Krieg (1450–1789)@Krieg (1450–1789)@(ÜB)@freigabe

erstellt von EGO-Redaktion zuletzt geändert 2020-05-25T10:27:24+01:00

Originalbeitrag

Zwischen 1450 und 1789 teilten so gut wie alle Europäer die Erfahrung des Krieges. Obwohl zu dieser Zeit neue Kriegsursachen und Technologien entstanden, gab es auch starke Kontinuitäten, und trotz Tod und Zerstörung, die Kriege mit sich brachten, konnten sie Kräfte entwickeln, die kulturelle Transfers bewirkten. Kriege beförderten sowohl zeitlich begrenzte als auch unbegrenzte Migrationen innerhalb Europas und darüber hinaus, indem militärisches Personal, Wehrpflichtige und Freiwillige dem Ruf des Schlachtfelds folgten und neue Arten der Kriegsführung und Technologie mit sich brachten. Unter dem geistigen Einfluss der Renaissance und der Aufklärung zirkulierten neue und etablierte Texte zur Kriegsführung, während die wachsende Alphabetisierung und öffentliche Sphäre in Europa die öffentliche wie private Verbreitung von Neuigkeiten und Informationen begünstigten. Staaten entwickelten neue Möglichkeiten, Berufssoldaten zu unterhalten und unterstützten die militärische Ausbildung und Forschung. Während dieser Zeit wirkten Kriege folglich als entscheidende Faktoren für den kulturellen Austausch innerhalb Europas.

Einleitung

Zwischen 1450 und 1789 gehörten Kriege zu den Erfahrungen, die so gut wie alle Europäer teilten. Vom Atlantik im Westen bis zum Ural im Osten, vom Mittelmeer im Süden bis hinauf in den Norden zur Ostsee entging kaum jemand diesem Schicksal. Ihre Ursachen sind nicht zu zählen, ihre Folgen Legion. Neue Strategien und Technologien veränderten das Gesicht der Kriegsführung. Viele Menschen standen – direkt oder als Helfer – in ihren Diensten und noch mehr wurden auf die eine oder andere Art und Weise vom Krieg beeinflusst – die einen durch die Schäden und Zerstörungen, die er anrichtete, andere durch die Gelegenheiten, die er bot. Kriegsfolgen sorgten für soziale und wirtschaftliche Verwerfungen und brachen eingefahrene Kultur- und Denkstrukturen auf. Menschen, Bücher und Traktate gingen auf Wanderschaft quer durch Europa und animierten zu immer neuen Formen von militärischem Denken und Handeln, waren Teil eines größeren, umfassenden kulturellen Austauschs.

Ursachen und Folgen

Die Allgegenwart von Kriegen erklärt sich zum Teil durch das immense Aufkommen an kleineren Konflikten wie Übergriffen und entsprechenden Vergeltungsschlägen in Grenzregionen von so unterschiedlicher Prägung wie denen zwischen England und Schottland vor 1603 oder zwischen 1591 und 1606 vor und während des Langen Türkenkriegs zwischen dem Reich der Habsburger und dem Osmanischen Reich. Unbewaffnete wie bewaffnete Konflikte betreffen in der Regel auch die Bevölkerung vor Ort, ebenso aggressive Militär- und Polizeiaktionen, die möglicherweise nötig sind, um solches Vorgehen zu ahnden, für Abschreckung zu sorgen oder bestimmte Anliegen staatlicher Politik durchzusetzen. So wurde in Frankreich selbst unter der relativ friedfertigen Herrschaft Ludwigs XIV. (1638–1715) bei verschiedenen Gelegenheiten Militärgewalt eingesetzt, beispielsweise um Aufstände gegen die Steuerpraxis niederzuschlagen oder die protestantischen Hugenotten aus Frankreich zu vertreiben. Zwischen 1640 und 1717 erlebte die Iberische Halbinsel eine Reihe gewaltsamer, durch politische, wirtschaftliche und pränationalistische Motive genährte, Aufstände in Portugal (1640–1668) und Katalonien (1640–1659, 1687–1689, 1705–1713).

Außerdem griffen Staaten oftmals dann auf Kriege zurück, wenn diese ein probates Mittel darstellten, dem komplizierten Gewirr der aus dem Mittelalter ererbten problematischen politischen, wirtschaftlichen und dynastischen Gegebenheiten zu Leibe zu rücken. Größere Kriege wie die französischen Religionskriege (1560–1601) und der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) gingen im Kern auf dynastische Interessenkonflikte und das Streben nach politischer Kontrolle zurück.1 Die Zeitspanne zwischen 1688 und 1779 erlebte eine Reihe von Auseinandersetzungen zur pfälzischen, englisch-schottischen (oder britischen), spanischen, polnischen, österreichischen und bayerischen Erbfolge, bei denen auch politische und wirtschaftliche Überlegungen eine wichtige Rolle spielten.2 Das anhaltende strategische Ungleichgewicht entlang der Ostseeküste führte zu den Nordischen Kriegen (ca. 1554–1721) zwischen verschiedenen ost- und nordeuropäischen Mächten, verschärft wurde die Situation durch Erbschaftsstreitigkeiten zwischen Schweden und Polen-Litauen und beider Ehrgeiz einen schwedischen beziehungsweise polnischen Zaren auf den russischen Thron zu bringen.3 Das Karl V. (1500–1558), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, zugefallene riesige territoriale Erbe, zu dem die Niederlande und die habsburgischen Lande in Österreich und Böhmen ebenso gehörten wie die spanischen Besitztümer auf der Iberischen Halbinsel und in Italien, sollte Europa eine ganze Generation hindurch destabilisieren.

Religiöse Differenzen – alte und neue – führten allerorten zu Konflikten. Im Südosten Europas und (bis 1492) auch in Spanien war die religiöse und politische Bedrohung durch die osmanischen Nachbarn offensichtlich, doch die Bündnisse der christlichen Mächte, die die entscheidenden Schlachten von LepantoAndries van Eertvelt (1590–1652), The Battle of Lepanto, ca. 17. Jahrhundert (1571) und Wien (1683) gewannen, waren vermutlich nicht nur von religiösen Motiven beseelt sondern auch von weit weniger erhabenen Überlegungen zur Vergrößerung ihres Herrschaftsraumes, politischer Konsolidierung und wirtschaftlicher Expansion. Aber auch innerhalb Europas gab es nach 1517 tiefe, unversöhnliche Risse als sich durch die Reformation entfesselte religiöse Energien Bahn brachen und den Kontinent konfessionell aufspalteten, bereits bestehende soziale und politische Konflikte verschärften und in Brand setzten. In den Anfangsstadien der Reformation vermengten sich religiöser Eifer und millenaristische Begeisterung mit bereits bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Missständen und führten zu zahllosen Aufständen, die im Deutschen Bauernkrieg (1524–1525) gipfelten. In den französischen Religionskriegen wurden bestehende politische und dynastische Spannungen durch religiöse Konflikte verschärft. Eine der wichtigsten Nebenwirkungen religiöser oder in anderer Weise ideologisch motivierter Konflikte bestand in der Einbindung von Außenseiter-Gruppen, die sich anderweitig womöglich herausgehalten hätten. So geriet, was 1618 als zwar ernster aber relativ überschaubarer protestantischer Aufstand in Böhmen begonnen hatte, rasch zum Flächenbrand des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), einem der entscheidenden Konflikte der frühen Neuzeit. Politische, strategische und dynastische Konflikte erwirkten zusammen mit massiven religiösen Ängsten die Beteiligung der katholischen Mächte im Süden Deutschlands und der protestantischen im Norden. Das strategische Ungleichgewicht, das dadurch hervorgerufen wurde, war Auslöser für den Französisch-Spanischen Krieg (1653–1659), der seinerseits den portugiesischen Restaurationskrieg (1640–1668), den katalanischen Schnitteraufstand und den Frondeaufstand (1648–1653) in Frankreich nach sich zog.

Taktiken und Technologien

So wie es für Kriege alte und neue Gründe gab, so gab es auch alte und neue Arten, diese zu führen. Bis vor kurzem galt das Schlagwort von der "militärischen Revolution", wollte man kurz und prägnant die wichtigen technologischen und strategischen Veränderungen der Kriegsführung in der frühen Neuzeit und die neuen staatlichen Strukturen, die zu ihrer Verwirklichung geschaffen wurden, beschreiben.4 Besondere Betonung wurde dabei auf die Entwicklung des Schießpulvers und die Schaffung einer zunehmend leistungsstärkeren und robusteren Artillerie, sowie auf die Herstellung von billigen und zuverlässigen Feuerwaffen gelegt, die Armbrust und Bogen des 16. und die Pike des 17. Jahrhunderts ersetzten. Immer treffsicherere Kanonen machten die alten Festungen im Belagerungsfall immer weniger wehrhaft und setzten eine technische Evolution in Gang, deren Ergebnis neuartige Bastionen nach Art der trace italienne, der "neuitalienischen Manier des Festungsbaus" war.5 Diese Form der ArtilleriebefestigungArchitektur Schlachtenordnung 1624 war sternförmig angelegt und bestand aus konzentrisch angelegten Befestigungen, Gräben und Erdaufschüttungen, die als Geschützplattformen dienten, um Belagerern und ihrem Beschuss standzuhalten und mit flächendeckendem Artillerie- und Musketenfeuer abzuwehren. Die in den hoch urbanisierten Zentren der Niederlande und Norditaliens entwickelte und von dort nach Europa und Übersee exportierte Festungsform war Reaktion auf und Ansporn für die Entwicklung neuer Schießpulverwaffen zugleich und ihre Grundkonstruktion ließ sich beliebig vereinfachen oder weiter ausbauen. Ihre höchste Vollendung erreichte sie zweifellos mit den Ende des 17. Jahrhunderts von Sebastien Le Prestre, Marquis de Vauban (1633–1707) entworfenen Festungen zur Verteidigung der französischen Grenzen.

Die Entwicklung effizienter Schwarzpulverwaffen hatte auch Einfluss auf die marine Kriegführung. Natürlich hatte es auch im Laufe des Mittelalters kriegerische Auseinandersetzungen zu Wasser gegeben, doch in Ermangelung geeigneter Waffen mit großer Reichweite waren die meisten Schiffe nur zum Transport von Streitkräften und militärischem Material, als Geleitschutz oder als mobile Gefechtsstände verwendet worden. Eine Artillerie, deren Geschütze mit Schwarzpulver als Treibmittel funktionierten, gab Schiffen nunmehr die Möglichkeit auf größere Distanzen zu feuern. Für lange Zeit war die Galeasse, eine von bis zu mehr als vierhundert Ruderern bewegte und mit Geschützen ausgerüstete Kombination aus Galeere und Segelschiff der bevorzugte Kriegsschifftyp. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden die schwerfälligen Galeassen durch modernere, wendigere und ebenfalls mit neuen Schwarzpulverwaffen ausgerüstete Segelschiffe ersetzt, eine neue Schiffsform entstand, die Galeone, die in den Flotten der Mittelmeermächte bis weit ins 17. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte. Im 17. und 18. Jahrhundert schließlich folgte die Entwicklung des Linienschiffs – eines Seglers mit bis zu einhundertzwanzig längsseits zur Breitseite angeordneten Geschützen, die koordiniert feuern konnten.6 Weitere technische Entwicklungen wie die Karronade – ein leichtes großkalibriges Marinegeschütz mit geringer Reichweite, in den 1770er Jahren von der Carron Company of Scotland gegossen – komplettierten das Waffenarsenal zur See.

Der rasante Aufstieg des Linienschiffs als hoch wirksamem Instrument der Seekriegsführung war begleitet von einer Reihe anderer technischer Innovationen. In den 1770er Jahren begannen die Schiffsbauer der Königlichen Marine (Royal Navy) vermehrt Eisen einzusetzen, um das seltener werdende Holz zu ersetzen, das Unterschiff wurde zum Schutz vor Korrosion, Algen-, Seepocken- und Muschelbewuchs mit Kupfer beschlagen, eine der wichtigsten Innovationen aller Zeiten. Sie verringerte die Zeit für Reparaturen und Wartung und war das Produkt mehrerer Jahrzehnte des Experimentierens.7 Neue Navigationsmethoden ersetzten die alten und die Entwicklung verlässlicher Uhrwerke und astronomischer Tabellen im Laufe des 18. Jahrhunderts befähigte die Crews von Segelschiffen, die Möglichkeiten, die die phantastischen Kartierungstechniken den Seekarten ihrer Zeit bescherten, besser auszuschöpfen. Es herrschte ein fruchtbarer Austausch zwischen Flotten und allgemein-maritimen Entwicklungen, die, wie weiter unten erörtert wird, nicht nur Einfluss auf die Art und Weise hatten, wie Seekriege geführt wurden, sondern auch neue Ansprüche an die Fähigkeiten der Marineoffiziere stellten. Längere Reisen waren jedoch nicht nur Ergebnis verbesserter nautischer Technologien, sondern auch zunehmender staatlicher Möglichkeiten, Schiffe mit hinreichenden Vorräten zu versorgen, wobei die Techniken der Lebensmittelkonservierung bis ins 19. Jahrhundert hinein unverändert blieben. Der Unterschied bestand, wie ebenfalls im Folgenden erläutert wird, in einer besseren Organisation des Nachschubs, der Herstellung und Lagerung hochwertiger Verpflegung in industriellem Maßstab und der Unterhaltung von Werften und Proviantmagazinen in der Heimat und in Übersee.

Die Entwicklung neuer Techniken wiederum verlangte neue und bessere Methoden, diese zu nutzen, unter anderem ein Überdenken der Taktiken zu Wasser und zu Lande, um die neuen Möglichkeiten besser auszuschöpfen. Die Einführung der Kiellinie in der Mitte des 17. Jahrhunderts machte das Feuern der schweren Breitseiten, derer die Schiffe inzwischen mächtig waren, effizienter. Die neue Taktik konnte jedoch nur Hand in Hand mit dem Bau entsprechend spezialisierter Schiffe und der geeigneten Schiffsartillerie entwickelt werden.8 Ausmaß und Bedeutung taktischer Neuentwicklungen mögen in der Vergangenheit durchaus überbewertet worden sein, aber sie hatten zweifelsohne ihren Einfluss, und die Einführung des Salvenfeuers in Infanterieregimenten zum Beispiel, bei denen die Musketiere in Einer- oder Zweierreihen konzentrierte Salven abfeuerten, machte das Vorhandensein von genügend und hinreichend treffsicheren Feuerwaffen sowie die Ausbildung fachkundiger Offiziere und Soldaten in Kriegs- und Friedenszeiten nötig. Sie profitierte überdies von der Entwicklung neuer Waffen wie den Spund- und Tüllenbajonetten ausgangs des 17. Jahrhunderts, in deren Folge die Heere endgültig auf Pikeniere  verzichten konntenHendrick Golzius, A Pikeman, engraving, 220 × 149 mm, 1582, source: Museum Boijmans Van Beuningen, http://www.geheugenvannederland.nl/?/nl/items/BVB01:L196213PK.9 Auch in der Kavallerietechnik gerieten die Dinge in Fluss, und es entstanden vorübergehend experimentelle Truppengattungen wie die Dragoner, die berittene Infanterie des 17. Jahrhunderts und, daran angelehnt, Husaren und Ulanen, die weiter unten Erwähnung finden. Damit nicht genug machten erfolgreiche Feldzüge, ungeachtet der Etablierung immer ausgefeilterer logistischer Strukturen weiterhin dieselben Fertigkeiten erforderlich, die auch von den Armeeangehörigen des Mittelalters verlangt worden waren: Ausdauer und Disziplin, Mittelbeschaffung und geographische Kenntnisse.

Nun sollten Ausmaß, Tragweite und Geschwindigkeit taktischer Neuentwicklungen in der Tat nicht überwertet werden. Die neue Techniken des Salvenfeuers und der Sperrfeuer der Artillerie waren spezielle Anpassungen an einer bestimmte Form der hochintensiven Kriegsführung in so urbanisierten Gegenden wie den Niederlanden und Norditalien oder Fehden wie den Renaissancekriegen (1494–1559) und dem Spanisch-Niederländischen Krieg (1568–1648), anderorts machten die lokalen Verhältnisse andere, aber nicht weniger effiziente Taktiken erforderlich.10 So hat Polen-Litauen zum Beispiel in Anbetracht der besonderen strategischen, geographischen und logistischen Erfordernisse bei der Kriegsführung in Osteuropa sehr viel größeren Wert auf seine Kavallerie als auf Infanterie und Artillerie gelegt. Es war damit höchst erfolgreich und wurde in ganz Europa imitiert, und als das Staatengebilde Ende des 18. Jahrhunderts auseinanderbrach, war es eher Opfer gescheiterter politischer Führung als seiner militärischen Unfähigkeit: Die erfolgreiche Beendigung der Belagerung Wiens im Jahre 1683 zeigte, dass es zu jener Zeit eine überaus leistungsfähige Streitmacht war.11 Die Jakobiten im Norden Schottlands passten ihr militärisches Vorgehen nicht minder effizient den örtlichen Gegebenheiten an und waren damit fast sechzig Jahre erfolgreich. Sie scheiterten 1746 bei der Schlacht von CullodenAugustin Heckel, The Battle of Culloden, engraving, size unknown, 1746 (Reprinted 1797); source: National Galleries of Scotland, http://www.nationalgalleries.org/collection/artists-a-z/H/117/artist_name/Augustin%20Heckel/record_id/22357 , weil die jakobitischen Kämpfer hungerten, schlecht ausgerüstet waren und keine kundige Führung hatten. Zu weiteren Aufständen kam es nicht mehr, weil die siegreichen Engländer das Hochland einnahmen und die dortige Gesellschaft komplett umstrukturierten.12

Es ist daher, auch wenn die europäische Kriegsführung unzählige wichtige taktische und technische Eigenheiten gehabt haben mag, nicht möglich, von einer charakteristischen "europäischen Art der Kriegsführung" zu sprechen. Man hat es vielmehr mit einer Reihe sich überschneidender, an jeweils besondere Gegebenheiten und Infrastrukturen der jeweiligen Staaten angepasste Kriegsformen zu tun. Grundsätzlich sind Kriege ein wichtiger Motor des kulturellen Austauschs ihrer Zeit gewesen, der übermittelte Inhalt jedoch variiert selbst auf einem so eng umschriebenen Gebiet wie der Kriegsführung unter Umständen erheblich.

Direkter kultureller Austausch

Es gehört zum Wesen von Kriegen (auch denen der frühen Neuzeit), dass sie eine große Zahl von Menschen – freiwillig und unfreiwillig – in Bewegung setzen, die so zu Instrumenten des Austauschs von militärischer Kultur und militärischem Wissen innerhalb Europas und darüber hinaus werden. Kriege waren für die Zivilbevölkerung immer Zeiten extremer Belastung, und die von den erobernden Streitkräften im Rahmen ihrer Taktik vorsätzlich oder indirekt durch die Beanspruchung von Mitteln angerichtete Zerstörung setzte oftmals große Umsiedelungsprozesse in Gang. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden große Gebiete Deutschlands in hohem Maße entvölkert, in besonders betroffenen Regionen lagen die Einbußen bei fünfundzwanzig bis fünfzig Prozent. Im Laufe des 17. Jahrhunderts ließ eine Reihe von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den englischen, schottischen und irischen Bevölkerungsanteilen Irlands (1594–1603, 1641–1651, 1689–1691) beträchtliche Teile der katholischen Bevölkerung in Europa Zuflucht suchen, ihr gälisches Erbe brachten sie mit.13 Rekrutierungen erfolgten aufgrund der ungeheuren Expansion der Streitkräfte zu jener Zeit und der hohen Verluste durch Krankheit, Invalidität, Desertion und Tod in immer größer werdenden Einzugsgebieten. Auch wenn die Zahlen für Heeres- und Flottengrößen wenig zuverlässig sind: von der französischen Armee weiß man, dass sie von etwa 10 000 Mann in den 1490er Jahren auf irgendetwas um die 210 000 in den 1630er und nach 1690 auf 400 000 Mann angewachsen war.14

Die Trennlinie zwischen Freiwilligkeit und Zwang ist dabei nicht genau zu ziehen, wobei manche Leute auf den Verlauf ihrer militärischen Laufbahn und damit auf den zugehörigen Kulturaustausch durchaus Einfluss nehmen konnten. Für manche waren Kriege eine ökonomische Chance und Notwendigkeit, und das gesamte 16. und den Beginn des 17. Jahrhunderts hindurch war das Bild von Söldnern bestimmt – als Einzelpersonen oder in kleinen Gruppen wie die deutschen LandsknechteJost Amman, Dux exercitus: Der Führer der Landsknecht, 1624. oder als organisierte Kontingente wie die berühmten Schweizer Pikeniere.15 Die Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt im Dreißigjährigen Krieg, als der berühmt-berüchtigte Feldherr Albrecht Wallenstein (1583–1624)[Albrecht von Waldstein (Wallenstein)] im Namen Ferdinands II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1578–1637), an die 100 000 Mann anwarb. Der Englische Bürgerkrieg bot ähnliche Gelegenheiten, und der unvergessene Captain Carlo Fantom, ein kroatischer Söldner, der sowohl für Karl I. (1600–1649) als auch für dessen Gegner kämpfte, soll sich, so wird berichtet, damit gebrüstet haben, er schere sich nicht um die Anliegen seiner Auftraggeber, sondern kämpfe für ihr Geld und ihre schönen Frauen.16 Nach 1660 wurde dieser Beruf etwas seltener, weil die Loyalität der Söldner von manchem Staatswesen zunehmend mit Argwohn betrachtet wurde. Da ihr militärisches Knowhow jedoch unbestritten war, blieb die Verpflichtung von Söldnern gängige Praxis. Deutsche Kleinstaaten wie beispielsweise Hessen-Kassel waren weithin bekannt für ihren Soldatenhandel, bei dem professionell ausgebildete und ausgerüstete Truppenkontingente an andere Staaten wie Großbritannien zum Dienst auf den britischen Inseln oder in Amerika ausgeliehen wurden.17

Sehr oft spielte der Glaube bei der Ortswahl eine wichtige Rolle. Die schlechte wirtschaftliche Lage Schottlands im 17. Jahrhundert führte dazu, dass Militäroffiziere zu jener Zeit zu den begehrtesten Exporten Schottlands gehörten, die meisten von ihnen landeten in den protestantischen Armen der Niederlande, des Baltikums oder norddeutscher Kleinstaaten und kehrten 1640 zurück, als der Englische Bürgerkrieg Arbeit und Beweggründe zum Kämpfen bot.18 Hugenottenoffiziere, die 1683 aus Frankreich vertrieben worden waren, traten britischen und niederländischen Heeren bei, und die Ende des 17. und 18. Jahrhunderts aus Irland und Schottland vertriebenen katholischen Jakobiten gingen in der Regel zum französischen, habsburgischen oder russischen Militär.19 Auch dynastische Pflichten und Bande forderten Gefolgschaft, und im Spanischen Erbfolgekrieg bot die Schlacht von Almansa (1707) die ungewöhnlichen Konstellation, dass der Hugenottengeneral Henri de Massue, Marquis de Ruvigny und Earl of Galway (1648–1720) eine Armee aus Briten, Niederländern und Portugiesen gegen eine von James Fitz-James, Duke of Berwick (1670–1734) und unehelicher Sohn von König Jakob II. von England, sowie Jakob VII. von Schottland und Irland (1633–1701) geführte französisch-spanische Armee ins Feld zog. Wie weiter unten berichtet, trat mancher größere Reisen auch einzig zur Vervollkommnung seiner militärischen Ausbildung an, das vielleicht berühmteste Beispiel hierfür war wohl die Reise des russischen Zaren Peter der Große (1672–1725), der im Jahr 1697 nach Westeuropa ging, englische und holländische Schiffswerften besuchte und neben Soldaten auch moderne Militärtechnik und -kultur in seine Heimat zurückbrachte.

Nicht minder wichtige aber vielfach unterschätzte Mittler des Kulturaustauschs waren die Männer, Frauen und Kinder, die als Zivilisten den Heeren ins Feld folgten und an deren Standorten oder bei Belagerungen versorgten. Marketender boten wichtige Dienste an: Proviant, medizinische Versorgung und Begleitung, und genossen daher oftmals dieselbe Bewegungsfreiheit wie Soldaten.20 Während des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts versorgten Armeen sich oftmals noch vor Ort, nicht nur weil sie kleiner waren, sondern auch, weil es die logistischen, administrativen und finanziellen Belastungen für den Staat verringerte. Im Zuge der Entstehung größerer Staatengebilde mehrten sich Mittel und Möglichkeiten, stabile Versorgungsnetzwerke zu etablieren, und ab 1660 waren in den europäischen Armeen professionelle Heereslieferanten eine vertraute Erscheinung und wichtige Akteure des Kulturaustauschs. Prinz Wilhelm III. von Oranien (1650–1702), Statthalter der Niederlande und später König Wilhelm III. von England, sowie Wilhelm II. von Schottland und Irland, beschäftigte bei seinen Frankreichfeldzügen zwischen 1672 und 1702 mit Vorliebe jüdische Heereslieferanten, zum Beispiel Sir Solomon de Medina (1650–1730).21

Ein anderes Medium des Kulturaustauschs bildeten die professionellen Söldner, Händler und Militärtechniker, die im Ausland dienten und die dort Herrschenden mit neuen europäischen Technologien und Praktiken bekannt machten. Manche Staaten erwiesen sich in dieser Hinsicht als aufgeschlossener als andere, vor allem dann, wenn die Neuerungen mit bereits existierenden Formen und Traditionen der Kriegsführung vereinbar waren oder diese gewinnbringend ergänzten. In vielen Fällen aber handelte es sich eher um Fragen der Mode oder der Hebung des kulturellen Prestiges durch die Nutzung neuer und exotischer Militärtechniken.22 In Japan erleichterten durchlässige, in sich gefestigte politische Strukturen im 16. Jahrhundert die Übernahme, effiziente Anwendung und unabhängige Weiterentwicklung europäischer Technik. Im Osmanischen Reich hingegen und auf dem Indischen Subkontinent gab es größeren politischen und kulturellen Widerstand. Obschon indische Herrscher wie Tipu Sultan (ca. 1750–1799) europäische Soldaten und Ingenieure verpflichtete, waren die indischen Armeen letztlich weniger erfolgreich als die der englischen Ostindienkompanie, die ihre politischen und administrativen Strukturen wirkungsvoll nutzte, um Sepoy-Regimenter  zu unterhaltenUnknown artist, Group of sepoys at Lucknow,from a photograph, from the Illustrated London News, original size/medium unknown, 1857.. Auch die Indianervölker Nordamerikas übernahmen bereitwillig die Musketen und Gewehre, die ihnen von europäischen Siedlern verkauft wurden und integrierten sie erfolgreich in das traditionelle Muster ihrer Kriegsführung, konnten sich jedoch nicht gegen andere Strategien europäischer Kriegsführung behaupten, deren leichte Infanterie sie andererseits durch ihr Vorbild stark beeinflusst hatten.

Ein gutes Beispiel für das komplexe Gefüge aus Übernahme und Anpassung, das selbst innerhalb dessen festzustellen ist, was man als europäische Kriegsführung bezeichnet, und die vielen Wege und Mittelsmänner, über die neue Techniken und Taktiken Verbreitung finden, ist die allmähliche Verbreitung der Husaren als neuer Truppengattung in Europa. Die ursprünglichen Husaren waren uneinheitliche Formationen der leichten Kavallerie aus Südosteuropa, die auf Nahkampfscharmützel und Aufklärung spezialisiert waren und sich mit charakteristischen Kleidungsstücken wie einem pelzverbrämten Überwurf über der Schulter, einer Pelzmütze (Kolpak oder Husarenmütze) und einer reich verzierten lederne Säbeltasche schmückten. Nach einigen Erfolgen in den ungarischen und habsburgischen Armeen des 15. Jahrhunderts wurden Husaren auch von ihren europäischen Gegnern aus den Balkanländern rekrutiert, und ihre typische Ausstattung wurde allerorten in Büchern und Flugblättern abgebildet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war der Name daher so etwas wie ein Marke geworden: leichte Kavallerieregimenter in Großbritannien und den Niederlanden, in Spanien und seinen amerikanischen Kolonien übernahmen Bezeichnung und Uniform. Polen-Litauen verpflichtete im 15. Jahrhundert ebenfalls Husaren, dort aber entwickelten sich diese in eine andere Richtung und am Ende des 16. Jahrhunderts war hier mit dem Begriff jene schwere Kavallerie gemeint, die während der vierten bewaffneten Begegnung im Schwedisch-Polnischen Krieg so vernichtend gegen Gustaf II Adolf (1594–1632) vorgegangen war. Für Aufgaben der leichten Kavallerie verlegte sich die Union mehr und mehr auf Lipka-Tartaren, aus denen dann die mit Lanzen bewaffneten Ulanen hervorgingen. Ihre charakteristische Waffenausstattung und Bekleidung mit dem viereckigen Tschako wurde nicht nur von den deutschen Nachbarn in deren Ulanen-Regimentern kopiert, sondern zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch von Großbritannien, das seine leichten Dragoner-Regimenter einfach zu Lanzenreitern umwidmete und entsprechend ausstaffierte.

Indirekter Kulturtransfer

Kriege stimulierten den kulturellen Austausch nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar über die Verbreitung von Texten und Bildern. Militärliteratur ist eine etablierte Literaturgattung und klassische Texte zur Kriegstheorie (Beispiel: Vegetius' De Re Militari) und -geschichte (u. a. Cäsars Commentarii de Bello Gallico) gingen das ganze Mittelalter hindurch von Hand zu Hand. Die Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts wirkte auf die Verbreitungsgeschwindigkeit und Reichweite solcher Schriften wie ein Brandbeschleuniger. Sinkende Kosten und der durch die Tatsache, dass es nun viel leichter wurde, Gedrucktes zu besitzen, vermehrte Absatz von neuer Literatur, brachte Berufssoldaten dazu, ihre Erfahrungen zu Papier zu bringen. Der Hugenotte und Soldat Herzog Henri de Rohan (1579–1638) stützte sich bei der Veröffentlichung seines Werks Der vollkommene Capitain im Jahr 1631, einer glorifizierenden Studie zu Cäsars De Bello Gallico (100–44 v. Chr.), auf seine eigenen militärischen Erfahrungen während der Hugenottenaufstände (1621–1629) gegen den französischen Staat. Untersuchungen zur Militärliteratur Englands zwischen 1603 und 1642 haben gezeigt, dass selbst in dieser relativ friedlichen Zeit große Mengen an Büchern und Traktaten zirkulierten.23 Manche darunter waren Übersetzungen fremdsprachiger und klassischer Werke, andere aber wurden von englischen Armeeangehörigen geschrieben, die ihren Dienst im Ausland ableisteten und ihre Werke ebenso sehr als programmatische Darstellungen der Außen- und Religionspolitik verstanden wie als Instrumente der Bildung und des kulturellen Austauschs. Im 18. Jahrhundert nahm die Menge an Texten unter dem wachsenden Einfluss der beginnenden Aufklärung weiter zu, und mancher Autor glaubte, eine letztgültige rationale Analyse militärischer Angelegenheiten vorgelegt zu haben: die bekannteste ihrer Art ist vermutlich Les Reveries Ou Memoires Sur L'Art De La Guerre (in deutscher Übersetzung 1757 erschienen unter dem Titel Einfälle über die Kriegskunst) des Hermann Moritz Graf von Sachsen (1696–1750).

Die Rezeption dieser Werke zu beurteilen ist natürlich nicht ganz einfach. Titel dieser Art hatten zu jener Zeit Hochkonjunktur, was darauf schließen lässt, dass die Nachfrage entsprechend groß war, und erhaltene Exemplare enthalten häufig Randbemerkungen oder Kommentare, die zeigen, dass sie tatsächlich zu Rate gezogen wurden. Von britischen Offizieren, die im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatten, weiß man, dass sie in manchen Fällen gut bestückte Bibliotheken mit englischen, französischen und deutschen Werken dieser Art besaßen.24 Auf der andere Seite ist schwer abzuschätzen, welche Verbreitung ihre Inhalte tatsächlich erfuhren, und wieviel Einfluss sie auf Freiwillige, Berufssoldaten und Seeleute hatten, von denen viele weiterhin keine höhere Bildung genossen und ihr Handwerk von der Pike auf lernten. In England blieb noch das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch das Exerzierreglement die häufigste Form von militärischer Literatur, und auch wenn militärische Abhandlungen dazu beitrugen, alte Infanterietaktiken zu standardisieren und neue zu verbreiten, sieht es so aus, als hätten viele Soldaten ihre Kommandobücher mit konkreten Exerziervorschriften nützlicher und wichtiger gefunden als theoretische Werke.25 Dasselbe galt vermutlich für gelehrte technische Abhandlungen über komplexere Fragen des Festungsbaus, der Militärtechnik und des Einsatzes von Artillerie, für allgemeinere Fertigkeiten wie Navigation, Kartographie und Schiffsbau, sowie für abstrakte Wissenschaften wie Astronomie, Ballistik und theoretische Mathematik, die für militärische Belange von großer Bedeutung waren. In Anbetracht ihrer Komplexität waren solche Werke möglicherweise reine Prestigeangelegenheiten und blieben auf eine kleine technische Elite beschränkt, aber Werke von Persönlichkeiten wie Vauban vermittelten auch jedem pflichtbewussten und einigermaßen gebildeten Offizier einen gewissen Eindruck von den Prinzipien des Festungsbaus und des Belagerungskrieges.

Der Strom an Militärbüchern, -abhandlungen und -traktaten ab dem 16. Jahrhundert war selbstredend Folge der großen Revolution des Buchdrucks. Sinkende Druckkosten und eine zunehmende Alphabetisierung zusammen mit verbesserten Möglichkeiten des postalischen Austauschs schufen Öffentlichkeiten, in denen Literatur zirkulieren und Ideen verbreitet werden konnten. Viele Offiziere, die im Ausland eingesetzt waren, schrieben an Freunde und ihre Familien zuhause Briefe, in denen von militärischen Details, Taktiken und Techniken die Rede war, und die diskutiert und weiterverbreitet wurden. Die rasante Zunahme an Flugblättern und Zeitungen im Laufe des 17. Jahrhunderts schuf – vor allem im Zusammenspiel mit der Lockerung oder Abschaffung von Zensurbestimmungen seitens der Regierungen – weitere Möglichkeiten für den kulturellen Austausch. Militärische Aktionen wurden einer zunehmend gebildeten und anspruchsvollen Öffentlichkeit berichtet und landauf landab mit wachsender Sachkenntnis diskutiert, oft wurden die Berichte zur weiteren Verbreitung außerhalb der Hauptadressaten kopiert. Das frühe 17. Jahrhundert war in England Schauplatz der Entstehung einer hochinteressierten, aktiven Öffentlichkeit, die Nachrichten aus Kriegsgebieten im In- und Ausland eifrig las, und auf die die Verfasser solcher Schriften mit zunehmend hohen Maßstäben an die Seriosität ihrer Ausführungen – nachprüfbare Details und Nutzung mehrerer verschiedener Quellen – reagierten.

Die Rolle des Staates

Im Laufe der frühen Neuzeit haben sich Kriege somit als machtvolle Triebfedern des Kulturaustauschs erwiesen, aber es wird inzwischen deutlich geworden sein, wie sehr die sichtbaren Aspekte wie größere und professionellere Heere und Flotten und technisch ausgereifte Befestigungen und Schiffe von den jeweiligen Kapazitäten der neuen europäischen Staaten abhingen. Um es mit den Worten von Charles Tilly zu sagen: "Kriege machen Staaten, und Staaten machen Kriege", wobei über die genaue Reihenfolge der Ereignisse erhebliche Uneinigkeit herrscht.26 Eine Flotte der frühen Neuzeit beispielsweise konnte nur als Vektor des Kulturaustauschs fungieren, wenn ein Staat sich entschlossen hatte, nicht nur Schiffe zu bauen und zu unterhalten, sondern auch Werften und Proviantmagazine, um die Schiffe und ihre Besetzungen zu versorgen, dazu die geeigneten Waffen und eine Truppe aus Berufsoffizieren, Seeleuten und Schiffsbauern, die das komplizierte, für den effizienten Betrieb einer Flotte nötige Handwerk beherrschten. Ein steter Geldstrom und ein starker und stabiler Staat mit hinreichenden administrativen Ressourcen waren daher unerlässlichen Voraussetzungen für die frühneuzeitliche Kriegsführung

Ein wichtiger struktureller und inhaltlicher Beitrag der neu entstandenen Staaten zum Prozess eines umfassenden militärischen Kulturtransfers bestand in der Errichtung permanenter Bildungseinrichtungen, die die Vermittlung von Militärkultur und -wissen nicht nur räumlich unter einem Dach vereinten sondern von ihren Offizieren und Seeleuten auch über die Zeit an kommende Generationen weitergeben ließen. Der französische Staat war auf diesem Gebiet führend, und seine Militärakademien fanden in ganz Europa Nachahmer, beispielsweise in der von der dänischen Krone 1709 gegründeten Königlichen Marineakademie und der 1713 gegründeten Militärakademie. In Großbritannien verzögerte das politische Unbehagen angesichts eines stehenden Heeres diesen Prozess, doch ab 1741 wurden Artillerie- und Militärtechnikoffiziere theoretisch und praktisch an der Königlichen Militärakademie (Royal Military Academy) in Woolwich ausgebildet und 1712 wurde für die höhere Ausbildung das Königliche Seefahrerkrankenhaus (Royal Hospital School), später das Königlichen Marinekolleg (Royal Naval College), in Greenwich gegründet. Die meisten Marineoffiziere wurden weiterhin zur See ausgebildet, aber der englische Staat ermunterte zu höheren Standards: Ab 1673 musste ein englischer Seekadett, der zum Kapitänleutnant befördert werden wollte, sechs Jahre Erfahrung zur See vorweisen und bei einer Prüfung unter Beweis stellen, dass er Tauwerk knoten und spleißen, Segel reffen, ein Schiff unter Segeln manövrieren, Gezeiten berechnen, den Kurs per Jakobsstab und Portulankarten berechnen, sich an Sonne und Sternen orientieren, Kompassabweichungen bestimmen und als Gefreiter ebenso versiert dienen konnte wie als Kadett, sprich den Spagat schaffen zwischen Gentleman-Amateur und professionellem Seemann.27

Weil der Großteil der militärischen Ausbildung noch immer in isolierten Einheiten stattfand, war es umso wichtiger, dass Staaten sich zunehmend in der Lage sahen, permanente Kader für professionellen Heere und Flotten zu unterhalten, die als Hüter und Mittler militärischen Wissens dienten. Manche Staaten unterhielten Haustruppen oder Kadettenanstalten, die speziell der Ausbildung und Wissensvermittlung gewidmet waren, wie jene neun Kadettenanstalten, die Ludwig XIV. in Frankreich errichten ließ, wobei dieses Experiment in der Praxis alles andere war als eine Kaderschmiede für eine neue Militärelite.28 Die Unterhaltung von Garnisonen und Schutzflotten garantierten Kontinuität und boten weitere Ausbildungs- und Trainingsgelegenheiten, dank derer Heer und Flotte stets ein Kontingent an erfahrenen bestallten und nicht bestallten Offizieren zur Verfügung stand. Das britische Halbsoldsystem beispielsweise machte es möglich, Militär- und Marineoffiziere am Ende des Krieges vom Dienst freizustellen, wenn Heer und Flotte nicht mehr in voller Größe benötigt wurden, und sobald erneut Krieg ausbrach und die Streitkräfte wieder an Größe zulegen mussten, wieder zum Dienst einzuberufen, wo sie neue Regimenter personell ausstatten und neue Rekruten ausbilden konnten. Staaten begannen auch die Berufsausbildung wichtiger Beamter zu unterstützen, ein gutes Beispiel hierfür sind die Brüder Jacob, John und Michael Richards, die Ende des 17. Jahrhunderts vom britischen Vermessungsdienst ins Ausland gesandt wurden, um sich zu Artillerie- und Ingenieuroffizieren ausbilden zu lassen.29 Alle drei begleiteten verschiedene europäische Armeen auf dem Balkan und im Mittelmeerraum, wo sie ihre Erfahrungen in akribisch geführten Journalen und Tagebüchern festhielten, und dienten schließlich Großbritannien und seinen Verbündeten in Irland, den Niederlanden und Neufundland.

Schließlich bot die wachsende Macht des Staates auch die Möglichkeit, das geistige Leben, die Innovationsbereitschaft und den Kulturaustausch durch die finanzielle Förderung wissenschaftlicher Forschung zu unterstützen. Auf den britischen Inseln beispielsweise förderten Admiralität und Vermessungsdienst die für das Erstellen von Karten und die Navigation auf See notwendige mathematische und astronomische Forschung sowohl unmittelbar – unter anderem durch die Gründung des Königlichen Observatoriums (Royal Observatory) in GreenwichCecil Beaton, The Royal Observatory - Everyday Life at the Royal Observatory, Greenwich, London, England, UK, 1945. Black & White photograph, source: Imperial War Museum http://media.iwm.org.uk/iwm/mediaLib//44/media-44883/large.jpg This photograph was scanned and released by the Imperial War Museum on the IWM Non Commercial Licence. The work was created by Cecil Beaton during his service for the Ministry of Information during the Second World War as an official photographer of the Home Front. In the UK, photographs taken in military service, or works of art created as part of military service, became controlled under the Crown Copyright provisions and so faithful reproductions may be reused under that licence, which is considered expired after 50 years. im Jahre 1675 – als auch mittelbar durch die Zusammenarbeit mit der 1662 gegründeten Königlichen Gesellschaft (Royal Society). In Frankreich wurde 1666 die Academie Royale des Sciences gegründet und mit ähnlichen Aufgaben betraut. In Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien wurden vom Staat Preise ausgelobt, um die Forschung zum Problem der Längengradbestimmung auf See zu fördern, die der Seefahrt Mitte des 18. Jahrhunderts Mondtafeln und Längenuhren bescherte. Seit dem 17. Jahrhundert flossen staatliche Mittel überdies in die kartographische Forschung, die eine umfassende Sammlung an Karten für militärische Unternehmungen und die Navigation auf See liefern sollte und somit auch für die zivile Seefahrt, sowie das zivil Vermessungs- und Ingenieurwesen von beträchtlichem Nutzen war. Auch Innovationen wie der Schutz von Schiffsböden durch das Aufbringen von Kupferplatten oder Entwicklungen auf dem Gebiet der Metallurgie, der Geschützgießerei und des Schiffsbaus wurden dadurch vorangetrieben, dass der Staat nun einen garantierten Markt für solche Erfindungen darstellte.

Eine militärische Revolution?

Die Allgegenwart von Krieg in all seinen Erscheinungsformen setzte zwischen 1453 und 1789 alle möglichen Arten von Kulturaustausch in Gang. Krieg brach eingefahrene Denkstrukturen auf und stellte neue technologische und organisatorische Anforderungen, auch wenn diese weiterhin von den jeweiligen Umständen und Notwendigkeiten des Kriegskontextes geprägt waren. Es gibt in dieser Zeit keine definierte "westliche Kriegsführung" Vielmehr gab es ein Sammelsurium an Prinzipien und Techniken, die hier und da deckungsgleich waren, aber grundsätzlich in den jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen wurzelten, die in den einzelnen Staaten herrschten, und sich aus diesen entwickelten. Auch war sie nicht typisch europäisch, da andere Staaten sie übernehmen konnten.

Wandel und Kulturaustausch wurden außerdem über verschiedene andere Ausbreitungswege vermittelt und trugen die Handschrift der jeweiligen Akteure, denn Menschen handeln aus ihren eigenen ökonomischen und ideologischen Bedürfnissen heraus und treffen ihre Entscheidungen entsprechend. Dieser Kulturtransfer geschah durch direkten Kontakt ebenso wie auf indirektem Wege, und wurde einerseits durch die sich ständig verändernden intellektuellen und kulturellen Umstände bestimmt, die das frühneuzeitliche Europa prägten, und andererseits durch das zunehmend sichere Fundament, das die wachsende Macht und die zunehmenden Ressourcen der jungen europäischen Staaten ihm boten. Es mag zwischen 1453 und 1789 keine "militärische Revolution" gegeben haben, aber das Kriegführen selbst hatte eine Menge revolutionärer Aspekte.

Aaron Graham

Anhang

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Notes

  1. ^ Wilson, Europe's Tragedy 2009.
  2. ^ Simms, Three Victories 2007.
  3. ^ Frost, The Northern Wars 2000.
  4. ^ Verschiedene Aufsätze in Rogers, The Military Revolution Debate 1995, hier insbesondere S. 1–114, 337–365.
  5. ^ Parker, The Military Revolution 1988; Arnold, Fortifications 1995.
  6. ^ Glete, Warfare 2000, S. 17–39; Harding, Seapower 2002, S. 146–148.
  7. ^ Harding, Seapower 2002, S. 241–242.
  8. ^ Rodger, The Development of Broadside Gunnery 1996.
  9. ^ Black, European Warfare 1994, S. 38–66; Parrott, Strategy and Tactics 1995, S. 227–251.
  10. ^ Siehe die Kritik in Rogers, The Military Revolution Debate 1995.
  11. ^ Frost, The Northern Wars 2000, S. 310–27.
  12. ^ Parker, The Military Revolution 1988, S. 34–35.
  13. ^ Siehe beispielsweise Stradling, The Spanish Monarchy 1994.
  14. ^ Lynn, Recalculating French Army 1995.
  15. ^ Parrott, The Business of War 2012.
  16. ^ Stoyle, Soldiers and Strangers 2005, S. 91–109.
  17. ^ Wilson, The German 'soldier-trade' 1996.
  18. ^ Verschiedene Aufsätze in Murdoch , Scotland and the Thirty Years War 2001.
  19. ^ Glozier / Onnekink, War, Religion and Service 2007.
  20. ^ Lynn, Women, Armies and Warfare 2008.
  21. ^ Nimwegen, The Dutch Army 2010.
  22. ^ Black, Beyond the Military Revolution 2013; Ralston, Importing the European Army 1990.
  23. ^ Donagan, War in England 2008, S. 33–61; Lawrence, The Complete Soldier 2009.
  24. ^ Gruber, Books 2010.
  25. ^ Houlding, Fit for Service 1981, S. 99–116.
  26. ^ Tilly, Coercion, Capital, and European States 1990.
  27. ^ Davies, Gentlemen and Tarpaulins 1991.
  28. ^ Rowlands, The Dynastic State 2002, S. 174–186.
  29. ^ Dickinson, The Richards Brothers 1968.