und sakrale Begründung fand. Ob mit dieser Deutung die Eigenart der westeuropäischen Städte im Mittelalter treffend charakterisiert ist, sei dahingestellt.52 In hohem Maße zutreffend ist Webers Charakterisierung jedoch für die Städte und Landesherrschaften, die im 16. Jahrhundert von der Reformation und der sich anschließenden Konfessionalisierung erfasst wurden. Denn im Zusammenhang des Auseinanderbrechens der konfessionellen Einheit erhielten Rituale der Konstituierung und Bestätigung kirchlicher Gemeinschaft ein ungleich höheres Gewicht als zuvor. Die Abendmahlsfeier wurde zum gemeinsamen Ritual der kirchlichen und der politisch gewollten Theologie, das heißt sie begründete die Einheit von Kirche und Staat und bildete die gemeinsame Wurzel ihrer Sakralisierung. "Citizenship was based on faith," formulierte Joseph L. Koerner (*1958).53 Sichtbar wurde die so verstandene Bürgerschaft im frühmodernen Staat in der Abendmahlsfeier.

Das Abendmahl wurde zudem zum Ritual der Abgrenzung zwischen den Konfessionen. In der Abendmahlsfeier wurde dabei nicht nur der persönliche Bekenntnisstand, sondern vor allem die Zugehörigkeit zum konfessionell vereinheitlichten Gemeinwesen sichtbar. Umgekehrt galt, dass überall da, wo keine Abendmahlsgemeinschaft herstellbar war, auch keine politische Einheit möglich zu sein schien: weder für den Einzelnen, der das Abendmahl verweigerte und damit zugleich seine Mitwirkung am Sakralisierungsritual der politischen Ordnung,54 noch für konfessionelle Gruppen oder Fraktionen, die im Fernbleiben ihre Ablehnung der konfessionspolitischen Einheit kundtaten55 oder auch gegen Widerstand am eigenen Ritus festhielten.56 Konflikte über die Abendmahlsordnung waren für die Obrigkeiten bedrohlich, weil sie mit der kirchlichen zugleich die politische Einheit und Ordnung in Frage stellten. So wurde insbesondere in der so genannten zweiten Reformation die Einführung des reformierten Abendmahls im Ritual des Brotbrechens durch den Landesherrn Auslöser für Widerstand in der Bevölkerung. Individuelle Gewissensentscheidung und verordnete Kultvorschrift traten in Konkurrenz und das Abendmahl verlor seine Wirkung als sowohl kirchlich wie auch politisch einheitsstiftend.57

Eine Besonderheit der Abendmahlsgemeinschaft sah Max Weber in ihrem Geburtsschranken überschreitenden Charakter. Ob diese Besonderheit tatsächlich in der Weise wirksam wurde, dass die Überwindung der Standesgrenzen auch außerhalb der Abendmahlsgemeinschaft wirksam wurde, ist fraglich. Denn die Abendmahlspraxis deutet darauf hin, dass der Zugang zum Abendmahl zwar standesunabhängig war, dass sich die Austeilung jedoch innerhalb des festen Rahmens der ständischen Ordnung vollzog. Die Abendmahlsgemeinschaft erscheint in ähnlicher Weise wie Prozessionen geradezu als Bild der Sakralität der Ständeordnung. Die Besonderheit des Rituals liegt nicht in der Egalisierung der Geburtsunterschiede, sondern in der Einbeziehung der Gesamtgesellschaft als Akteure: Jedes Gemeindeglied hatte Zugang. Die Abendmahlsfeier war ein Bild für das Ganze der Gemeinde unter Einschluss von Frauen und solchen, die kein Bürgerrecht innerhalb einer Stadt besaßen. Voraussetzung war lediglich die konfessionelle Zugehörigkeit. Nicht einer allein oder in Stellvertretung kommunizierte, während die Öffentlichkeit das Publikum bildete, sondern jeder.

Die protestantischen Abendmahlsfeier erhielt im Kirchenraum eine eminent politische Bedeutung: zum einen als Ritual der Standesrepräsentation (1) und zum andern in ihrer Funktion als Bekenntnisritus der territorialen Konfessionseinheit (2). Darüber hinaus wird am Zerbrechen der Abendmahlsgemeinschaft im Reich ihre bildhafte Bedeutung für die politische Einheit sichtbar (3).

Das Fürstenabendmahl und die ständische Ordnung der Abendmahlsgemeinschaft

Empfing ein Fürst das Abendmahl, vollzog sich dies in einem bis in die Details hinein ausgestalteten Zeremoniell, das man als "Fürstenabendmahl" bezeichnen kann. Da es nicht zum Gegenstand von Hofordnungen wurde, ist es quellenmäßig verhältnismäßig schwierig als Hofzeremoniell zu fassen. Das Fürstenabendmahl war eine auf das engste mit dem Rechtsakt des Erlasses einer territorialen Kirchenordnung verbundene Mahlzeremonie, die ausgeprägt höfischen Charakter hatte. Sie diente der Visualisierung der konfessionellen Abgrenzung sowie der auf den Fürsten ausgerichteten zentralistischen Kirchenordnung. Dies wird an der Beschreibung eines Fürstenabendmahls des Pommerschen Herzogs Philipp II. (1573–1618) anschaulich, die Philipp Hainhofer (1578–1647) im Reisebericht über seine Pommernreise 1617 niederschrieb. Die Pommernherzöge orientierten sich, wie die lutherischen Fürsten insgesamt, an den in Kursachsen, dem Mutterland der Reformation, für die konfessionelle Repräsentation ausgebildeten höfischen Zeremonien. Die Beschreibung kann daher als repräsentativ für die Zeremonie des Fürstenabendmahls in lutherischen Territorien im Zeitalter der Konfessionalisierung insgesamt angesehen werden.58

Darnach [nach der Predigt und nachdem der 'Priester' das Messgewand, das er zur Predigt abgelegt hatte, wieder angezogen hatte] sein wir alle aus den Stuelen gangen, auch das Frawen=Zümmer, und haben im Chor den Fürstenpersohnen bey der communion aufgewartet, welche auf aine schwarz sammetine Deckhin vor dem Altar geknuet, alß erstlich meines gst. Herrn, darnach meiner gst. Frawen, sodann Hzgl. Ulrichß F.F.F. G.G.G., denen der Marschalkh und der Hauptmann aine lange schwarz sammetine Deckhin an statt aines Tischtuchß fürgehalten, über welche der Priester Ihnen dreyen erstlich die ostiam in Mund, darnach allen dreyen den Kelch geraichet. Als die Fürstenpersohnen wider in Ihren Stuel khommen, sein das Frawen-Zümmer und wir auch wider in unsere Stuel gangen, und hat man die sammetine Deckhin auf der Erden auch wider aufgehebt, und nun die schwarz wulline darunder ligen lassen. Alß dan ist das Frawen=Zümmer umb den Altar herumb knueglet, und auch auf der Rayen herumb erstlich die ostiam, darnach den Kelch des Herrn empfangen. Darnach hab Ich müssen der erste beim Altar sein, forts der Hauptmann, der Marschalkh, der Stallmaister, und die anderen Offizierer, unserer 9. mit ain ander, die wir umb den Altar herumb knuet; darnach wider Ihrer 9, immer die Aeltesten und fürnemsten voran; darnach die paggi und Jungen, dan die Knecht und Stallbursch, und endlich die Mägdt mit ihrer Under=Hofmaisterin, under wehrender Communion sunge man Psalmen und gaystliche Lieder. … die Mittagsmalzeit hab Ich in Herzog Ulrichß Gemach eingenommen, und meim Herrn zu Ehren, weil mirs seine Leutt gerathen, disen Tag, auch bey der Communion, das erste mahl die mir gst. verehrte Kettin und Fürstliche Büldnussen angehenkht.59

Die beschriebene Abendmahlsfeier fand am 10. Oktober 1617 morgens um halb acht im Chor der Schlosskirche von Neustargard statt. Auffällig ist die höfische Ordnung des Rituals: Der Hofstaat wartete dem kommunizierenden Fürsten auf, das heißt alle verließen ihre Kirchenstühle und umstanden als Betrachter den fürstlichen Abendmahlsempfang. Wie das Zeremoniell der Hoftafel begann auch das des Abendmahls damit, dass Speise und Trank zuerst dem Fürsten gereicht wurden, wobei insbesondere der Kelchreichung, die ja zugleich ein konfessionelles Spezifikum war, die Darreichung des ersten Trunks durch den Mundschenk entsprach. Die fürstliche Familie empfing das Abendmahl nicht nur zuerst, sondern als einzige unter Aufwartung des Hofstaats und von der nachfolgenden Austeilung an den Hofstaat deutlich abgesetzt: Nur für die fürstliche Familie, das heißt für den regierenden Fürsten Philipp II. von Pommern-Stettin und seine Frau sowie seinen jüngsten Bruder Ulrich (1589–1622), wurde eine schwarze Samtdecke zum Knien vor dem Altar ausgebreitet, für die nachfolgenden Kommunikanten blieb lediglich die darunter befindliche wollene Decke liegen. Nur ihnen wurde von den ranghöchsten Hofleuten, dem Marschall und dem Hauptmann, eine ebenfalls schwarze Samtdecke als "Tischtuch" vorgehalten, über die hinweg ihnen die Sakramente gereicht wurden. Der Hofstaat erhielt das Abendmahl erst, nachdem alle in die Kirchenstühle zurückgegangen waren und die Samtdecke weggenommen worden war. Die nachfolgenden Gruppen von jeweils neun Kommunikanten waren streng nach Rang und Alter geordnet. Eine fürstliche Herrin, vermutlich die Ehefrau des nicht-regierenden Bruders Ulrich,60 führte die erste Neunergruppe an, während die übrigen Frauen erst nach den Männern an die Reihe kamen. Und schließlich ist bemerkenswert, dass der von Hainhofer als "Priester" bezeichnete Pfarrer für die Abendmahlsfeier wie schon zuvor für die Lesung des Evangeliums das traditionelle feierliche Ornat mit einem "Messgewand", das heißt vermutlich einer Kasel, aus schwarzem Samt über den weißen Chorrock anlegte, während er es zur Predigt auszog. Dieser auch andernorts belegte Brauch ist als Abgrenzung von den Reformierten zu werten, bei denen die Austeilung des Abendmahls von bürgerlich gekleideten Prädikanten vorgenommen wurde.61 Die herausgehobene Kleidung steigerte den Eindruck der sakralen Würde des Liturgen und der Sakralisierung der durch die Feier abgebildeten hierarchischen Ordnung der Kirche. Auch der Berichterstatter, der Kunstagent Philipp Hainhofer aus Augsburg, legte anlässlich der fürstlichen Mahlfeier einen besonderen Schmuck an: die Goldkette mit den Miniaturbildnissen des Fürstenpaares, die ihm in Anerkenntnis seiner Verdienste und Freundschaft kurz zuvor vermacht worden war. Dieses Schmuckstück ist Ausdruck der besonderen Nähe Hainhofers zum Fürsten und seines Ranges am fürstlichen Hof, dem auch seine Position innerhalb der Abendmahlsgemeinschaft entsprach: Er wurde dem gesamten Hofstaat vorgeordnet. Das Abendmahl hatte den Charakter eines Hofzeremoniells. Die Position in der Rangfolge des Abendmahlsempfangs entsprach der Nähe oder Distanz zum Herrscher und dem höfischen Rang.

Die Öffentlichkeit der Abendmahlsfeier bezog die anwesende Gemeinde, in Hainhofers Schilderung war das der gesamte Hof, zunächst als Zeugen des fürstlichen Sakramentsempfangs in das Geschehen ein und im Anschluss daran in unmittelbarer Teilhabe, wobei sich die Gemeindekommunikation ebenfalls nach der ständischen Ordnung abspielte, die dadurch zugleich immer aufs Neue als gottgewollte Ordnung konstituiert wurde. Jedoch nicht nur innerhalb des Hofes wurde im Abendmahl die ständische Ordnung der Gemeinde erlebbar, sondern auch außerhalb. In Quellen wird diese Ordnung vor allem dann fassbar, wenn sie durcheinander geriet, so z.B. im Streit zwischen den Medizinern und Juristen um den Vorrang beim Gang zum Abendmahl in der Leipziger Paulinerkirche.62 Die Teilnahme am Abendmahl war nicht exklusiv an Rang, Namen und Geschlecht gebunden, sondern stand außer Andersgläubigen und Kindern der gesamten Bevölkerung offen und verband sie zu einer ständisch geordneten Konfessionsgemeinschaft. Darstellungen von Abendmahlsfeiern fanden im ausgehenden 16. Jahrhundert große Verbreitung und wurden häufig in Kirchen aufgehängt. Oft wird auf ihnen der Fürst als Kommunikant dargestellt.63 Der Empfang des Abendmahls fungierte dabei zum einen als Bild seiner vorbildhaften Frömmigkeit, zugleich verkörpert der Fürst jedoch auch die Gesamtheit seiner Herrschaft. Bildhaft war er so als Kommunikant auch dann anwesend, wenn er nicht vor Ort war. Dieselbe Funktion übernahmen auch spezielle Abendmahlsstühle für den Landesherrn, die in einigen Kirchen zusätzlich zu den gegenüber der Kanzel angebrachten Patronatslogen aufgestellt wurden.64 Zudem gehörte in einigen Territorien eine Fürbitte für den Landesherrn als fester Bestandteil zur Abendmahlsliturgie, wodurch ebenfalls sein Sonderstatus vom Abendmahl her legitimiert wurde.65

Die Fürstenkommunikation diente als Bild für die Einführung und für Bestätigung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt in einem Herrschaftsgebiet. Diese Form des Abendmahls war zugleich das Ritual, mit dem die Einführung der Reformation in einer Stadt oder einem Territorium vollzogen wurde. Das erste Abendmahl erhielt daher den Charakter eines Konfessionsstiftungsmahles, eines Bundesschlusses oder Rechtsaktes, der der sakralen Fundierung der neuen kirchlichen Ordnung diente. In Territorien, in denen die Einführung der Reformation wie in Brandenburg als obrigkeitlicher Akt vollzogen wurde, war das zugehörige Zeremoniell das der ständisch geordneten Abendmahlsfeier unter beiderlei Gestalt.66 Sie wurde zunächst im Beisein des Hofes sowie der evangelischen Pfarrer der Kurmark und der Bevölkerung der Städte Cölln und Berlin an der Residenz gefeiert, um einige Wochen später in allen Teilen des Landes unter Anleitung der Teilnehmer der ersten Abendmahlsfeier nach derselben Ordnung wiederholt zu werden.67 In ähnlicher Weise vollzog sich auch der innerprotestantische Konfessionswechsel von Landesherren, die sodann landesweit entsprechende konfessionsspezifische Änderungen veranlassten. Entlang der ständischen Ordnung wurde innerhalb kürzester Zeit im gesamten Territorium ein einheitliches liturgisch-theologisches Formular eingeführt, durch das die Landeskirche als Abendmahlsgemeinschaft konstituiert und geeint wurde. Nicht durch einen Weiheakt, sondern durch die Feier des Abendmahls unter beiderlei Gestalt in spezifisch konfessionellem Ritus wurde der Kirchenraum "lutherisch" oder "reformiert".

Das Abendmahl als Bekenntnisritus der territorialen Konfessionseinheit

Die Einheit der Landeskirche war von fundamentaler Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Kirchenordnung als Vorreiter und Säule der frühneuzeitlichen Staatswerdung. Die Einheit von Lehre und Bekenntnis innerhalb der Landeskirche war daher von großer politischer Bedeutung. Während der innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts formulierten in vielen Kirchen Abendmahlsdarstellungen diesen Anspruch auf Lehr- und Bekenntniseinheit innerhalb eines Herrschaftsgebiets. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel bildet eine Darstellung des letzten Abendmahls von Lucas Cranach d.J. aus der Dessauer Residenzkirche St. Marien von 1565.Lukas Cranach d.J., Fürstenabendmahl, 1565, Residenzkirche St. Marien (Dessau).

Das Abendmahl erscheint hier als Gründungs- oder Bestätigungsritual der konfessionellen Herrschaftsordnung. In Personalunion mit den Jüngern verkörpern zwölf Reformatoren in wiedererkennbaren Porträts das reformatorische Bekenntnis und die Lehrtradition, wobei das Abendmahl zugleich als Versöhnungsmahl über die Grenzen von Lehrdifferenzen hinweg fungiert.68 Mit ihm wird die Bekenntniseinheit konstituiert, die die Grundlage der kirchlichen und der staatlichen Einheit bildet: Nicht ein Kirchenraum, sondern eine fürstliche Tafelstube und damit einer der wichtigsten Repräsentationsräume des Schlosses bildet den Rahmen. In diesen fürstlichen Raum ist mittig eine Säule eingestellt. Sie erinnert eher an ein Repräsentationsmonument als an einen notwendigen, wirklich tragenden Bestandteil der Architektur, denn durch ihre klassische ionischen Form und das Material des weißen und im Sockel rot gesprenkelten Marmors wirkt sie in dem zu zwei Dritteln holzvertäfelten Raum mit einer hölzernen Kassettendecke, die nicht notwendiger Weise einer einzelnen Mittelstütze bedarf, wie ein Fremdkörper. Sie ist dem unmittelbar vor ihr sitzenden Jesus in der Weise zugeordnet, dass sein Haupt die Ecke des Sockels ausfüllt. Sowohl durch ihre Fremdheit in der Tafelstube als auch durch diese Zuordnung wird ihr zeichenhafter Charakter hervorgehoben: Als Herrschaftszeichen Christi bildet sie das Zentrum der Tafelstube, die ihrerseits in ihrer repräsentativen Ausgestaltung und in ihrer Funktion innerhalb des Schlosses als Bild der fürstlichen Herrschaft gelesen werden muss.69 Die Verschränkung zwischen der Sphäre des Schlosses und der der Kirche, zwischen politischer Herrschaft und religiöser Legitimierung, reicht jedoch noch weiter: Denn in Analogie zur Anzahl der Jünger und Reformatoren ist die Kassettendecke in zwölf Felder aufgeteilt. In der fürstlichen Tafelstube findet das letzte Abendmahl, das zugleich ein reformatorisches Bekenntnis- und Versöhnungsmahl ist, demnach nicht nur als Fürstenmahl statt, sondern in der Ausgestaltung der fürstlichen Tafelstube wird zugleich die Ordnung der Kirche als Herrschaft Christi und seiner Jünger bzw. seiner Reformatoren abgebildet.

Der vier Jahre vor Entstehung der Tafel verstorbene Fürst Joachim von Anhalt (1509–1561) kniet – wie bei Hainhofer in der Vereinzelung herausgehoben – in der Haltung eines Kommunikanten vor einer Brüstung. Als würdiger Empfänger des Abendmahls wird ihm Judas kontrastierend gegenübergestellt, der das Brot unwürdig und das heißt zum Verderben empfängt, während es dem Verstorbenen zur Aufnahme in die ewige Gemeinschaft gereicht. Ähnlich wie in Hainhofers Schilderung wohnen dem Abendmahl stehende Zeugen bei: die fünf männlichen Dynastieangehörigen, auf denen nach dem Tod Joachims die Herrschaft ruhte. Zwei weitere Angehörige des Hofes, darunter der am Wappenring eindeutig identifizierbare Maler als Mundschenk, übernehmen den Tafeldienst.

Cranach erhebt in gewisser Weise die "Interzeremonialität" zwischen Abendmahl und höfischem Tafelzeremoniell zum "Prinzip" seiner Dessauer Abendmahlsdarstellung und darüber hinaus seiner reformatorischen Abendmahlsdarstellungen insgesamt.70 Diese "Interzeremonialität" vergegenwärtigte das Abendmahl als Fürstenabendmahl und erinnerte dadurch an die Konfessionszugehörigkeit der Kirche als einer auf den Landesherrn als Summepiskopus und Oberhaupt ausgerichteten Landeskirche.

Die Abendmahlsgemeinschaft als Bild der politischen Einheit

Während England und Frankreich letztlich bis in die Zeit der Aufklärung hinein konfessionell einheitliche Herrschaftsräume blieben, gelang es Karl V. bekanntlich nicht, die sakrale Einheit des Reiches wieder herzustellen. Sichtbar wurde das Zerbrechen der sakralen Einheit im Abendmahl: Die protestantischen Reichsstände verweigerten die Teilnahme an Eucharistiefeiern und damit an den für die Konstituierung der sakralen Reichseinheit zentralen Zeremonien. Für die Krönungsfeiern wurden Hilfskonstruktionen gefunden: Die protestantischen Kurfürsten entfernten sich während der Messen für die Zeit der Eucharistiefeier aus dem Chorraum und begaben sich in die Sakristei.71 Der Kaiser verlor seine im Ritual der Krönungsmesse begründete sakrale Dignität. Kirchlich waren die protestantischen Reichsstände in ihren Territorien autonom. Der Kaiser hatte seine Autorität als Haupt der Einheit von Kirche und Reich verloren.

Schluss

Die Abendmahlslehre und -praxis verwandelte im 16. Jahrhundert Kirchenräume in ihrer Ausstattung und Nutzung. Durch die konfessionsspezifische Feier des Abendmahls wurden sie zu Konfessionskirchen lutherischer, reformierter und römisch-katholischer Herrschaftsgebiete. Spätestens seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde im Reich in lutherischen und römisch-katholischen Kirchen die konfessionelle Einheit der Territorien in Bildern und Ritualen erfahrbar: In der Abendmahlsfeier wurde mit der kirchlichen die konfessionspolitische Gemeinschaft konstituiert und gegen Kirchen und Herrschaften anderer konfessioneller Zugehörigkeit abgegrenzt. Bekenntnisbilder und Hoheitszeichen formulierten den Anspruch der Inhaber des Kirchenregiments auf Lehr- und Bekenntniseinheit innerhalb ihrer Territorien. Die Abendmahlspraxis innerhalb eines Herrschaftsbereichs wurde vereinheitlicht, und auch in der Kirchenausstattung werden Tendenzen zu einer konfessionellen Uniformierung deutlich. Dabei lassen sich die grundlegenden Ausstattungsneuerungen alle auf die veränderte Abendmahlslehre und -praxis zurückführen: Sie veränderte nicht nur die Ausstattung und Funktion der Altäre sowie die Bildprogramme ihrer Retabel, sondern sie veränderte auch die Nutzung und Ausstattung der Abendmahlsräume sowie das gesamte kirchliche Raumgefüge, das ganz auf die alleinigen Prinzipalstücke Kanzel und Abendmahlsaltar bzw. -tisch hingeordnet wurde.

Ruth Slenczka

Anhang

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Anmerkungen

  1. ^ Die von Dinzelbacher für die mittelalterliche Frömmigkeitsgeschichte eingeführte grundlegende Unterscheidung zwischen "verordneter" und "gelebter" Religion ist in der Reformationsforschung meines Erachtens bislang viel zu wenig im Blick (Dinzelbacher, Volksreligion 1997).
  2. ^ Lediglich im Vorfeld der preußischen Union interessierte man sich verstärkt für Fragen der Abendmahlspraxis (vgl. Funk, Kirchenordnung 1824, S. 165–188). Zu den wenigen Ausnahmen in der neueren Forschung gehören die Regionalstudien zur Abendmahlsverweigerung von David Warren Sabean (Sabean, Das zweischneidige Schwert 1986) und Oliver Kaul (Kaul, Undankbare Gäste 2003).
  3. ^ Die Konfessionalisierung der Kirchenräume ist ein Thema, dem in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit zuteil wurde: An erster Stelle zu nennen ist Engelberg, Renovatio ecclesiae 2005 (hier vor allem S. 157–214), hier geht es allerdings um die Barockzeit, so dass das 16. Jahrhundert weitgehend außen vor bleibt. Ein von Susanne Wegmann und Gabriele Wimböck herausgegebener Tagungsband (Wegmann / Wimböck, Konfessionen im Kirchenraum 2007) behandelt schwerpunktmäßig das 16. Jahrhundert und gibt wichtige Impulse. Die Konfessionskirchen werden jedoch nicht in ihrer konfessionellen Leitfunktion als Abendmahlsräume thematisiert. Einen Überblick über die Forschung gibt Packeiser, Konfessionalisierungsforschung und Kunstgeschichte 2002.
  4. ^ Die historische Früh-Neuzeit-Forschung hat zahlreiche Impulse für die "Intermedialitätsforschung" aus den Literaturwissenschaften aufgenommen, eigene Untersuchungen zu intermedialen Phänomenen sind jedoch noch immer selten. Grundlegend zur Intermedialität als Methodik der Komparatistik: Rajewsky, Intermedialität 2002. Die Wirkung und Eignung des Ansatzes für die Geschichtswissenschaften, insbesondere für die Früh-Neuzeit-Forschung der letzten Jahre, entfaltet Emich, Bildlichkeit und Intermedialität 2008.
  5. ^ Auf das Thema der "Bildlichkeit symbolischer Akte" hat der Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 bereits auf einer Tagung 2007 aufmerksam gemacht. Ihm widmete er zudem 2008/2009 eine Ausstellung im kulturhistorischen Museum in Magdeburg: Stollberg-Rilinger, Spektakel der Macht 2008. In Analogie zur Theorie des Sprechaktes führte Horst Bredekamp die Theorie des "Bildaktes" ein, die von einer "Eigenaktivität" und "Macht der Bilder" ausgeht, die nicht vorgegebene Bedeutung reflektiert, sondern durch die Bedeutung erst konstituiert wird, vgl. seinen Schlussvortrag auf dem Konstanzer Historikertag 2006 (Bredekamp, Bild – Akt – Geschichte 2007).
  6. ^ Als frühester Neubau gilt die Torgauer Schlosskapelle. Andere Bauten, z.B. in Regensburg, Halle und Schneeberg, wurden vorreformatorisch begonnen und als protestantische Konfessionskirche fertig gestellt. Reformierte Neubauten entstanden in Deutschland erst im 17. Jahrhundert und auch der Bau der Wolfenbütteler Marienkirche, einer Ikone protestantischer Kirchenarchitektur, begann erst 1608.
  7. ^ Sie wurden jedoch spätestens nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 zerstört. Innovativ und architektonisch prägend wurden z.B. die temples in Lyon, La Rochelle, Montpellier und in Antwerpen. In Sedan blieb der 1593 errichtete Bau bestehen (vgl. Reymond, L'architecture 1996; Merten, Kirchenbau 2009).
  8. ^ Lediglich in der Ausrichtung der Bestuhlung konnten Kanzel und Altar zu Konkurrenten werden. So befanden sich die Patronatslogen in der Regel gegenüber der Kanzel.
  9. ^ Dies gilt insbesondere für Mittel- und Nordeuropa sowie für die protestantischen Kirchen Ostmitteleuropas, so gut wie gar nicht jedoch für den Süden. Auch im anglikanischen Bereich wurden die deutschen Einflüsse wenig wirksam.
  10. ^ Von Zwingli beschrieben in seiner "Antwort" an Valentin Compar vom April 1525 (Zwingli, Werke 1927, S. 48–159). Zur Reformation in Zürich: Benedict, Social History 2002, S. 19–32.
  11. ^ In seiner Geschichte des Calvinismus in Europa definiert Philip Benedict "reformierte Kirchen" nicht in der traditionellen Weise über die Abendmahlslehre, Prädestinationslehre und Kirchenzucht, sondern über den Umgang mit Bildern, was die Einbeziehung lehrmäßig nicht in allem übereinstimmender Kirchen ermöglicht (Benedict, Social History 2002). Diese offenere Definition ist auch diejenige, die das konfessionelle Erscheinungsbild der Kirchenräume bestimmt. Wesentlich erscheint mir dabei jedoch der Zusammenhang zwischen dem zeichenhaften Charakter des Abendmahls, das als einzige Abbildung des Heilswirkens Gottes bestehen bleibt, und der Ablehnung aller weiteren Bilder (Calvin, Institutio 1928, I, 11, III, S. 102). Gerade bei Konfessionswechseln vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis, wie in der Kurpfalz unter Friedrich III. (1515–1576), wurde die Abgrenzung gegenüber den Lutheranern durch Abschaffung der Hauptaltäre und Retabel sichtbar vollzogen (Erlass von 1565, Wolgast, Konfession 1998, S. 40, 44).
  12. ^ Der den reformierten Kirchenraum abbildende Stich stammt zwar erst aus dem 17. Jahrhundert, er gibt jedoch dieselben Änderungen der Raumausstattung wieder, die schon im 16. Jahrhundert mit der Einführung der Reformation vorgenommen wurden (Reiss / Witt, Calvinismus 2009, Abb. 6A und B, S. 276f.).
  13. ^ Vermutlich arbeitete er die Druckplatte von 1571 zur Weiterverwendung für das Bild des konfessionell neuen Kirchenraums um.
  14. ^ Die Analogie zwischen dem Umgang des Stechers mit seiner Vorlage und dem Umgang der Gemeinden mit den tatsächlichen Kirchenräumen lässt sich noch weiterführen: Dem Phänomen der Weiternutzung der katholischen Stichvorlage entspricht das die Reformation in ganz Europa kennzeichnende Phänomen der Weiternutzung der alten Kirchen, dem Vorgang der Umgestaltung der Bildvorlage der Prozess der konfessionsbedingten Umgestaltung zahlloser Kirchenräume. Darin lag zum einen Pragmatismus, zum andern aber auch das Selbstverständnis, das Alte nicht durch Neues zu ersetzen, sondern zu den von Überflüssigem und Irrlehren bereinigten Wurzeln zurückzukehren. Die Veränderung des Kirchenraums wurde als Vorgang der Reinigung, als Bild für die Rückkehr zur Wahrheit und für den Prozess der religiösen Erneuerung gedeutet. Das Vorstellungsmuster steht in der Tradition der Selbstdeutung monastischer Reformbewegungen im Mittelalter: Berichte über den Wiederaufbau und die Instandsetzung verfallener Kirchen im Zusammenhang religiöser Erneuerung gehören in der Geschichtsschreibung und Hagiographie des Mönchtums zur geläufigen Topik (vgl. Constable, Renewal 1982).
  15. ^ Zur Verbringung des Heiltums in das Schloss: Niehr, Memorialmaßnahmen 2008, S. 352. Sicher belegen lässt sich die Ausstellung des Schreins vor 1516 am Sonntag Misericordias Domini (dem zweiten Sonntag nach Ostern), seit 1509 auch am Montag danach sowie am Patronatsfest Allerheiligen (ebd. S. 345).
  16. ^ An einzelnen Orten wie z.B. in Zwickau, Pirna und Annaberg blieben jedoch Retabel am Hauptaltar stehen, obwohl ihr Bildprogramm mit der neuen Lehre unvereinbar war. Das Abendmahl wurde in der städtischen Hauptpfarrkirche Halles sogar an einem Altar gefeiert, dessen geöffnetes Retabel einen der konfessionellen Gegenspieler der sächsischen Kurfürsten in Anbetung der Marienkrönung zeigte. Der Mainzer Kurfürst, Kardinal Albrecht von Brandenburg, hatte seine Residenzstadt Halle 1541 verlassen müssen und dadurch dem Rat den Weg in ein lutherisches städtisches Kirchenregiment eröffnet (Krause, Marktkirche 1995, S. 416).
  17. ^ Hermann Oertel (Oertel, Abendmahlsbild 1974) konnte zeigen, dass für die Abendmahlsdarstellungen in lutherischen Kirchen im norddeutschen Raum graphische Vorlagen aus katholischen Gebieten in derselben Weise verwendet wurden wie solche aus protestantischen Gebieten.
  18. ^ Sie begegnet vereinzelt auch in römisch-katholischen Kirchen, etwa auf dem (vorreformatorischen) Riemenschneideraltar in der Stadtkirche St. Jakobi in Rothenburg ob der Tauber. Bevorzugte Orte für Abendmahlsdarstellungen blieben dort jedoch die Refektorien der Klöster, Sakramentskapellen, speziell in Venedig die Wände der Presbyterien und im Barock vor allem die Kirchendecken (Oertel, Abendmahlsbild 1974, 226f., 231f.).
  19. ^ Grundlegend hierzu Schlie, Corpus Christi 2002.
  20. ^ Flächendeckende Untersuchungen zur Verbreitung von Abendmahlsretabeln in lutherischen Kirchen fehlen; lediglich für den niederdeutschen Raum liegt die bereits erwähnte Untersuchung von Hermann Oertel vor, aus der hervorgeht, dass die große Verbreitung von Abendmahlsretabeln in lutherischen Kirchen erst im 17. und 18. Jahrhundert einsetzte (Oertel, Abendmahlsbild 1974).
  21. ^ Die Frage nach der Eigenhändigkeit und dem Anteil Lukas Cranachs d.J. ist nicht endgültig geklärt. Der Meistername ist hier wie schon in der Entstehungszeit als Synonym für die Werkstatt zu verstehen.
  22. ^ Es ist allerdings schwer zu beurteilen, ob diese Identifikation tatsächlich schon im 16. Jahrhundert als so eindeutig empfunden wurde, wie sie einem durch die Deutungstradition der letzten Jahrhunderte erscheint (ohne Infragestellung der Identifikation zuletzt Koerner, Reformation 2004, S. 373f.).
  23. ^ Während seiner Schutzhaft auf der Wartburg ließ Luther sich die Tonsur zuwachsen, legte den Mönchshabit ab und wurde wie ein Hofjunker eingekleidet. Cranachs Holzschnitt von 1522, der ihn in dieser Gestalt zeigt, wurde vielfach, zum Teil als Gemälde, kopiert (Koepplin / Falk, Cranach 1974, Nr. 42; Friedländer / Rosenberg, Gemälde 1932, Nr. 125f.).
  24. ^ Die Einführung des Mundschenken als zwischen Abendmahl und Betrachter agierende zusätzliche Person geht meines Erachtens auf Dürers Holzschnitt aus der großen Passion von 1510 zurück, den Cranach gekannt haben könnte (Strieder, Dürer 1996, Abb. 312, S. 166). Dort erscheint zusätzlich zu den Jüngern links ganz im Vordergrund wie ein 13. Jünger eine bärtige Gestalt, die aus einem Krug Wein in einen Becher gießt. Möglicherweise ist diese Figur schon bei Dürer eine Personifikation des Malers. Auf die Möglichkeit der Identifikation des Mundschenken mit Cranach wies schon Thulin hin (Thulin, Cranach-Altäre 1955, S. 15), ihm folgte die Forschung weitgehend. Anders als auf dem Dessauer Abendmahlsbild, auf dem der Mundschenk einen Wappenring trägt, durch den er eindeutig als Maler zu identifizieren ist, bleibt die Deutung in Wittenberg jedoch ebenso wie auf dem Schneeberger Altar weniger eindeutig.
  25. ^ Die Darstellung gehört zu einer Gruppe von Gemälden, in denen das Blut Christi mit dem Bildnis oder der Signatur des Malers verbunden ist. Es erscheint so gleichzeitig als Bild der Erlösung und der Farbe des Malers: z.B. auf dem Weimarer Retabel, wo der Blutstrahl aus Christi Seitenwunde auf Cranachs Kopf niedergeht und über seine Signatur am Kreuz ebenfalls Blut fließt, sowie auf dem Dessauer Abendmahl (Abb. s.u.), wo der Mundschenk mit dem Siegelring Cranachs den Weinbecher hält. Auch das Wasser, mit dem Elias seinen Opferaltar übergießt sowie das Brunnenwasser des Weinbergs des Herrn verweisen auf die Heilswirkung des Blutes Christi und werden bei Cranach mit der Signatur bzw. dem Porträt des Malers verbunden. Ähnlich verhält es sich mit dem Torgauer (heute Dresdner) und dem Leipziger Opfer des Elias, auf dem Cranach sich als Wasserträger porträtiert, sowie mit dem Salzwedeler Weinberg Christi, wo die Signatur Cranachs auf dem Brunnen erscheint, mit dessen Wasser die Weinstöcke gegossen werden. Die Analogie zwischen Farbe und Blut findet sich auch bei anderen Malern, so z.B. bei Michel Ribestein (Müller, Bilder als Waffen 2008, S. 328f.).
  26. ^ Der Vergleich hat verschiedene Ebenen: Zum einen wird deutlich, dass Cranach die Gleichzeitigkeit von Wein und wahrem Blut Christi im Abendmahl als Analogie zur Gleichzeitigkeit seiner Bilder und der Wahrheit versteht, die auf ihnen dargestellt ist. Zum andern weist Cranach durch den Vergleich darauf hin, dass er seine Bilder in Analogie zu Brot und Wein im lutherisch verstandenen Abendmahl nicht als Zeichen ansah, die auf eine verborgene Wahrheit deuten, und auch nicht als illusionistische Machwerke, die die Gegenwart der Bildgegenstände lediglich vortäuschten, sondern dass es Cranach mit seinen Bildern um die sichtbare Vergegenwärtigung einer höheren Wahrheit ging, die im Schauen unmittelbar sinnlich erfahrbar wurde, wie das Blut Christi im Trinken des Abendmahlsweines. Zum dritten macht er mittels seiner Abendmahlsdarstellung umgekehrt eine theologische Aussage über die bildhafte Bedeutung des Abendmahls: Ebenso wenig wie sein Bild nur auf Christus hinweist, ohne ihn als realpräsent zu vergegenwärtigen, ebenso wenig ist der Wein, den der Künstler im Bild darreicht, lediglich ein Zeichen, sondern ein Medium, durch das die Gegenwart Christi unmittelbar erfahrbar wird. Und schließlich thematisiert Cranach mit seiner Darstellung den angemessenen Bildgebrauch: Er deutet den Mundschenk, der den Wein reicht, damit er getrunken wird, als Maler, der mit Farbe Bilder erschafft, damit sie angeschaut werden. Eine Verehrung oder Anbetung des Sakraments ist dabei ebenso wenig vorgesehen oder heilsdienlich wie die der Bilder. Die Heilswirkung entfaltet sich ausschließlich im Trinken des Abendmahlsweins bzw. im Schauen der Bilder. Es geht Cranach mit seinem Bild weder um intellektuelle Belehrung noch um Sakramentsverherrlichung, sondern um die im Schauen geschehende Vergegenwärtigung Christi. Dass seine Bilder ihn lebensecht vergegenwärtigen, versteht Cranach dabei meines Erachtens als unmittelbar sichtbar und evident, während die Erfahrbarkeit der Gegenwart Christi im Abendmahl schwerer zu erkennen ist, da sie den Augen verborgen bleibt. Er stellt daher seine Kunst in den Dienst der Auslegung des Abendmahls. Sie ist eine Hilfe, ein Bild für das rechte Abendmahlsverständnis.
  27. ^ Luther, Briefwechsel II 1931., S. 305, Nr. 396.
  28. ^ Dies ist in besonderer Weise für Lukas als Patron der Malerzunft zutreffend. Der Evangelist galt seit der Antike als Madonnenmaler, der aufgrund einer Vision ein authentisches Bildnis der Madonna schuf. Die Szene wurde häufig dargestellt, wobei der Evangelist oft Porträtzüge eines Malers erhielt. Auch Cranach bediente sich dieser ikonographischen Tradition. Er verwendete sie jedoch nicht zur Darstellung des Madonnenmalers, sondern zur Darstellung des Evangelisten: In einem Holzschnitt der Lutherbibel von 1534 verlieh er dem Evangelisten seine Porträtzüge und stellte ihn als Maler dar. Im geöffneten Fenster wird seine Vision sichtbar. Es handelt sich nicht wie bei dem Madonnenmaler um eine Marienvision, sondern um den Gekreuzigten (Heydenreich, Lucas Cranach 2007, Abb. 124, S. 171).
  29. ^ Zum Abendmahlsstreit: Lohse, Dogma und Bekenntnis 1980, S. 46–64; Benedict, Social History 2002, S. 32–35.
  30. ^ Burg und Baum sind bei Cranach Bilder des guten Regiments und der prosperierenden Dynastie. Den durch seine aufwändige Ornamentierung, durch die Lichtführung und vor allem durch seine mittige Positionierung im oberen Bilddrittel hervorgehobene Pfeiler verwendet er ebenfalls auch sonst als Sinnbild oder Attribut des gerechten Herrschers. Er korrespondiert an dieser Stelle mit dem in derselben Mittelachse befindlichen Kruzifix der Predella.
  31. ^ Wandtabernakel und die für die Ausstellung der gewandelten Hostie außerhalb der Messe vielerorts eingerichteten Sakramentshäuschen wurden mit Ende des Konzils von Trient auch in römisch-katholischen Kirchen nicht mehr verwendet (Timmermann, Real Presence 2009, S. 324–328).
  32. ^ Zur Schmalkaldener Schlosskapelle vgl. Großmann, Schlosskapellen 1990, S. 136–138.
  33. ^ Im Großmünster in Zürich wurde die Tischplatte zur Zeit Zwinglis auf den Taufstein gelegt (vgl. Thompson, Liturgies 1961, S. 145, 160; Koerner, Reformation 2004, S. 374); Taufschalen, die auf die Abendmahlstische gestellt wurden, wurden z.B. nach 1560 in der Pfalz eingeführt (Wolgast, Konfession 1998, S. 44).
  34. ^ So musste das Abendmahl in Wittenberg während der Karwoche 1530 z.B. an zwei bis drei Altären ausgeteilt werden (Brecht, Luther 1986, S. 418).
  35. ^ So besonders in den nördlichen Niederlanden und in Ostfriesland (Swigchem / Brouwer / Os, Protestantse kerkinterieur 1984, S. 67–73, 90–114; Rauhaus, Abendmahlstheologie 2009, S. 306).
  36. ^ So in Norden und in einigen ostfriesischen Dorfgemeinden (Rauhaus, Abendmahlstheologie 2009) sowie in den Niederlanden, z.B. in Haarlem und Gent (Swigchem / Brouwer / Os, Protestantse kerkinterieur 1984, S. 4f.).
  37. ^ Zur Raumausrichtung auf den zentralen Sakramentsaltar in römisch-katholischen Kirchen nach Trient vgl. Engelberg, Renovatio ecclesiae 2005, S. 179f. Beispiele für weitergenutzte bzw. erneuerte Lettner in protestantischen Kirchen: Stralsunder Nikolaikirche, Lübecker Marienkirche, Wismarer Marien-, Georgen- und Nikolaikirche (für diese Hinweise danke ich Sabine-Maria Weitzel, vgl. künftig ihre Dissertation: Weitzel, St. Nikolai 2011).
  38. ^ Slenczka, Bekenntnisinszenierung 2007.
  39. ^ Eine detaillierte Beschreibung findet sich bei Wehking, Inschriften Braunschweig 1993, S. 199f., Nr. 651.
  40. ^ Ihre Befestigung an dieser Stelle bezeugt Carl Wilhelm Sack (1792–1870), vgl. Wehking, Inschriften Braunschweig 1993, S. 230f., Nr. 689f.
  41. ^ Eine Fotogalerie findet sich online: http://www.raymond-faure.com/Braunschweig/Braunschweig_Bruedernkirche/bruedernkirche_chorgestuehl.html [24.08.2010]. Die Bildnisreihe ist eine in Umfang und Monumentalität einzigartige bildliche Umsetzung des Catalogus testium veritatis von Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) aus dem Jahr 1556. Die Reihe der Braunschweiger Wahrheitszeugen weicht an einigen Stellen von Flacius ab. Dennoch ist sie nicht ohne sein die evangelische Kirchengeschichtsschreibung insgesamt begründendes Werk zu verstehen. Zum Bilderzyklus: Mack, Bildzyklen 1983.
  42. ^ Zu diesen Vorgängen: Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit 1996, S. 418.
  43. ^ Verbreitet war die Bestuhlung des Chorraums vor allem im Engadin (Reymond, L'architecture 1996, S. 31, 101, 144), im lutherischen Bereich findet sie sich z.B. in St. Nikolai in Stralsund (Weitzel, St. Nikolai 2011).
  44. ^ In der Großen Kirche in Emden wurde der Abendmahlstisch z.B. nicht anstelle des Kreuzaltars, sondern bei dem Altar im Kirchenschiff aufgestellt, an dem der erste reformierte Prediger, M. Georg Aportanus (ca. 1495–1530), seine Präbende gehabt hatte, wie Alfred Rauhaus überzeugend rekonstruiert hat (Rauhaus, Abendmahlstheologie 2009, S. 304).
  45. ^ Merten, Kirchenbau 2009, S. 296f. Zur deutschen Entwicklung: Ellwardt, Querkirchen 2004. Die Querausrichtung blieb jedoch nicht auf reformierte Kirchen beschränkt, sondern wurde gelegentlich auch in lutherischen Kirchen eingeführt, z.B. in der 1615–1620 errichteten Stadtkirche in Ostheim vor der Rhön.
  46. ^ Allerdings erfolgte die konsequente Ausräumung und "Reinigung" häufig erst im 19. Jahrhundert.
  47. ^ Krause, Marktkirche 1995.
  48. ^ Der Fokus der Forschung lag bislang eher auf dem Abendmahlsausschluss als Instrument der Sozialdisziplinierung. In den grundlegenden Werken zu dem mit der Reformation verbundenen Ritualwandel von Karant-Nunn, Reformation 1997, und Muir, Ritual 2005, nimmt das Abendmahl zwar einen prominenten Platz im Reigen frühneuzeitlicher Rituale ein, sein Potential zur Repräsentation der konfessionellen Herrschaft kommt jedoch nicht in den Blick.
  49. ^ Der Begriff der "Repräsentation" wird hier im Anschluss an Roger Chartier, der ihn im Rekurs auf Émile Durkheim (1858–1917) in die Geschichtswissenschaft eingeführt hat, als "kollektive Repräsentation" verstanden, die zum einen – ohne Wissen der gesellschaftlich Handelnden – deren objektiv gegensätzliche Stellungen und Interessen zum Ausdruck bringt und so Wahrnehmungen und Klassifizierungen der sozialen Welt sichtbar macht und zum andern als Abbildung von Macht und Status, das heißt von Herrschaft dient (Chartier, Kulturgeschichte 1992, S. 17).
  50. ^ Im 16. Jahrhundert konnte in der Ausstattung des Chores mit Hoheitszeichen zwar an mittelalterliche Traditionen angeknüpft werden, es fand jedoch sowohl quantitativ als auch qualitativ eine enorme Steigerung statt. Dies gilt in besonderer Weise für den Ausbau der Choranlagen zu Grablegen protestantischer Dynastien, die das Kirchenregiment inne hatten (grundlegend hierzu: Meys, Memoria und Bekenntnis 2009).
  51. ^ Weber, Wirtschaftsethik 1996, S. 94, 96.
  52. ^ Zu dieser Frage sei verwiesen auf: Schreiner, Mittelalterliche Stadt 1986, S. 134f., 141f.).
  53. ^ Koerner, Reformation 2004, S. 395.
  54. ^ Zur Abendmahlsverweigerung im ausgehenden 16. Jahrhundert liegen zwei grundlegende Studien zu exemplarischen Regionen vor: David Warren Sabeans untersuchte Abendmahlsverweigerungsfälle in württembergischen Dörfern: Sabean, Das zweischneidige Schwert 1986, S. 51–76; Oliver Kaul beschäftigte sich mit der Abendmahlspraxis in Ulm: Kaul, Undankbare Gäste 2003. Zur Abendmahlsverweigerung konfessioneller Gruppen und Fraktionen liegen, soweit ich sehe, noch keine Einzelstudien vor. Barbara Stollberg-Rilinger verweist jedoch auf die Bedeutung des Auseinanderbrechens der Eucharistiegemeinschaft auf Reichstagen und bei Kaiserkrönungen als Bild der Spaltung der Sakralgemeinschaft des Reichs (Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte 2008, besonders S. 93–136, 165–193.
  55. ^ So die zahlreichen Abendmahlsläufer, die zur Abendmahlsfeier ins Nachbarterritorium gingen, etwa im Grenzgebiet zwischen Kursachsen und dem herzoglichen Sachsen unter Georg dem Bärtigen (1471–1539).
  56. ^ Dies galt beispielsweise für die Stiftsherren in Sinsheim, die die katholische Messe nicht aufgaben, worauf Kurfürst Friedrich III. 1565 die Chormauer einbrechen und die Altäre abreißen ließ (Wolgast, Konfession 1998, S. 45f.).
  57. ^ So z.B. in den ersten Jahren nach dem Konfessionswechsel in der Pfalz 1563 unter Kurfürst Friedrich III. (Wolgast, Konfession 1998, S. 50).
  58. ^ Sowohl die geographische Verbreitung des Zeremoniells als auch seine zeitliche Erstreckung sowie die individuelle Prägung durch einzelne Landesherren bleiben im Einzelnen allerdings zu überprüfen. In Kursachsen selbst häufen sich beispielsweise zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Klagen darüber, dass die Fürsten nicht zum Abendmahl gingen und private Abendmahlsfeiern den gemeindeöffentlichen vorzögen.
  59. ^ Hainhofer, Reise-Tagebuch 1834, S. 105f.
  60. ^ Hedwig von Braunschweig.
  61. ^ Vgl. Abb. 2.
  62. ^ Diese Auseinandersetzung fand zwar erst 1641 statt, es ist jedoch davon auszugehen, dass das Problem nicht neu war, sondern bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert existierte (Weller, Theatrum Praecedentiae 2006, S. 274). Aufgrund der Vielzahl zeremonieller Akte, die das Ordnungsgefüge von Städten, Universitäten und Landesherrschaften sichtbar machten und besonders im städtischen Bereich allgegenwärtig waren, ist es nicht verwunderlich, dass der Streit um den Vortritt in der Frühen Neuzeit insgesamt ein zentrales Konfliktfeld bildete. Das Abendmahl war offenbar von solchen Rangkonflikten nicht ausgenommen, was für seine Bedeutung als Ritual ständischer Herrschaftsordnung spricht.
  63. ^ So z.B. auf dem Wettiner Versöhnungsgemälde von 1565 (Brückner, Bekenntnisgemälde 2007, S. 208, Tf. l 3); Göding-Retabel Mühlberg 1568 (Abb. Koerner, Reformation 2004, S. 262f.); Retabel Abraham von Nostitz um 1572 (Brückner, Bekenntnisgemälde 2007, S.72f. mit Abb. 33); Böhmisches Retabel 1575 (Abb. ebd., S. 77); Eisenacher Diptychon 1618, rechtes Gemälde (ebd., S. 231, Tf. 26). Auch die Fürstenbildnisse auf dem Schneeberger Cranachretabel von 1539 sind vermutlich schon in dieser Weise zu deuten.
  64. ^ Für die Dresdner Schlosskapelle ist um 1600 z.B. ein solcher fürstlicher Abendmahlsstuhl bezeugt; für diesen Hinweis danke ich Prof. Dr. Dr. h.c. Magirius.
  65. ^ So in Übernahme des vorreformatorischen Messformulars in den Herzogtümern Schleswig und Holstein (Lau, Reformation Schleswig-Holstein 1867, S. 458).
  66. ^ Das gilt weniger für die frühen Reformationen der zwanziger Jahre, als vielmehr für die obrigkeitlich stärker reglementierten späteren Reformationen wie z.B. in Brandenburg 1539 oder in den sogenannten Zweiten Reformationen. Während in der Wittenberger Reformation und in Anlehnung an diese auch andernorts in den zwanziger Jahren das Abendmahl unter beiderlei Gestalt behutsam in einem längeren Prozess eingeführt wurde, dem die evangelische Predigt und die Ablösung der Privatmessen durch Predigtgottesdienste vorausgingen, stand in späteren Reformationen die Einführung des Abendmahls nach neuem Ritus als öffentlicher Bekenntnisakt der Obrigkeit am Beginn der Einführung der Reformation.
  67. ^ Ob die erste Abendmahlsfeier in Berlin oder in Spandau stattfand, ist umstritten. Die chronikalischen Berichte sind uneindeutig, z.B. der von Peter Hafft in seinem Microchronicon Marchicum, das in mehreren eigenhändigen Abschriften zwischen 1595 und 1600 überliefert ist (Riedel, Codex Brandenburgensis IV 1, 1862, S. 100). Für Frankfurt an der Oder wurde der Abendmahlsgottesdienst vom teilnehmenden Bürgermeister Petersdorf beschrieben (Riedel, Codex Brandenburgensis I 23, 1862, S. 468).
  68. ^ Die dargestellte Tischgemeinschaft nimmt Bezug auf die im zweiten Naumburger Fürstentag 1561 erreichte Bekenntnisunion (Koerner, Reformation 2004, S. 377–401).
  69. ^ Das Verfahren ist in der Cranachwerkstatt häufiger zu beobachten: So ist z.B. auf der sogenannten Kambysestafel im Jagdschloss Grunewald in Berlin dem mit einem an ein Kurfürstengewand erinnernden Gewand bekleideten Herrscher eine Säule zugeordnet, die zum einen in der Ecke des Gerichtssaales steht, der den Bildraum bildet und somit keine architektonisch tragende Funktion hat, und die zum andern von einem Kapitell gekrönt wird, das wie ein Fremdkörper in dem Gemälde wirkt, weil es als einziges Detail nur skizzenhaft grob ausgeführt ist und nicht im die übrige Tafel bestimmenden Detailrealismus ausgestaltet wurde (Bartoschek, Cranach 2009, S. 203, Nr. III.23). Meines Erachtens ist ein Versehen des Malers als Erklärung auszuschließen, denn das Kapitell ist sowohl farblich als auch gestalterisch nahezu unübersehbar herausgehobenen und fast mittig platziert. Es kann sich daher nur um eine bewusst eingesetzte Malweise handeln, die auf die zeichenhafte Bedeutung der Säule verweisen sollte. Zum Bildcharakter der Schlossarchitektur und -ausstattung, insbesondere der Tafelstube: Müller, Schloss 2004, S. 280–284, 299–305.
  70. ^ "Interzeremonialität als Prinzip" meint damit eine "bewusste zeremonielle Analogiebildung an Altar und Tafel", wie sie z.B. in den Hofinstruktionen des Kölner Kurfürsten Clemens August (1700–1761) von 1726 überliefert ist, der für die Handwaschung im Tafelzeremoniell anordnet: "Bevor sich Ihro Churfürstliche Durchlaucht niedersetzen, so praesentiert der Obrist Cammerer das Serviette und der Cammerer im Dienst das Gießbecken. Eben auf solche Weise soll es gehalten sein, wenn Ihro Churfürstliche Durchlaucht in höchster Person das heilige Messopfer verrichten." Wenn der geistliche Reichsfürst an hohen Festtagen die Pontifikalmesse am Altar selbst zelebrierte, sollte die Handwaschung in derselben Weise vollzogen werden wie im Anschluss an die Messe im öffentlichen Tafelzeremoniell (Völkel, Tisch des Herrn 2006, S. 97).
  71. ^ Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte 2008, S. 93–136.